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Warum es Deutschland schlecht gehen muss, damit es Europa wieder gut gehen kann

Schadet die strikte Sparpolitik Deutschland?
Schadet die strikte Sparpolitik Deutschland?Bild: tumblr/narcoleptic-insomniak
Erklärbär

Warum es Deutschland schlecht gehen muss, damit es Europa wieder gut gehen kann

Der Internationale Währungsfonds, die Weltbank, die Elite der globalen Ökonomen – alle fordern Deutschland auf, seine Wirtschaftspolitik zu ändern. Sie stossen auf taube Ohren.
03.11.2014, 09:1503.11.2014, 10:10
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In einem Punkt sind sich alle einig: Deflation und Stagnation bedrohen Europas Wohlstand und sozialen Frieden. Täglich warnen Ökonomen vor japanischen Zuständen, will heissen: Ein Jahrzehnt, in dem das Geld an Wert gewinnt (Deflation) und Konsum und Investitionen schwächeln (Stagnation). Bereits gibt es dafür auch einen Begriff, er lautet: «säkulare Stagnation». 

Doch wenn es um einen Ausweg aus der Krise geht, dann gehen die Meinungen weit auseinander. Es scheint, als ob deutsche und angelsächsische Ökonomen auf verschiedenen Planeten leben würden.

So erklären die deutschen Ökonomen die Krise

Stellvertretend für den deutschen Standpunkt ein Kommentar von Otmar Issing in der «Financial Times». Issing war lange Chefökonom der Europäischen Zentralbank (EZB) und ist ein klassischer Exponent des deutschen Ordoliberalismus. Hier seine kurz zusammengefasste Argumentation: 

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In Deutschland herrscht beinahe Vollbeschäftigung. Das Wirtschaftswachstum entspricht dem Potenzial der Volkswirtschaft, das Staatsbudget ist mehr oder weniger ausgeglichen. 

Aber die Staatsverschuldung ist nach wie vor zu hoch und die Notenbank pumpt zu viel Geld in das Wirtschaftssystem. Trotzdem bestehen weder Inflations- noch Deflationsgefahr. Es droht auch keine Rezession. Schlussfolgerung: Deutschland braucht höhere Zinsen, aber sicher keine höheren Staatsausgaben. 

«Das ist dogmatische Politik, die über den ökonomischen Sachverstand triumphiert.»
Otmar Issing, deutscher Ökonom

Warum aber drängen der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank, die versammelte angelsächsische Ökonomen-Elite und die vereinte italienische und französische Politkaste Deutschland dazu, endlich den Spargürtel zu lockern und mehr in die verlotterte Infrastruktur zu investieren? 

Weil sie nichts von Wirtschaftspolitik verstünden, lautet Issings Antwort. Mit mehr Investitionen die Wirtschaft anzukurbeln bedeute nichts anderes, als «Deutschland in die gleich missliche Lage zu bringen wie seine Nachbarn», so Issing. 

Bundeskanzlerin Merkel: Dogmatische Politik, die über den ökonomischen Sachverstand triumphiert.
Bundeskanzlerin Merkel: Dogmatische Politik, die über den ökonomischen Sachverstand triumphiert.Bild: EPA

Die Bundesregierung könne sich, so Issing, allenfalls überlegen, die Sozialausgaben zu kürzen und dieses Geld in neue Brücken und Strassen zu investieren. Die permanenten Aufforderungen an Deutschland, sich zu verschulden, um solche Investitionen zu finanzieren, beurteilt er jedoch wie folgt: «Das ist dogmatische Politik, die über den ökonomischen Sachverstand triumphiert.» 

So erklären die übrigen Ökonomen die Krise

Lorenzo Bini Smaghi war lange Mitglied des EZB-Direktoriums. Als Mario Draghi zum EZB-Präsidenten gewählt wurde, schied er als überzähliger Italiener aus. Heute ist er als Ökonomieprofessor an der Harvard University tätig. Er hat ebenfalls in der «Financial Times» die angelsächsische Sichtweise zusammengefasst, und zwar wie folgt: 

Die Deutschen sparen wie blöd (sinngemäss, Smaghi hat sich natürlich gewählter ausgedrückt). Inzwischen hat das Sparaufkommen rund sechs Prozent des Bruttoinlandprodukts erreicht. Dumm bloss, dass die deutsche Wirtschaft diese Spargelder gar nicht mehr absorbieren kann. 

Deshalb sind die Deutschen gezwungen, ihr Geld im Ausland anzulegen. Sie tun dies am liebsten in Europa, denn seit der Asienkrise 1998 trauen sie den Asiaten, und seit der Subprimekrise auch den Amerikanern nicht mehr. 

«Der gewaltige deutsche Sparüberschuss wird die europäische Wirtschaft in eine Deflationsspirale drängen.»
Lorenzo Bini Smaghi, Harvard-Professor

Europa befindet sich in einer Zwickmühle: Deutschland und seine Freunde im Norden wollen weiterhin sparen. Die Länder im Süden können und wollen diese Sparüberschüsse jedoch nicht mehr absorbieren. Das führt dazu, dass die europäische Einheitszone als Ganzes einen Sparüberhang aufweist, und das ist letztlich der Grund, weshalb eine Deflation droht. 

Bisher konnte der Ausbruch der Deflation verhindert werden, weil die deutsche Wirtschaft sich mit Exporten nach Russland und China über Wasser halten konnte. Die Ukraine-Krise und eine schwächer werdende chinesische Wirtschaft könnten dies jedoch bald ändern. Um eine «säkuläre Stagnation» zu verhindern, muss Deutschland daher den Binnenkonsum ankurbeln und vermehrt im eigenen Land investieren.

Das Patt in der Politik lähmt die Wirtschaft

«Wenn die einheimische Nachfrage nicht zunimmt und den Rückgang der weltweiten Nachfrage kompensiert, dann wird der gewaltige deutsche Sparüberschuss die europäische Wirtschaft in eine Deflationsspirale drängen», warnt Smaghi. «So sagt es die ökonomische Theorie, und so ist es in den 1930er-Jahren auch geschehen.» Die aktuelle Debatte ist alles andere als blosse Theorie. Sie droht, die europäische Wirtschaft zu lähmen. 

Armenspeisung: Arbeitslose bekommen etwas zu essen, Deutschland 1934.
Armenspeisung: Arbeitslose bekommen etwas zu essen, Deutschland 1934.Bild: Gamma-Keystone
«Die bei weitem grösste Gefahr (für die Weltwirtschaft) kommt von Europa.»
Economist

«Die bei weitem grösste Gefahr (für die Weltwirtschaft) kommt von Europa», stellt etwa der «Economist» fest. Das hat mit den politischen Verhältnissen innerhalb von Deutschland und seinen Beziehungen zu den wichtigsten EU-Partnern zu tun. 

Innenpolitisch gerät Angela Merkel unter Druck. Sie hat im Mai 2010 grünes Licht für ein Hilfsprogramm für Griechenland gegeben. Damit ist die Kanzlerin in den Augen der Ordoliberalen zu einer Verräterin geworden, weil sie gegen die Prinzipien des Vertrages von Maastricht verstossen habe. 

Ein paar Jahre und ein paar Hilfsprogramme später hat auch das deutsche Verfassungsgericht diese Sichtweise übernommen und einer Klage gegen die Geldpolitik der EZB grundsätzlich stattgegeben. Das endgültige Urteil haben die Karlsruher Richter jedoch an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg delegiert.

Auch die SPD hält sich still

Seit die europafeindliche «Alternative für Deutschland» überraschend gute Resultate in den Landtagswahlen erzielt, werden auch innerhalb der CDU kritische Stimmen gegen die Kanzlerin laut.

Die SPD ihrerseits hat sich auf einen unausgesprochenen Deal mit dem Koalitionspartner eingelassen: Hält die CDU ihre Versprechen bezüglich Mindestlohn und Rentenerhöhung, fordert sie keine Änderung der Europa-Politik.

Das bedeutet: Deutschland wird keine von den geforderten und dringend benötigten Investitionen tätigen, sondern auf seiner Sparpolitik beharren. Obwohl es ökonomisch gesehen absurd ist, ist ein ausgeglichenes Staatsbudget, – die «schwarze Null» –  zum derzeit wichtigsten Ziel der deutschen Regierung geworden.

Merkel stützt ihren Bu-Ba-Chef gegen Draghi

Damit sind Spannungen programmiert, beispielsweise im Verhältnis von Deutschland zur EZB. Die Kanzlerin hat bisher die Geldpolitik der EZB wenn auch nicht offen gestützt, so doch stillschweigend gebilligt. 

Das scheint sich zu ändern. Das «Wall Street Journal» berichtet nun, Angela Merkel gehe auf Distanz zu Draghi und stütze ihren Mann in Frankfurt, Bundesbank-Präsident Jens Weidmann. 

Merkel geht auf Distanz zu Draghi.
Merkel geht auf Distanz zu Draghi.Bild: FABRIZIO BENSCH/REUTERS

Weidmann ist ein geldpolitischer Hardliner und erklärter Kritiker der angelsächsischen Geldpolitik von Mario Draghi. Sein Verhältnis zum EZB-Präsidenten ist gemäss Insidern inzwischen «total zerrüttet und nicht mehr zu reparieren». 

Weidmann ist auch ein strikter Gegner des so genannten «Quantitative Easing» (QE), dem Aufkaufen von Vermögenswerten mit dem Ziel, die Zinsen tief zu halten. 

Mit diesem Instrument hat die US-Notenbank die amerikanische Wirtschaft wieder auf Vordermann gebracht. Doch Weidmann will auf keinen Fall, dass auch die EZB zu diesem Mittel greift. Er sieht ein Mittel, die Schulden Europas zu vergemeinschaften. 

Bundesbankchef Jens Weidmann: Strikter Gegener des «Quantitative Easing».
Bundesbankchef Jens Weidmann: Strikter Gegener des «Quantitative Easing».Bild: AFP

Der Kleinkrieg um die Neuverschuldung

Das Verhältnis von Deutschland zu seinen wichtigsten EU-Partnern hat sich ebenfalls abgekühlt, vor allem zu Paris und Rom. Der Hintergrund liegt im so genannten Fiskalpakt. Er verpflichtet alle Euroländer, die jährliche Neuverschuldung nicht über drei Prozent steigen zu lassen.

Italien befindet sich seit Jahren de facto in einer Rezession, Frankreichs Wirtschaft ist ebenfalls in schlechtem Zustand. Beide Länder haben deshalb angekündigt, dass sie die Vorgaben des Fiskalpaktes nicht werden einhalten können. 

Gemeinsam gegen Deutschland: Der italienische Premierminister Matteo Renzi (links) und sein französischer Amtskollege Manuel Valls (rechts).
Gemeinsam gegen Deutschland: Der italienische Premierminister Matteo Renzi (links) und sein französischer Amtskollege Manuel Valls (rechts).Bild: EPA

Ob, wann und wie der Fiskalpakt eingehalten werden kann – darüber tobt derzeit ein Kleinkrieg. Auf der einen Seite stehen Frankreich und Italien, auf der anderen die EU-Kommission.

Der Ausgang ist noch unklar, doch alle wissen: Im Grunde genommen geht es darum, ob Deutschland den anderen seine ordoliberale Sparpolitik aufzwingen kann oder nicht. Wie immer der Schuldenstreit auch ausgehen wird: Er wird nur Verlierer kennen. 

«Deutschland sieht gut aus, weil der Rest der Eurozone so schlecht dasteht.»
Alan Blinder, Ökonom an der Princeton University

Das grösste Verdienst der EU besteht darin, Deutschland in ein friedliches Europa eingebunden zu haben. Der Streit um die richtige Wirtschaftspolitik führt zunehmend zu einer neuen Entfremdung. Wie vor dem Ersten Weltkrieg sieht sich Berlin zunehmend isoliert, nicht militärisch, aber wirtschaftspolitisch.

Deutschland – der grosse Eurogewinner?

In den Augen fast aller Nicht-Deutschen ist Deutschland der grosse Eurogewinner, der von einer schwachen Einheitswährung profitiert und sich dabei überschätzt. «Deutschland sieht gut aus, weil der Rest der Eurozone so schlecht dasteht», stellt etwa der renommierte US-Ökonom Alan Blinder im «Wall Street Journal» fest.

Die Deutschen hingegen sehen sich als Opfer von EU-Partnern, die ihre Hausaufgaben partout nicht machen wollen, dringend nötige Reformen verweigern und stattdessen auf Kosten des deutschen Steuerzahlers faulenzen. Nur ganz wenige deutsche Ökonomen wagen es, diese Sicht in Frage zu stellen. 

«Die hohe Sparquote und in ihrer Folge die hohen Exportüberschüsse haben also den Wohlstand in Deutschland geschmälert, nicht erhöht.»
Marcel Fratzscher, Leiter des Instituts für Wirtschaftsforschung

Einer davon ist Marcel Fratzscher, Leiter des Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin. In seinem kürzlich erschienenen Buch «Die Deutschland Illusion» stellt er fest: «Deutschland hat in den letzten 20 Jahren seine Ersparnisse nicht gewinnbringend angelegt, sondern seit 1999 Verluste von über 400 Milliarden Euro angehäuft.

Die hohe Sparquote und in ihrer Folge die hohen Exportüberschüsse haben also den Wohlstand in Deutschland geschmälert, nicht erhöht.»

Fratzscher ist eine ziemlich einsame Stimme in der deutschen Ökonomenwüste. Er wird kaum erhört werden. Es braucht daher ein Paradox: Deutschland muss es wirtschaftlich schlechter gehen, damit es die Folgen seiner verfehlten Wirtschaftspolitik am eigenen Leibe zu spüren bekommt. Erst dann kann Europa wieder auf einen Aufschwung hoffen. 

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