Bereits am Dienstag hatten die EU-Aussenminister eine Verschärfung der Sanktionen gegen Moskau beschlossen, als Reaktion auf den Abschuss des malaysischen Passagierflugzeugs MH17. Dazu zählen Massnahmen in den Bereichen Rüstungsexporte, Finanzdienstleistungen, Energie und bei Gütern, die militärisch und zivil verwendet werden können, so genannte Dual-Use-Güter.
Wie die Sanktionen im Detail ausgestaltet werden, darüber brüten die EU-Botschafter der Mitgliedstaaten in diesen Stunden. Sie sind am Donnerstag in Brüssel in einem abhörsicheren Sitzungszimmer zusammengekommen. Den Teilnehmern der Sitzung ist es laut der Nachrichtenagentur AFP verboten, Mobiltelefone mit in den Raum zu nehmen. Das zeigt, wie delikat die Situation ist.
Doch bereits jetzt ist abzusehen, dass es bei den Rüstungsexporten weitreichende Ausnahmen geben soll. Die Einschränkungen würden nur die Zukunft betreffen, sagte der niederländische Aussenminister Frans Timmermans nach dem Treffen der EU-Aussenminister am Dienstag. Im Klartext heisst das: Waffendeals, die vor der Ukraine-Krise abgeschlossen wurden, werden von den Sanktionen nicht tangiert.
In diesem Zusammenhang stehen vor allem Frankreich und England im Fokus, aber auch die USA, die an ihren wirtschaftlichen Interessen eisern festhält. Eine Übersicht:
Obschon die USA und Grossbritannien den Druck auf Frankreich erhöht haben, wird die Erfüllung eines mit Russland geschlossenen Vertrags über die Lieferung von zwei Hubschrauberträgern des Typs «Mistral» nicht in Zweifel gezogen. «Der Vertrag war 2011 von der damaligen Regierung unterschrieben worden. Laut internationalen Regeln muss der signierte und bezahlte Vertrag erfüllt werden», erklärte Frankreichs Aussenminister Laurent Fabius. Mit 1,2 Milliarden Euro ist das der mit Abstand grösste Waffendeal zwischen der EU und Russland. Frankreich hat vorerst durchgesetzt, dass bestehende Verträge von einem Rüstungsembargo nicht tangiert werden.
Der britische Premier David Cameron spielt ein doppeltes Spiel: Während er den Rüstungsdeal zwischen Paris und Moskau scharf kritisiert, dealt London selbst mit Waffen – Abnehmer Russland. Dem Bericht des Waffenkontrollausschusses zufolge sind mehr als 250 Lizenzen für Exporte nach Russland weiter gültig. Zuvor hatte Premier Cameron erklärt, seit März keine Waffen mehr geliefert zu haben. Dafür setzte es Schelte von Frankreich: als «scheinheilig» bezeichneten die Sozialisten den britischen Premier.
Dass frostige Zeiten zwischen den zwei Grossmächten angebrochen sind, lässt sich bereits seit geraumer Zeit beobachten. Politik und Wirtschaft indessen sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Zwar haben die USA die Vermögenswerte von acht russischen Rüstungskonzernen eingefroren und den russischen Ölmulti Rosneft auf die Sanktionsliste gesetzt. Geht es aber um eine Zusammenarbeit des grössten US-Energiekonzerns Exxon Mobil mit Rosneft, drückt Washington gern ein Auge zu. Seit vergangenen Samstag schwimmt Exxons Bohrplattform West Alpha im Arktischen Meer, wo sie in Russland Schelf-Öl für ein Joint Venture mit Rosneft finden soll.
Wann genau die EU den Massnahmenkatalog verabschieden wird, ist noch offen. «Ich kann mir keine Entscheidung heute vorstellen», zitiert die AFP einen EU-Vertreter. Das werde wohl noch einige Tage dauern. Für den kommenden Dienstag ist eine weitere Sitzung der EU-Botschafter angesetzt, bei der die verschärften Sanktionen erneut diskutiert werden sollen. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass für einen Beschluss über Wirtschaftssanktionen trotz der politischen Sommerpause ein Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel einberufen wird.