Lange haben sich Wissenschaftler aller Richtungen darüber gestritten, ob es so etwas wie eine digitale Revolution gibt oder ob sie bloss in den Gehirnen von Computer-Nerds existiert. Der Streit ist entschieden. Bücher über die «Dritte industrielle Revolution», das «neue Maschinenzeitalter» oder neuerdings über das «Internet der Dinge» füllen ganze Regale, Fachartikel dominieren die einschlägigen Magazine.
Bereits jetzt verändert sich unser Leben unter dem Einfluss der IT-Revolution: Unsere Autos werden zu Computern auf vier Rädern, unsere Smartphones zu einem Teil unserer Identität, und immer häufiger steuern mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Systeme unseren Alltag. «Technisch ist fast alles möglich geworden», fasst David Bosshart den aktuellen Stand der digitalen Revolution zusammen. «Mangel herrscht vor allem bei der menschlichen Vorstellungskraft.»
Bosshart ist Leiter des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI), der Denkfabrik der Migros. Im Auftrag der Swisscom hat das GDI eine ausführliche Studie über die «Zukunft der vernetzten Gesellschaft» gemacht, denn so wie einst Buchdruck, Dampfmaschine, Eisenbahnen, elektrischer Strom und Autos die politische und wirtschaftliche Ordnung umgekrempelt haben, wird dies auch die digitale Revolution tun. Aber wie?
Sharing Economy ist zu einem neuen Schlagwort geworden. Was genau darunter verstanden wird, ist – milde ausgedrückt – verschwommen. Für die einen ist Sharing Economy eine Art Gemeinwohl-Wirtschaft, in der Menschen im Überfluss leben und gar keinen Anreiz mehr zu einer Gewinnoptimierung verspüren. Die Wirtschaft wird nachhaltig und dezentral, der Mensch emphatisch und altruistisch.
Dieser optimistischen Variante steht eine düstere Techno-Diktatur gegenüber. Die neuen Vorzeige-Unternehmen der Sharing Economy wie der Taxibestelldienst Uber, die Wohnungsvermittlungs-Agentur Airbnb oder die Internetwährung Bitcoin werden von den Pessimisten nicht als die Vorboten eines altruistischen Paradieses gesehen, sondern als ein auf die Spitze getriebener Neoliberalismus.
Die Sharing Economy ist in dieser Sichtweise ein Etikettenschwindel: Sie ist nichts anderes als ein anderes Wort für einen Hardcore-Kapitalismus. Einige Vertreter der Sharing Economy – beispielsweise Uber-Chef Travis Kalanick – sind bekennende Anhänger von Ayn Rand, der Hohenpriesterin des Kapitalismus in seiner reinsten Form. Die Bitcoin-Fans träumen von einem digitalen Goldstandard und wollen die Zentralbanken abschaffen. Gewerkschaften und ein starker Staat werden von ihnen ebenfalls abgelehnt.
Die GDI-Studie kümmert sich nicht um solche ideologischen Grabenkämpfe. Sie entwirft ein differenzierteres Bild der Zukunft und stellt vier mögliche Szenarien der technologischen Revolution und ihrer Auswirkungen vor:
Darunter ist ein neuer Techno-Feudalismus zu verstehen: Eine schmale Elite beherrscht die neue Technik und lässt die Maschinen für sich und ihre Vormachtstellung arbeiten. Die Massen werden mit Spielen und Junkfood ruhig gestellt. Die Elite breitet sich global aus und dominiert die Wirtschaft. Sie lebt in einem sagenhaften Reichtum und profitiert von Privilegien. Die meisten Menschen müssen entweder Bullshit-Jobs verrichten oder sind arbeitslos.
Typisch für eine solche Entwicklung sind die USA.
Die Menschen werden techno-feindlich und verzichten zunehmend auf die Segnungen der digitalen Revolution. Stattdessen entscheiden sie sich für Ruhe, Langsamkeit und regionale Verankerung. Die Rolle des Altbewährten nimmt zu. Es entsteht eine Slow Economy mit lokalen Märkten und einer teilweisen Rückkehr zur Selbstversorgung. Die Bevölkerung wird älter und schrumpft, die materielle Grundversorgung wird teilweise vom Staat übernommen.
Typisch für diese Entwicklung ist Deutschland.
Die Menschen tauschen persönliche Freiheit gegen Bequemlichkeit ein. Sie übergeben Daten und Verantwortung ihrem Arbeitgeber, in der Regel einem Grossunternehmen. Die Daten werden wie im Film «Matrix» zentral gespeichert. Die Technologie wird aggressiv weiterentwickelt, ist aber knallhart interessengesteuert. Die Gesellschaft wird autoritär regiert und rigoros überwacht. Es herrscht starker Gruppenzwang und sozialer Anpassungsdruck.
Typisch für dieses Modell ist die Entwicklung in China.
Die Menschen leben so gut wie noch nie: Sie beherrschen Kommunikation und Produktion, die Macht ist dezentralisiert und flexibilisiert. Alle haben Zugang zu Wissen, digitaler Bildung und dezentralen Produktionsmitteln. Dank dem technischen Fortschritt wie 3D-Drucker wird jeder Konsument auch Produzent, es entsteht eine dezentrale Wirtschaftsorganisation, basierend auf Tausch und Selbstverwaltung. Politisch entsteht eine wahre Basisdemokratie, in der das Volk keine gewählten Vertreter mehr braucht, sondern jeder sich selbst vertritt.
Die Schweiz hat gute Voraussetzungen, diese paradiesische Gesellschaft Realität werden zu lassen.