Das britische Parlament hat grünes Licht gegeben. Premierministerin Theresa May kann nun den Artikel 50 der EU anrufen. Will heissen: Brüssel und London werden vor den Scheidungsrichter treten. Alles deutet auf eine Kampfscheidung hin. Sehr zum Unmut in Brüssel denkt man in London laut darüber nach, auf der Insel ein Steuerparadies einzurichten, um potente Unternehmen anzulocken. Die EU hat derweil die Abfindung ausgerechnet – und sie ist happig ausgefallen: 60 Milliarden Euro soll die Trennung den britischen Steuerzahler kosten.
Gleichzeitig fährt man auf beiden Seiten die Kampfrhetorik hoch. Premierministerin May verspricht den Briten den Fünfer und das Weggli. Sie will die ökonomischen Vorteile des Freihandels weiterhin erhalten, aber die politischen Risiken der Personenfreizügigkeit strikt begrenzen. (Warum kommt das uns Schweizern so bekannt vor?) Auf dem Kontinent kommt das gar nicht gut an. Selbst die den Briten relativ wohlgesonnene Angela Merkel winkt ab und warnt vor einem Rosinenpicken.
Es wird erwartet, dass May in den nächsten Tagen den Startschuss zur Scheidung geben wird. Dann haben die beiden Kampfhähne zwei Jahre Zeit, eine Lösung auszuhandeln. Das dürfte kaum gelingen, die juristischen Verstrickungen sind viel zu komplex.
Die Tatsache, dass sich die britische Premierministerin von einer moderat EU-freundlichen Haltung – sie war ursprünglich eine Brexit-Gegnerin – zu einer Hardlinerin gewandelt hat, macht das Ganze nicht einfacher. Inzwischen umgibt sich Theresa May mit militanten Brexit-Befürwortern wie Iain Duncan Smith und Liam Fox.
Gleichzeitig kann sie auf die Unterstützung von der «Daily Mail», der «Sun» und dem «Express» zählen. Auf der Insel hat sich bekanntlich eine speziell aggressive Version der Boulevardpresse durchgesetzt, die für einen hässlichen Chauvinismus sorgt. May lässt sich davon anstecken. So hat sie sich zur Drohung verstiegen, dass sie die Verhandlungen platzen lässt, wenn sie nicht erhält, was sie will. (Auch das kommt uns irgendwie bekannt vor.)
Das ist nicht nur pubertär, das ist ökonomischer Selbstmord. Die EU ist nach wie vor der mit Abstand wichtigste Handelspartner. China wird weder in naher noch in ferner Zukunft diese Lücke füllen können – und sollte sich May auf Donald Trump verlassen, dann kann man nur sagen: «good luck».
Auch innenpolitisch wird ein harter Brexit zum Hochrisiko-Spiel. Schottlands Premierministerin Nicola Sturgeon hat bereits ein zweites Referendum für die Unabhängigkeit angekündigt. Es soll 2019 nach dem Brexit stattfinden. Angus Robertson, Vize der Scottish National Party, erklärt, man wolle nicht «auf dem Rücksitz eines Tory-Buses sitzen und zuschauen, wie Premierministerin May diesen gegen die Wand fährt.» Die Schotten haben den Brexit mit einer Zwei-Drittels-Mehrheit abgelehnt.
Derzeit gibt es noch viele Unbekannte in der Brexit-Gleichung. Der Ausgang der Wahlen in Holland und Frankreich wird ihn massgeblich beeinflussen. Sollten die beiden EU-Hasser Geert Wilders und Marine Le Pen obenauf schwingen, dann hat Brüssel sehr schlechte Karten, und Theresa May könnte mit massgeblichen Konzessionen rechnen.
Das ist wenig wahrscheinlich. Wilders wird – ähnlich wie Blocher bei uns – eine feste Grösse der niederländischen Politik bleiben, doch er hat keine Chance auf eine Mehrheit. In Frankreich ist Emmanuel Macron Favorit für das Amt des Präsidenten – und er ist ein erklärter Euroturbo.
Kampfscheidungen haben die unangenehme Eigenschaft, dass am Schluss beide Seiten als Verlierer dastehen. Der Brexit wird keine Ausnahme sein. Die Rechnung für den chauvinistischen Triumph dürfte gesalzen ausfallen. «Wahrscheinlich wird der Brexit 2019 tatsächlich stattfinden, ohne dass es einen neuen Handelsvertrag geben wird», befürchtet Guido Rachman in der «Financial Times». «Für das Vereinigte Königreich dürfte das eine bedeutende Disruption und grossen Schaden zur Folge haben, und die EU wird ebenfalls unter weitreichenden Folgen zu leiden haben.»