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Die «Grafik des Grauens» zeigt Parallelen zwischen 1929 und heute – müssen wir jetzt zittern?

«Black Friday»: Am 24. Oktober 1929 brach die Börse an der Wallstreet ein.
«Black Friday»: Am 24. Oktober 1929 brach die Börse an der Wallstreet ein.Bild: AP NY
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Die «Grafik des Grauens» zeigt Parallelen zwischen 1929 und heute – müssen wir jetzt zittern?

Eine Börsengrafik sorgt derzeit für Aufregung. Sie zeigt, dass sich die Dow-Jones-Kurse vor dem grossen Crash 1929 und aktuell parallel entwickeln. Unser Autor Philipp Löpfe sagt, was davon zu halten ist.
19.02.2014, 15:2723.06.2014, 14:59
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Der amerikanische Ökonom Paul Samuelson hielt nicht allzu viel von den Prognosefähigkeiten der Börsenanalysten. «Sie haben neun der letzten fünf Rezessionen vorausgesehen», spottete er. Trotzdem tauchen immer wieder Grafiken und Statistiken auf, die uns weismachen wollen, dass eine Börsenhausse oder ein Crash unmittelbar bevorsteht. 

Die «Grafik des Grauens»: erstaunliche Parallelen?
Die «Grafik des Grauens»: erstaunliche Parallelen?

Besonders beliebt sind Kurven, die Parallelen zum Verlauf des Dow Jones in den wilden 1920er Jahren bis zum Crash im Jahr 1929 aufzeigen. Auch derzeit geistert wieder eine solche «Grafik des Grauens» durch die Finanzblätter. Was ist davon zu halten?

Zuerst zum Grundsätzlichen: In den Wirtschaftswissenschaften gibt es sehr viele Zahlen und Statistiken. Das verleitet zur Manipulation. Wer eine bestimmte These mit scheinbar objektiven Fakten untermauern will, findet in der Regel auch eine dazu passende Zahlenreihe oder Statistik. Dem Ruf der Ökonomie als Wissenschaft war dies nicht unbedingt zuträglich. 

«Die Börsenanalysten haben neun der letzten fünf Rezessionen vorausgesehen.»
US-Ökonom Paul Samuelson

«Trau keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast», soll Winston Churchill einst gegrollt haben. Der ehemalige US-Präsident Harry Truman geriet ob dem Zahlenwirrwarr seiner Wirtschaftsberater so in Rage, dass er vorgeschlagen hat, allen Ökonomen einen Arm abzuschlagen. «Nur so können wir verhindern, dass sie stets alles und nichts sagen mit dem Argument: on the other hand (andererseits).» 

Die Unternehmen haben kräftig verdient

Trotzdem herrscht in der Ökonomie nicht bloss Willkür. «Grafiken des Grauens» tauchen immer dann auf, wenn die Luft an den Börsen dünn geworden ist. Das ist derzeit der Fall. 2013 haben die Aktienbörsen rund um den Globus kräftig zugelegt. Das lässt sich einfach erklären: Aktienkurse werden durch zwei Faktoren bestimmt, den Preis des Geldes und das Kurs-Gewinn-Verhältnis. 

Beide Faktoren haben den Aktienboom befeuert. Um die Wirtschaft nach der Krise über Wasser zu halten, haben die Notenbanken den Preis für das Geld, die Leitzinsen, praktisch auf Null reduziert.

Die börsenkotierten Unternehmen ihrerseits haben kräftig verdient. Es handelt sich in der Regel um international tätige Konzerne. Sie konnten ihre Macht ausspielen und Löhne und Steuern drücken und so von der Krise profitieren. Die Gewinne der börsenkotierten Unternehmen in den USA haben letztes Jahr durchschnittlich um rund sechs Prozent zugelegt.

Die Zukunft sieht wenig rosig aus

«Trau keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.»
Winston Churchill

Aktienkurse sind jedoch stets zukunftsgerichtet, sie diskontieren erwartete Gewinne. Die Zukunft sieht, was Aktien betrifft, weniger rosig aus. Es zeichnet sich ab, dass die Notenbanken wieder zu normalen Verhältnissen zurückkehren werden, will heissen: die Zinsen anheben. Die Fed, die US-Notenbank, hat bereits mit dem Tapering begonnen, dem schrittweisen Ausstieg aus dem so genannten «Quantitativen Easing». Darunter versteht man das Phänomen, dass die Notenbanken im grossen Stil Anleihen aufkaufen, um so die Zinsen zu drücken. 

Das Tapering der Fed bringt grosse Unruhe in die Finanzmärkte. Geld, das zuvor auf der Suche nach einer höheren Rendite in die Schwellenländer geflossen ist, kehrt nun in die sicheren Heimathäfen zurück und bringt Länder wie die Türkei oder Brasilien ins Schleudern. Das wiederum kann im schlimmsten Fall eine verheerende Kettenreaktion auslösen, wie die Asienkrise 1998/99 gezeigt hat. Damals hat das schlagartige Abziehen des heissen Geldes zuerst Länder wie Thailand, Indonesien und Südkorea ins Elend gestürzt und später Brasilien und Russland. 

Auch die Unternehmensgewinne können nicht ewig weiter steigen. Den Multis geht es zwar blendend, den Menschen nicht. Nach wie vor stagnieren oder sinken die Einkommen der Erwerbstätigen. Das drückt auf die Nachfrage. In den USA ist das Wirtschaftswachstum moderat ausgefallen, die Europäer warten immer noch darauf. Von einem Aufschwung in Euroland wird viel geredet, aber wenig gespürt. Das führt dazu, dass die sozialen Spannungen steigen und die politischen Verhältnisse instabiler werden. Auch das ist Gift für die Aktienkurse.

Auch die Klügsten können sich irren

Heisst dies, dass die «Grafik des Grauens» als Vorboten eines Crashs ernst genommen werden müssen? Nur bedingt. Der Börsenboom 2013 ist auch ein Ausdruck davon, dass die Investoren daran glauben, dass die Krise langsam überwunden ist. Solange dieses Vertrauen anhält, ist ein Börsenunwetter nicht zu befürchten, und es ist möglich, dass auch die europäische Wirtschaft wieder Tritt fassen wird. 

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