In den Schweizer Firmen ist die Zeit der Jahresgespräche angebrochen. Häufig werden die Arbeitgeber von ihren Beschäftigten mit der Bitte oder Forderung nach einem höheren Lohn konfrontiert. Josef Madlener kennt diese Situation, er weiss auch, was er erwidern muss: «Ich würde noch so gerne mehr zahlen, aber es geht einfach nicht.»
Er ist damit nicht allein. Seine Haltung reflektiert die Situation vieler kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) der Maschinen-, Elektro- und Metallbranche (MEM). Ihre Ertragslage ist schlecht. Der Verband Swissmechanic, der rund 1400 MEM-KMU vertritt, hat dieses Jahr wiederholt Warnmeldungen ausgesandt. «Über 50 Prozent unserer Mitglieder kämpfen ums Überleben», sagte Verbandspräsident Roland Goethe der «NZZ am Sonntag».
Dieses Wort würde Josef Madlener kaum in den Mund nehmen. Der gebürtige Vorarlberger, den die Liebe 1981 in die Schweiz gelockt hat, ist seit 27 Jahren Inhaber der Madlener Apparatebau AG in Dietikon im Limmattal. Der energische Mittfünfziger ist alles andere als ein trübsinniger Mensch. Doch er beschönigt nichts: «50 Prozent der KMU erzielen auf ihrem Umsatz eine Rendite von zwei bis drei Prozent. Das ist zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben.»
Im Klartext bedeutet dies: Sie kommen gerade so über die Runden, haben aber kein Geld für Investitionen etwa in neue Maschinen. Eine Notwendigkeit angesichts des technologischen Wandels, insbesondere weil sich das Hochpreisland Schweiz vorab durch Produkte aus dem Hightech-Bereich auf dem Weltmarkt behaupten kann. «Wer seine Maschinen nicht ersetzt, ist in fünf bis sechs Jahren weg vom Fenster», bringt es Madlener auf den Punkt.
Derartige Befunde bilden einen klaren Kontrapunkt zu den offiziellen Verlautbarungen zum Zustand der Schweizer Wirtschaft. Deren Aussichten hätten sich «deutlich aufgehellt», teilte etwa die Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich Ende Oktober mit. Und das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) sieht die Schweizer Konjunktur «trotz Risiken auf Erholungskurs».
Davon bemerken viele KMU aus dem Industriebereich rein gar nichts. In Sonntagsreden werden sie gerne als Rückgrat der Schweizer Wirtschaft abgefeiert. Tatsächlich fallen 99 Prozent aller Unternehmen in diese Kategorie, sie haben nach offizieller Definition weniger als 250 Beschäftigte. Zwei Drittel aller Arbeitsplätze in der Schweiz entfallen auf die kleinen und mittleren Unternehmen.
In der Öffentlichkeit aber werden sie kaum wahrgenommen. Das betrifft auch die Medien. Diese sind auf die grossen, global tätigen Konzerne fixiert. Sie reissen sich um Interviews mit den CEOs von ABB oder Sulzer, obwohl diese «Leitsterne» der Schweizer Wirtschaft fast nur noch im Ausland produzieren lassen, im Gegensatz zu den KMU, die im Inland tätig sind. Und die sich mit zunehmend schlechteren Rahmenbedingungen abmühen müssen.
Zwei Faktoren drücken auf die Gewinnmarge. Die Aufhebung des Euro-Mindestkurses von 1.20 Franken im Januar 2015 hat die Einnahmen der exportorientierten KMU schlagartig um 15 Prozent einbrechen lassen. Selbst Firmen mit gut gefüllten Auftragsbüchern sahen ihre Erträge dahinschmelzen. Mehr als 10'000 Arbeitsplätze wurden in der MEM-Branche seit Anfang 2015 abgebaut. Und Licht am Ende des Tunnels ist nicht in Sicht: Seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten fiel der Eurokurs auf 1.07 Franken.
Der Wechselkurs ist aber nur eine Seite der Medaille. Selbst Firmen wie jene von Josef Madlener, die überwiegend im Binnenmarkt tätig sind, müssen kämpfen. Grund ist der Preisdruck, für Madlener «das grösste Problem». Kunden vergleichen im Internet die Preise mit jenen der ausländischen Konkurrenz, die meist deutlich tiefer sind, und setzen so die Schweizer Firmen unter Druck. «Das ist seit Jahren der Normalfall», sagt der Dietiker Unternehmer.
Seine «Bude», wie Madlener sie selber nennt, ist ein Allroundbetrieb, der die ganze Bandbreite der Metallbearbeitung anbietet. Madlener ist spezialisiert auf «Notfälle». Wenn in einem Betrieb etwas kaputt geht, fertigt er Ersatzteile an. Und irgendwo geht immer etwas kaputt. «Wir sind der Problemlöser», sagt Madlener. Das bedingt hohe Flexibilität und Tempo: «Zu 80 Prozent stellen wir Einzelstücke her, das ist unsere Stärke.» Nur für treue Kunden produziert man «auf Halde».
Damit kann sich Josef Madlener in dem schwierigen Umfeld behaupten. Reich aber wird er nicht. Ausserdem macht ihm, dessen grösster Trumpf die Schnelligkeit ist, ein zusätzliches Problem zu schaffen: Viele Schweizer Unternehmen haben die Produktion dermassen verschlankt, dass sie kaum noch etwas auf Lager haben. Wenn er selber ein bestimmtes Teil braucht, ist es nicht sofort erhältlich. «Ich kaufe wenn möglich nicht im Ausland ein», sagt Madlener. Was aber soll er machen, wenn das gesuchte Teil in Deutschland nicht nur billiger, sondern auch sofort verfügbar ist?
Allen Widrigkeiten zum Trotz geben sich die Industrie-KMU kämpferisch. Sie bemühen sich, ihr Personal zu halten. «20 Prozent stellen sogar wieder ein», teilte Swissmechanic mit: «Sie handeln sozial, obwohl sie es sich eigentlich nicht leisten können.» Sozial ist dies jedoch nur bedingt: In den kleinen Betrieben bedeutet jede gestrichene Stelle einen Knowhow-Verlust. Das gilt auch für Josef Madlener, der in seiner Fabrik zwölf Mitarbeiter beschäftigt: «Ich kenne fast niemanden, der sich es sich leisten kann, einfach Leute zu entlassen.»
Irgendwann aber ist der Leidensdruck zu gross, nicht zuletzt aus dem Ausland. Firmen im nahen Süddeutschland «sind leistungsfähig und können qualitativ mithalten», sagte Swissmechanic-Präsident Roland Goethe der «NZZ am Sonntag». Dank dem schwächeren Euro sind sie wettbewerbsfähiger geworden. Und Osteuropa ist noch günstiger.
Nicht alle können widerstehen. Josef Madlener erzählt von einem Kollegen aus dem Bernbiet, «ein Eidgenosse», so der gebürtige Österreicher lachend. Mit anderen Worten: Ein Hardcore-SVPler. Er habe sich stets für die Produktion in der Schweiz eingesetzt, bis er eines Tages kleinlaut erklärte, dass auch er sich nach einem Standort im Osten umschaue. Es gehe nicht mehr anders.
Die KMU kämpfen an vielen Fronten, nicht nur mit dem Preisdruck. Sondern auch mit den Banken, die für Kredite 7 bis 8 Prozent Zins verlangen, und das bei negativen Leitzinsen. Oder mit den «aggressiven» Gewerkschaften. Und mit der Politik, in der «viele keine Ahnung haben, was an der Basis abgeht», sagt Madlener. Als Beispiel nennt er einen runden Tisch mit Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann. Am Ende habe dieser gesagt: «Wir haben vieles gehört, aber nichts, was wir nicht schon wussten.»
Für Kleinunternehmer Madlener ein erschütternder Befund. Man kennt das Problem, aber tut nichts dagegen. Deshalb meldet sich der Verband Swissmechanic vermehrt politisch zu Wort. Er unterstützt mit der Stiftung für Konsumentenschutz die Fair-Preis-Initiative. Umgekehrt bekämpft der KMU-Verband die Atomausstiegs-Initiative. Er kritisiert die Energiestrategie 2050 ebenso wie die Vorschläge der Ständeratskommission für einen verschärften Inländervorrang.
Die Lage aber bleibt schwierig. Und die Folgen könnten erst in einigen Jahren so richtig spürbar werden, wenn vielen Unternehmen «der Sprit ausgeht», wie es Swissmechanic-Direktor Oliver Müller im Juni im Gespräch mit watson ausdrückte. Ein Trost aber bleibt: Die Schweiz gilt als Globalisierungsgewinnerin. Mit ihren hoch spezialisierten Produkten wird sie sich auch in Zukunft auf den Weltmärkten behaupten können.
Oder?
Man muss nicht die Trump-Keule hervorholen, um diesen Befund anzuzweifeln. Wer glaubt, die ausländische Konkurrenz befinde sich in dieser Hinsicht im Tiefschlaf, wird ein böses Erwachen erleben. «Es ist eine Illusion, dass der Superhightech-Bereich uns vorbehalten ist», warnt Josef Madlener. Er hat einen Kollegen, der in Indien ein entsprechendes Unternehmen aufbaut. Geld spielt keine Rolle. Auch die Chinesen drängen in diesen Markt.
Der ganz grosse Schock könnte der Schweiz noch bevorstehen. Oder wie es Madlener ausdrückt: «Wenn wir weiterhin die Illusion pflegen, wir seien die Besten, geht irgendwann die Sonne unter.»
Na dann: Brace yourself..