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Wie Theresa May Jeremy Corbyn zum Politstar gemacht hat

Teaserbild Theresa May Corbyn
Dank May wurde der Labourchef vom Hinterbänkler zum grössten Favorit für das Amt des Premierministers.bild: Fotomontage watson

Wie Theresa May Jeremy Corbyn zum Politstar gemacht hat

Der 68-jährige Labourchef ist der neue Politstar auf der Insel – und vielleicht bald auch der neue Premierminister.
04.10.2017, 15:1104.10.2017, 20:55
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Wirklich geplant war der Aufstieg des Jeremy Corbyn nicht. Als die Labourpartei nach ihrer Wahlschlappe im Jahr 2015 einen neuen Chef suchte, rutschte er eher zufällig auf die Liste der Kandidaten, als Zugeständnis an die Parteilinke, aber ohne jede Chance, den Posten zu erhalten. Corbyn galt zwar als prinzipientreu und integer, aber auch als intellektuell hoffnungslos hinter dem Mond.  

epa06226441 Jeremy Corbyn themed merchandise is sold at the Labour Party Conference in Brighton, Britain, 25 September 2017. Labour's annual party conference takes place in Brighton from 24 to 27 ...
Beliebtes Sujet auf T-Shirts: Jeremy Corbyn.Bild: EPA/EPA

Der Hinterbänkler aus dem Londoner Wahlkreis Nord-Islington wurde zur Konsternation der Parteioberen von der Parteibasis zum neuen Chef gekürt – und sogleich von der Opposition und den Medien mit Hohn und Spott übergossen. Kein Wunder: Corbyns Programm scheint in den 60er Jahren stecken geblieben zu sein. Er hasst die USA, schwärmt für Putin und südamerikanische Revolutionäre wie Hugo Chavez, will Grossbritannien aus der NATO führen und seine Atomwaffen einmotten.

«Die konservative Partei ist wie ein führerloses Auto: offensichtlich auf Crash-Kurs.»
Matthew d'Ancona

Corbyn will auch Banken, Bahnen und Energieunternehmen verstaatlichen, die Reichen und das Kapital stärker besteuern, hohe Mindestlöhne einführen und die Gebühren für Hochschulen abschaffen. Für liberale Ökonomen sind dies absurde Träumereien, die unweigerlich zu einem Kollaps der Wirtschaft führen würden.

Trotzdem ist der kauzige Rentner in diesem Sommer zum politischen Aufsteiger auf der Insel geworden. An Open-Air-Festivals wird er gefeiert wie ein Rockstar, Mütter taufen ihre Babys auf seinen Namen, in den Wettbüros wird er als Favorit für das Amt des nächsten Premierministers gehandelt. Derweil befindet sich die Labour Party, die bereits als klinisch tot diagnostiziert wurde, in einem Stimmungshoch und erlebt einen rekordverdächtigen Zustrom von jungen Mitgliedern, und zwar in Wahlkreisen, in denen sie bisher chancenlos war. «Labour legt in kosmopolitischen, urbanen Gegenden zu», vermeldet der «Economist» verblüfft.

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Boris Johnson bei seiner Rede am Parteitag in Manchester. Er ist zum Spaltpilz der Tories geworden.Bild: EPA/EPA

Ganz anders sieht die Lage beim ewigen Erzfeind aus, bei der Konservativen. Derzeit führen die Tories in Manchester ihren Parteitag durch und zerfleischen sich dabei öffentlich. «Uneinigkeit und dramatischer Vertrauens- und Machtverlust», stellt der «Guardian»-Kolumnist Matthew d’Ancona in der «New York Times» fest und fügt hinzu: «Während mehr als zwei Jahrzehnten habe ich diese Veranstaltung besucht. Noch nie schienen mir die Tories intellektuell so ausgepumpt und ohne Kampfeswillen zu sein. Die Partei ist wie ein führerloses Auto: offensichtlich auf Crash-Kurs.»  

Eigentlich hätten auch die Tories eine Chefin. Noch vor Jahresfrist wurde Theresa May als neue Maggie Thatcher gefeiert. Seit ihrer katastrophalen Wahlniederlage im vergangenen Juni ist sie eine «dead woman walking», wie sie der ehemalige Finanzminister George Osborne nannte. Dabei hatte May angesichts des vermeintlichen Corbyn-Kollapses der Labour Party mit einem triumphalen Wahlsieg und einer unanfechtbaren Mehrheit im Parlament gerechnet.  

Theresa May wird erniedrigt

Stattdessen wird die Premierministerin nun in Manchester regelrecht vorgeführt. Federführend ist dabei einmal mehr Boris Johnson. Der aktuelle Aussenminister und ehemalige Bürgermeister von London ist ein hemmungsloser Opportunist und noch hemmungsloserer Populist. Im «Daily Telegraph», dem Leibblatt der Konservativen, hat er vor ein paar Wochen einen Artikel platziert, in dem er seine Brexit-Vorstellungen schildert. Dabei plädiert er für einen ultraharten Austritt und wärmt einmal mehr die Mär von den hunderten Millionen Pfund auf, die anstatt nach Brüssel ins nationale Gesundheitswesen fliessen sollen.  

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Kämpft auf verlorenem Posten: Theresa May.-Bild: EPA/EPA

Johnson spielt ein fieses Spiel, das einzig darauf ausgerichtet ist, ihn zum Nachfolger von May zu machen. Er beteuert öffentlich seine Loylität zur Premierministerin und fällt ihr gleichzeitig bei jeder sich bietenden Gelegenheit in den Rücken. Innerhalb der Parteiführung ist er deshalb äusserst verhasst. Die Parteibasis und die Hinterbänkler jedoch lieben ihn.  

Premierministerin May hat zumindest teilweise erkannt, dass ihre «besser-keinen-Deal-als-ein-schlechter-Deal»-Haltung in Brüssel chancenlos ist. Sie ist deshalb bereit, nach dem beschlossen Brexit eine mindestens zwei Jahre lange Transitperiode einzuräumen, in der das Vereinigte Königreich alle Pflichten eines EU-Mitgliedes hat, aber keine Rechte. Diese realistische Einschätzung wird von Johnson gezielt untermauert, mit fatalen Folgen für das Land.  

Die Briten schulden der EU Milliarden

Video: srf

«Die rituelle Erniedrigung von Mrs May – und machen wir uns nichts vor, genau das ist es – hat Folgen, die weit über die Parteikonferenz und die Britischen Ufer reichen», stellt d’Anonca fest. «Die Austrittsverhandlungen mit der EU sind ein Härtetest selbst für eine starke Regierung. Wir aber haben eine der schwächsten Regierungen seit Menschengedenken.»  

Jeremy Corbyn kann sich derweil vergnügt die Hände reiben – und warten. Auch seine Position zum Brexit ist, milde ausgedrückt, verschwommen. Das spielt keine Rolle. Dank Mays fataler Fehlspekulation muss er nur darauf achten, dass sein Image als integrer Politiker nicht gefährdet wird – und sich überlegen, wie viele Katzen er mit an die Downingstreet 10 mitnehmen will.

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24 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Truth Hurts
04.10.2017 15:25registriert Mai 2016
"Für liberale Ökonomen sind dies absurde Träumereien, die unweigerlich zu einem Kollaps der Wirtschaft führen würden." - selten einen unreflektierteren, unzutreffenderen, ja schlicht dümmeren Satz gelesen. Korrekt müsste es heissen: Für neoliberale Ökonomen ein Alptraum, da damit die Umverteilung von unten nach oben und die Konzentration grosser Vermögen in den Händen weniger unweigerlich gebremst würde.
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Majoras Maske
04.10.2017 17:43registriert Dezember 2016
Wer findet wirklich Boris gut? Ein Politiker, der seinem Land bewusst schadet, nur um seine Karriere voran zu treiben, ist doch unwählbar. Sollte man meinen...
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bilbo
04.10.2017 16:41registriert Juni 2015
"Diese realistische Einschätzung wird von Johnson gezielt untermauert, mit fatalen Folgen für das Land."
"Unterlaufen" statt "untermauert" würde mehr Sinn machen, oder?
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