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Wird aus Grossbritannien «Little England»?

Er will die Unabhängigkeit für Schottland und nennt sich Braveheart.Bild: PA
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Wird aus Grossbritannien «Little England»?

Ein selbstständiger Staat ist für die Schotten in greifbare Nähe gerückt. Das wäre fatal – vor allem für die Engländer.
06.02.2014, 11:2323.06.2014, 15:04
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Am 18. September können die Schotten darüber abstimmen, ob sie sich vom Vereinigten Königreich lossagen und einen eigenen Staat bilden wollen oder nicht. Ein Ja wäre nicht nur Ende einer 300-jährigen Union, auch die politischen Karten in Europa würden neu gemischt. Kein Wunder wächst die Nervosität auf der Insel, zumal Meinungsumfragen zeigen, dass die Schotten Gefallen an der Selbstbestimmung finden.

Dass Schottland selbstständig wird, ist keine Utopie. Als er noch auf der Oppositionsbank sass, hat selbst Premierminister David Cameron im Jahr 2007 in einem Artikel im «Daily Telegraph» geschrieben: «Die Anhänger der Unabhängigkeit können jederzeit Beispiele von blühenden und selbständigen Volkswirtschaften in Europa anführen, beispielsweise Finnland, die Schweiz oder Norwegen. Es wäre daher falsch zu behaupten, Schottland könnte nicht ebenfalls eine solche erfolgreiche Nation werden.» Diese Zeilen werden ihm heute von den schottischen Separatisten genüsslich um die Ohren gehauen. 

Öl, Gas, Whisky

Wirtschaftlich ist die Selbstständigkeit machbar. Dank Nordseeöl und Gas ist das Bruttoinlandprodukt der Schotten pro Kopf gerechnet grösser als das der Franzosen oder der Italiener. Sie gehören auch zu den 35 grössten Exporteuren der Welt. Nebst Öl sind auch ihr Whisky und eine breite Palette von anderen Gütern weltweit begehrt.

Die Wirtschaft der Engländer hingegen ist weniger breit abgestützt. Sie ist abhängig vom Finanzplatz, der City of London. Die reale Wirtschaft hingegen will nicht richtig in Fahrt kommen. Trotz eines aktuellen Konsumbooms sind auch 2013 die Investitionen der Unternehmen um fünf Prozent gefallen, und trotz eines butterweichen Pfunds sind die Exportzahlen nach wie vor im Keller. 

Bild: AP

Braveheart ist eine Art Wilhelm Tell der Schotten

Emotional verbindet die Schotten wenig mit ihren Nachbarn. Der mittelalterliche Widerstandskämpfer Braveheart – die schottische Antwort auf Wilhelm Tell – wird spätesten seit der Verfilmung mit Mel Gibson heiss geliebt und bei jedem Fussballduell mit England aufs neue beschworen. Mary Queen of Scotts und Bonnie Prince Charlie sind im Norden ebenfalls noch unvergessen. Generell werden die Engländer von den Schotten als arrogant empfunden, ein bisschen so wie die Deutschen von den Schweizern. 

Innenpolitisch hätte eine Abspaltung Schottlands vom Vereinigten Königreich zur Folge, dass die linke Labourpartei geschwächt würde. Ohne Stimmen aus dem Norden hätte sie Mühe, je wieder eine Mehrheit im Unterhaus zu erzielen. Trotzdem sind es vor allem die Konservativen, die sich gegenüber einem selbstständigen Schottland betont blasiert geben. Sie wünschen den Separatisten höhnisch viel Glück und nehmen sie kaum Ernst. 

Das Königreich würde um einen Drittel kleiner

Dabei sind die Konsequenzen weitreichend. «Auf einen Schlag würde das Königreich um einen Drittel kleiner« stellt der Economist fest. «Sein Einfluss auf die Welt wäre stark reduziert. Ein Land, das sich selbst nicht im Griff hat, ist kaum in der Lage, anderen Lektionen zu erteilen.» Die ehemalige Weltmacht wäre wieder eine unbedeutende Mittelmacht. Aus Grossbritannien würde definitiv wieder Little England. 

Auch in Europa würden sich die Kräfte verschieben. Die Schotten sind im Gegensatz zu den Engländern relativ EU-freundlich. Sie zeigen wenig Lust, die Union zu verlassen. Ganz anders die Engländer. Auf Druck seiner eigenen Partei und der aufstrebenden Anti-Europa Partei Ukip, geht David Cameron immer stärker auf Konfrontationskurs mit Brüssel. Er hat gar versprochen, nach einer erfolgreichen Wiederwahl eine Volksabstimmung über die weitere Zugehörigkeit des Vereinigten Königreichs durchführen zu lassen. Ein Brexit, ein Austritt Grossbritanniens aus der EU, ist damit mehr als eine theoretische Option geworden. 

Die europäische Gretchenfrage: Was ist eine Nation?

Was spricht gegen ein unabhängiges Schottland? Die Währung. Die Schotten teilen mit den Engländern nicht nur das Königshaus, sondern auch das Pfund. Bei einer Abspaltung käme daher die Bank of England in einen fast unlösbaren Konflikt. Welche Interessen soll sie mit ihrer Geldpolitik vertreten, die schottischen oder die englischen.

Bild: AP

Der Gouverneur der Bank of England, Mark Carney, hat bereits vor diesem Konflikt gewarnt, und Martin Wolf, Chefökonom der «Financial Times» plädiert vehement dafür, im Falle eine politische Abspaltung auf die Währungsunion platzen zu lassen. 

Selbstbestimmung und Demokratie

Die bevorstehende Volksabstimmung in Schottland bringt ein altes Problem der Europäer wieder auf das Tapet: Welches ist die kleinste politische Einheit, für die Selbstbestimmung gelten soll? Das Konzept stammt vom idealistischen US-Präsident Woodrow Wilson. An den Friedensverhandlungen in Paris 1919 versprach er den kriegsmüden Europäern unter dem Jubel der Massen eben diese Selbstbestimmung und Demokratie.

Sein eigener Aussenminister Robert Lansing hingegen machte auf die Schwachstelle dieses Versprechens aufmerksam: «Wenn er über ‹Selbstbestimmung› spricht, woran denkt er? An eine Rasse, an ein bestimmtes Territorium oder eine bestimmte Gemeinschaft?» fragte er. Mit anderen Worten: Was ist eine Nation?

Die Antwort darauf ist – wie Schottland wieder einmal zeigt – bis heute nicht gefunden worden. 

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