«Hillbilly» ist weder ein Kosename noch ein Begriff für eine bestimmte Richtung der Countrymusic. «Hillbilly» ist ein Schimpfwort, das sich etwa mit «Hinterwäldler» übersetzen lässt. Die Hillbillies sind Nachkommen von Iren und Schotten, die es in die hintersten Winkel der Appalcachian Mountains verschlagen hat, dem riesigen Gebirgszug, der sich von Alabama über Georgia nach Ohio bis in den Bundesstaat New York erstreckt. Die Familie von J.D. Vance stammt ursprünglich aus einem Tal im Bundesstaat Kentucky, ist aber in die Industriestadt Middletown im Bundestaat Ohio ausgewandert.
Hillbillies sind harte Menschen, sehr harte sogar. «Ich denke, wir Hillbillies sind die verdammt härtesten Menschen dieser Erde», stellt J.D. Vance fest.
Sie mögen hart sein, derzeit sind sie aber vor allem verunsichert. Weil es in den abgelegenen Tälern keine Aussicht auf Arbeit gab, sind die Hillbillies nach dem Zweiten Weltkrieg in Industriestädte abgewandert. Doch diese sind zu einem «Rost-Gürtel» verkommen, die einst gut bezahlten Jobs sind verschwunden. Die Folgen sind verheerend: Arbeitslosigkeit, instabile Familienverhältnisse und Drogensucht prägen das Leben in den verlotterten Städten.
Auf diese Entwicklung war die weisse Mittelschicht sehr schlecht vorbereitet. Die beiden Princeton-Professoren Anne Case und Angus Deaton haben kürzlich in einer Studie nachgewiesen, dass die Lebenserwartung dieser Bevölkerungsgruppe erstmals seit langem wieder rückläufig ist.
Sie ist auch weniger widerstandsfähig als Schwarze und Hispanics. Das zeigt eine Studie der University of Michigan. Die Weissen hätten eine «höhere Selbstmordrate und würden mehr über Schmerzen klagen als die Schwarzen», fasst die «New York Times» das Ergebnis zusammen.
Nur wenige Hillbillies erlangen einen Hochschulabschluss, in der Schule sind Streber verpönt. Die meisten von ihnen betrachten sich als gottesfürchtige und hart arbeitende Menschen – und lügen sich dabei in die Tasche. «Man kann durch eine Stadt wandern, in der ein Drittel der jungen Männer weniger als 20 Stunden in der Woche arbeitet, und trotzdem hat keiner das Gefühl, er sei faul», schreibt Vance.
Das gleiche gilt für die Gottesfürchtigkeit: «Im südlichen Ohio, in Cincinnati und Dayton, gehen nur wenige regelmässig in die Kirche, etwa gleich viele wie im ultra-liberalen San Francisco.»
Die Hillbillies leben so in einer irrationalen Scheinwelt, stellt der bekennende Hillbilly J.D. Vance fest. «Wir leisten uns gigantische Flachbild-TVs und iPads. Dank den Kreditkarten tragen unsere Kinder nette Kleider. Wir kaufen Häuser, die wir nicht brauchen und nehmen darauf Hypotheken auf, um noch mehr Geld fürs Shoppen zu haben. (...) Und wenn der Spuk vorbei ist, sind wir pleite und haben nichts mehr.»
Selbstmitleid ist logische Folge dieser Entwicklung – und Hass. Die Schizophrenie zeigt sich am besten im Verhältnis zum scheidenden Präsidenten Barack Obama. Sie lehnen ihn nicht aus rassistischen Gründen ab, sondern weil er genau das verkörpert, was sie sein möchten.
«Barack Obama trifft uns genau dort, wo wir am meisten verletzbar sind», schreibt Vance. «Er ist ein guter Vater, was die wenigsten von uns sind. Er trägt Anzüge zur Arbeit, wir Overalls, wenn wir überhaupt Arbeit haben. Seine Frau sagt uns, wir sollten unseren Kindern gesunde Nahrung geben. Dafür hassen wir sie – nicht weil wir denken, dass sie nicht Recht hätte, sondern weil wir wissen, dass sie Recht hat.»
Die Hillbillies trauen weder den Medien noch dem Staat. Dieses Misstrauen ist nicht eine Weltanschauung im Sinne von «Mehr Freiheit, weniger Staat». Es ist eine tief gehende Skepsis gegenüber allen Institutionen, die letztlich in der Überzeugung mündet: «Es ist nicht dein Fehler, dass du ein Loser bist; es ist die Schuld der Regierung.»
Da liegt des Pudels Kern. Die Menschen im Rost-Gürtel wählen traditionellerweise Demokraten. Diesmal liefen sie in Scharen zu Trump über. Weshalb? Barack Obama sagte einst, diese Menschen würden sich in ihrer Verzweiflung an «Gott und die Gewehre» klammern, Hillary Clinton sprach von den «Beklagenswerten». Trump hingegen holte sie bei ihrem Selbstmitleid ab und tröstete sie mit seiner «der-Staat-ist-an-allem-Schuld»-Botschaft.
Langfristig wird die Rechnung der Hillbillies kaum aufgehen. Donald Trump besetzt seine Regierung mit Milliardären, Goldman Sachs-Banker und Generälen. An die Spitze des Arbeitsministeriums setzt er Andrew Puzder, ein Mann, der keine Erhöhung der Mindestlöhne will und die Gewerkschaften bekämpft.
Das scheint seine Wähler nicht zu kümmern. Sie befinden sich immer noch in einem Stimmungshoch, vor allem die weissen Männer. 96 Prozent sind voller Hoffnung und 74 Prozent von ihnen erklären, sie seien «stolz» auf ihre Wahl und überzeugt, dass Trump seine Versprechen halten und wieder massenhaft gut bezahlte Industriejobs schaffen würde. Das hat soeben eine Umfrage des Pew Instituts ergeben.