Angela Merkel lässt sich bekanntlich nicht so leicht aus der Fassung bringen. Auf die Neuauflage der Griechenkrise reagiert sie mit gewohnter Gelassenheit. Man werde nicht vom bisherigen Kurs abweichen, betont die Kanzlerin, und im Übrigen alles unternehmen, um zu verhindern, dass Griechenland die Eurozone verlässt.
Die Ruhe täuscht. Wie im Frühling 2010 und im Sommer 2012 ist Griechenland einmal mehr auch zum Sorgenkind von Angela Merkel geworden; und zwar gleich doppelt: ökonomisch und politisch.
Die wirtschaftliche Situation in Europa ist prekär, die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor gravierend, das Wachstum weit unter den Erwartungen. Die grösste Gefahr droht nun von einer Deflation. In Deutschland ist die Inflation im Dezember auf 0,1 Prozent gesunken, in einigen Ländern sinken die Preise bereits und in anderen experimentieren die Zentralbanken mit Negativzinsen. Jetzt droht der dramatische Einbruch des Ölpreises, die deflationären Tendenzen noch zu verstärken.
Wie die Ärzte bei Tumoren unterscheiden die Ökonomen zwischen harmloser und gefährlicher Deflation. Harmlos ist sie dann, wenn die Preise wegen Produktivitätsfortschritten sinken, wenn Computer oder Autos billiger werden, weil sie kostengünstiger hergestellt werden können. Gefährlich ist sie dann, wenn die Preise sinken, weil generell keine Nachfrage mehr besteht, sei es, weil die Konsumenten auf sinkende Preise hoffen oder schlicht kein Geld mehr haben.
Die meisten Ökonomen gehen davon aus, dass derzeit in Europa eine Deflation der gefährlichen Sorte droht.
Um dies zu verhindern, weiten die Zentralbanken die Geldmenge aus.
Die amerikanische und die englische Notenbank haben diese Geldmengenausweitung in den letzten Jahren mit Erfolg betrieben. (Die Schweizerische Nationalbank übrigens auch, wenn auch unfreiwillig zur Stützung der Frankenuntergrenze gegenüber dem Euro.) Jetzt will auch die Europäische Zentralbank mit dieser Geldpolitik – im Fachjargon Quantitative Easing (QE) genannt – der Wirtschaft unter die Arme greifen. Und damit beginnen die politischen Probleme.
Was von der EZB als Verhinderung einer drohenden Deflation gesehen wird, wird im deutschen Verständnis als unerlaubtes Bail-out der Defizitländer betrachtet. Ein QE ist nämlich nur dann wirksam, wenn im grossen Stil Staatsanleihen aufgekauft werden.
Die EZB muss daher auch spanische, italienische und griechische Anleihen kaufen. Für die Deutschen stellt dies eine Vermischung von Staatsschulden aus verschiedenen Ländern und damit einen gravierenden Verstoss gegen die Maastricht-Verträge dar.
Aus diesem Grund ist Jens Weidmann, der Präsident der deutschen Bundesbank, ein entschiedener und lautstarker Gegner eines QE in Europa. Er stösst auf breite Unterstützung, nicht nur bei den ordoliberalen Ökonomen, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit.
Die «Bild»-Zeitung beispielsweise schiesst auf alles, was nach deutscher Hilfe an die Defizitsünder riecht und fordert neuerdings die «rote Karte» für Hellas, will heissen: den Ausschluss aus der Eurozone.
Das Griechen-Bashing passt nur zu gut in die aktuelle Stimmung in Deutschland. Lange hat man geglaubt, die Deutschen seien wegen ihrer Nazi-Vergangenheit immun gegen faschistoide Tendenzen.
Nun zeigt der Wirbel um die Pegida-Demonstrationen und der anhaltende Erfolg der AfD, dass diese These revidiert werden muss. Auch Deutschland ist vom nationalistischen Virus angesteckt worden, und renitente Griechen werden so zum idealen Sündenbock.
Die Situation ist paradox: Ein tiefer Ölpreis und ein schwacher Euro sind an sich gute Voraussetzungen, um endlich auch die europäische Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Ökonomisch gesehen ist Griechenland relativ unbedeutend.
Im aufgeheizten politischen Klima wird es aber zunehmend unmöglich, das Problem vernünftig zu lösen. Stattdessen werden neue Popanzen aufgeblasen und populistische Scheinlösungen angeboten. Mit Gelassenheit allein dagegen anzukämpfen wird schwierig – selbst wenn man Angela Merkel heisst.