Warum zeigte die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Pierin Vincenz nicht direkt die rote Karte? Die Frage war an der Jahresmedienkonferenz der Behörde in Bern natürlich unvermeidlich. Obwohl Vincenz inzwischen in einem Strafverfahren wegen des Verdachts auf ungetreue Geschäftsbesorgung steckt und seit mehreren Wochen in Untersuchungshaft sitzt, hatte die Finma das Gewährsprüfungsverfahren gegen den Banker im Herbst nicht mit der möglichen Höchststrafe eines fünfjährigen Berufsverbotes abgeschlossen.
Der 62-jährige Vincenz habe sich der Finma gegenüber verpflichtet, für den Rest seines Lebens nicht mehr als Verantwortungsträger im Finanzsektor tätig zu werden. Vor dem Hintergrund dieses Versprechens hätte ein zeitlich limitiertes Berufsverbot ausgesehen wie eine Art «Macho-Aufsicht». Das entspreche nicht dem ergebnisorientierten Aufsichtsverständnis der Finma, erklärte deren Direktor Mark Branson.
Fakt ist aber, dass die Finma seit einem strategischen Entscheid des Verwaltungsrates vor vier Jahren deutlich schärfer gegen die individuellen Verantwortungsträger in fehlbaren Unternehmen vorgeht. Davon verspricht sich die Behörde zu Recht eine stärkere präventive Wirkung ihrer Arbeit. So gesehen darf vermutet werden, dass Vincenz auch von der Finma bei den Strafbehörden angezeigt worden wäre, wenn dies nicht der Verwaltungsrat der Firma Aduno getan hätte, in der der Banker mutmasslich deliktisch tätig geworden war.
Gestützt wird die Vermutung auch durch die Statistik. Von den im vergangen Jahr ausgesprochenen Enforcement-Massnahmen betrafen 87 natürliche Personen und nur 60 Unternehmen beziehungsweise Bewilligungsträger. Die Zahlen stimmen mit der strategischen Marschrichtung der Behörde überein. Auffallend ist zudem, dass die Massnahmen gegen Einzelpersonen in vielen Fällen deutlich schärfer sind als gegen Firmen. So wurden im regulierten Bereich, also dort wo Banken, Effektenhändler und Versicherungen mit Finma-Lizenz offiziell tätig sind, gegen neun Personen ein Berufsverbot verhängt. Zwei Personen mussten unrechtmässig verdiente Gewinne abliefern und nur einer kam mit einer Rüge davon.
Die verschärfte Gangart der Finma zeigte sich im Berichtsjahr nicht zuletzt im Bereich der Geldwäschebekämpfung. In den rund 300 Banken im Land, von denen eine Mehrheit bloss regionale Tätigkeiten ausübt, führte die Behörde nicht weniger als 23 sogenannte Vor-Ort-Kontrollen durch. Das hat einerseits mit dem Umstand zu tun, dass sich die Geldwäsche inzwischen zu einem systemischen Risiko für internationale Finanzplätze entwickelt hat. Anderseits sind gerade die im grenzüberschreitenden Vermögensverwaltungsgeschäft tätigen Schweizer Banken im Zug der internationalen Steuertransparenz zunehmend auf der Suche nach neuen Wachstumsfeldern in wirtschaftlich aufstrebenden Ländern Asiens, Lateinamerikas oder Osteuropas. Wie der Fall der lettischen ABLV-Bank exemplarisch zeigt, sind dort die Risiken ungleich grösser, mit unsauberen Geldern in Kontakt zu kommen. (aargauerzeitung.ch)