Der Brexit auf der Insel hat zu einem politischen Nervenzusammenbruch geführt. In der «Financial Times» beschreibt Philip Stephens die Lage wie folgt:
In den Medien wird die glücklose Premierministerin Theresa May vorgeführt. So schreibt der «Economist» in seiner jüngsten Ausgabe: «Seit ihrem Wahldesaster hat Mrs. May mehrere letzte Chancen verpasst. Sie hat die Kommunikation nach der Brandkatastrophe des Grenfell Tower falsch angepackt. Sie hat sich durch eine Rede gestottert, in der sie sich als Premierministerin neu lancieren wollte. Und als sie ihr Kabinett umbilden wollte, verweigerten ihr einige Minister die Gefolgschaft.»
Diese gnadenlose Beschreibung der Situation stammt nicht aus obskuren Pamphleten der Opposition, sondern aus Publikationen, die zu den führenden nicht nur der Insel, sondern der Welt gehören.
Das Chaos und die schwache Premierministerin haben dazu geführt, dass sich die Konservativen sehnlichst eine neue Führungsfigur wünschen. Bisher ohne viel Glück. Aussenminister Boris Johnson hat zwar Ambitionen, er hat jedoch sein politisches Kapital, das er sich einst als Bürgermeister von London verdient hat, verspielt.
Mittlerweile gilt Johnson als Dummschwätzer. «Er rudert bloss mit den Armen und brabbelt etwas von ‹die Kontrolle zurückgewinnen›», spottet ein Kabinettskollege. Daher rückt ein gewisser Jacob Rees-Moog ins Rampenlicht, eine mehr als exzentrische Figur.
Der steinreiche, ehemalige Rothschild-Banker erscheint als Phänomen einer längst vergangenen Zeit, einer Zeit, in der Grossbritannien die Weltmeere beherrschte und London der Nabel der Welt war.
Politische Verdienste hat Rees-Moog keine. Er ist der Sohn eines ehemaligen Chefredaktors der altehrwürdigen «Times», neben dem selbst Margaret Thatcher in Sachen Neoliberalismus eine Sonntagsschülerin war. Er selbst fällt dadurch auf, dass er immer wieder an TV und Radio erscheint und sich dabei energisch gegen einen «Brino» wendet, einen «Brexit in name only».
Rees-Mogg ist nicht nur ein militanter Verfechter eines harten Brexit, er ist auch ein gläubiger Katholik, hat sechs Kinder, wehrt sich gegen die Homo-Ehe und könnte ohne Maske in «Mary Poppins» auftreten.
«Er ist der blaue Pass in menschlicher Form, oder die Fleisch gewordene rote Telefonkabine», spottet der «Economist». «Er ist die königliche Yacht ‹Britannia› in einem Nadelstreifenanzug; er erinnert uns an eine Welt, in der sich traditionelle Briten für nichts zu entschuldigen brauchten und sich nicht vor den Göttern des Multikulturalismus, des Feminismus, und vor Gesundheit und Sicherheit verbeugen mussten.»
Die Eigenschaften, die Rees-Moog bis vor kurzem zu einer Witzfigur gemacht hätten, machen ihn jetzt zu einer Kultfigur. Gerade junge Konservative bezeichnen ihn, anders als die auswechselbaren Tories wie David Cameron, als «authentisch». Für sie ist er eine Art Gegenpol zu Jeremy Corbyn geworden, dem ebenfalls kauzigen Anführer der Labour-Partei.
Politisch wäre Rees-Moog an der Spitze der Tories eine Katastrophe. Doch seine Chancen stehen nicht schlecht. Zwei Drittel der Mitglieder der konservativen Partei wollen einen harten Brexit, ohne Rücksicht auf Verluste. «God save the Queen», kann man da nur wünschen. Es besteht jedoch noch Hoffnung: Rees-Mogg erklärte einst, er werde eher Papst als Premierminister.