Für Kristina Church, Analystin bei der Barclays Bank, steht die Welt kopf: «Vor 18 Monaten war es ein Karrieren-Risiko, gegenüber meinen Kunden den Namen VW überhaupt in den Mund zu nehmen», erklärte sie in der «Financial Times». «Jetzt ist es ein Karriererisiko geworden, keine VW-Titel im Portefeuille zu haben.»
Die Frau hat gut reden: VW-Aktien haben im vergangenen Jahr rund 30 Prozent zugelegt, selbst im aktuellen Dauer-Börsen-Boom ein stolzer Wert. Locker mithalten konnten auch die Papiere von General Motors (GM), die ebenfalls von den Investoren lange gemieden wurden.
Dabei mussten VW und GM bös unten durch. Nach dem Dieselskandal im Herbst 2015 spottete etwa der «Spiegel», VW sei eine Art «Nordkorea ohne Arbeitslager» geworden. Nicht nur die veraltete Unternehmenskultur der Wolfsburger wurde hart kritisiert, auch die Profitabilität des Unternehmens war im Keller. Speziell pessimistische Branchen-Gurus orakelten gar, VW werde die zu erwartenden Bussen nicht überleben.
In den USA war der Spruch «Was gut für GM ist, ist gut für Amerika» nicht einmal mehr ein schlechter Witz. Nach der Finanzkrise überlebte das einst weltgrösste Unternehmen nur dank massiver und von konservativer Seite heftig kritisierter staatlicher Unterstützung.
GM war Sinnbild geworden für den amerikanischen Niedergang, für veraltete Technologie, schlampige Fertigung und verkrustete Bürokratie. Die ultimative Schmach erlebte GM im April 2017. An der Börse wurde der Emporkömmling Tesla höher bewertet als der ehemalige Marktführer.
Dabei hatten Elon Musk und seine Truppe gerade mal ein paar zehntausend popelige Elektroautos produziert, während bei GM jährlich Millionen von Autos vom Band rollen. Das ist inzwischen korrigiert worden. Tesla-Aktien dümpeln vor sich hin, während der Kurs der GM-Papiere abgeht.
GM kann nicht nur traditionelle Benzinschlucker bauen, GM kann auch elektrisch. «Innert kurzer Zeit ist das Unternehmen vom Abgehängten zum Marktführer geworden auf diesem Gebiet», wundert sich der «Economist». Tatsächlich wird in der allgemeinen Tesla-Euphorie gerne übersehen, dass GMs Chevy Bolt nicht nur das erste serienmässig herstellte Elektroauto ist, sondern auch, dass die Massenproduktion im Gegensatz zum Tesla 3 auch funktioniert.
Auch bezüglich selbstgelenkter Autos hegt GM grosse Pläne. 2016 hat man rund eine Milliarde Dollar für Cruise hingeblättert, ein auf künstliche Intelligenz spezialisiertes Start-up. Das Investment zahlt sich bereits aus. Dank Cruise beherrscht GM mittlerweile auch die Technik des autonomen Fahrens. Das Unternehmen plant nun, im grossen Stil in den Zukunftsmarkt von Robo-Taxis zu investieren.
Elektroautos sind in Wolfsburg ebenfalls zu einem beherrschenden Thema geworden. Bis 2025 will VW-Chef Matthias Müller rund 20 Milliarden Euro in die Elektrifizierung und nochmals 14 Milliarden Euro in die selbstfahrende Technologie investieren. Im vergangenen September hat Müller ein ehrgeiziges Ziel vorgestellt: 50 Modelle will die VW-Gruppe bis zu diesem Zeitpunkt mit Elektroantrieb ausgerüstet haben.
Mit einer SUV-Version des Audi E-Tron soll zudem ein echter Konkurrent für das Tesla Model X verfügbar sein. Das Geld dazu ist vorhanden. Anders als befürchtet konnte man bisher die Diesel-Skandal-Bussen aus dem laufenden Cashflow bezahlen und musste nicht ans Eingemachte. Die Kosten sind mit bisher 25 Milliarden Euro auch weit tiefer ausgefallen als die zunächst prophezeiten 80 Milliarden Euro.
Nicht nur der monetäre, auch der Imageschaden hält sich in Grenzen. Im vergangenen Jahr sind die Verkäufe von VW, Audi, Porsche, Skoda & Co. um 4,3 Prozent gestiegen. VW ist damit erneut das grösste Autounternehmen der Welt, vor Toyota und GM. Selbst in den USA konnte die Marke VW letztes Jahr um 5,2 Prozent zulegen. GM und VW haben die Kurve gekratzt. Bankanalysten zeigen sich beeindruckt. Niemand bezeichnet die beiden noch als «aussterbende Dinosaurier». Heute gelten sie als «sich entwickelnde Säugetiere».