Donald Trump lügt, dass sich die Balken biegen, und er lügt plump. Jeder Mensch mit Augen im Kopf konnte sehen, dass an der Inauguration von Barack Obama 2009 mehr Menschen nach Washington gekommen waren als 2017. Die Unterstellung, dass Obama ihn im Wahlkampf belauscht hat, ist völlig aus der Luft gegriffen. Das hat nun auch der FBI-Chef James Comey vor dem Kongress bestätigt.
Warum lügt Trump so stümperhaft? Die Antworten könnten unterschiedlicher nicht sein. Verschiedene Psychiater vertreten inzwischen die These, der Präsident sei geistesgestört. Seine politischen Gegner halten ihn für inkompetent und total überfordert. Derweil sind seine Fans in der Wirtschaft überzeugt, dass Trumps Twitter-Theater nur Show ist, um seine Hillbilly-Wählerschaft bei der Stange zu halten.
Keine dieser Thesen vermag zu überzeugen. Die Ferndiagnose der Psychiater ist fraglich, die überhebliche Einschätzung der Wirtschaftsbosse nicht nur zynisch, sondern naiv. Eine These, die mehr einleuchtet, vertritt Tom Nicols in der jüngsten Ausgabe des Magazins «Foreign Affairs». Er ist Professor für nationale Sicherheit am U.S. Naval War College.
Nach der Annexion der Krim veröffentlichte die «Washington Post» das Resultat einer Umfrage, ob die USA nun militärisch intervenieren müssten. Nur sechs der Befragten konnten die Ukraine auf einer Weltkarte lokalisieren. Das bedeutete jedoch keineswegs, dass sie keine Meinung hatten. Im Gegenteil, je unwissender sie waren, desto ausgeprägter waren diese Meinungen. Diejenigen, die glaubten, die Ukraine sei in Südamerika, sprachen sich am vehementesten für ein militärisches Eingreifen aus.
«Unsere grösste Sorge ist heute, dass die Amerikaner ein Mass an Ignoranz aufweisen, bei dem Ignoranz als Tugend betrachtet wird», stellt Nichols fest. Diese Ignoranz geht einher mit einer zunehmenden Verachtung von Intellektuellen. Diese Verachtung hat es stets gegeben, doch inzwischen weist sie eine neue Qualität auf.
Der Historiker Richard Hofstadter sieht die Gründe dafür in einer paradoxen Entwicklung: «Ursprünglich wurden die Intellektuellen sanft verspottet, weil sie nicht wirklich gebraucht wurden; jetzt werden sie heftig abgelehnt, weil sie sehr stark benötigt werden.»
Der Hass auf eine intellektuelle Elite beschränkt sich nicht mehr auf Philosophen, Künstler und Journalisten. Auch Ärzte, Naturwissenschaftler und Ökonomen stossen auf Ablehnung. Michael Grove, Justizminister in der Cameron-Regierung, brachte es in der Brexit-Abstimmung auf den Punkt: «Das Volk hat die Schnauze voll von den Eliten.»
Ein mit Hilfe von Google und Wikipedia errungenes Pseudo-Wissen, ein ungebrochenes Selbstbewusstsein der Ignoranten und der Hass auf Eliten: Das ist typisch für die moderne Gesellschaft, nicht nur in den USA. Dies wiederum führt dazu, dass «Menschen überzeugt sind, dass sie Experten seien, auch wenn sie es nicht sind» wie Nichols schreibt. «Wir sind auf einer Party gefangen, auf der diejenigen, die am wenigsten wissen, die anderen im Brustton der Überzeugung mit einer Kaskade von Banalitäten belehren.»
Die Pseudo-Experten sind vollkommen beratungsresistent. «Es ist extrem schwierig, Menschen zu informieren, die im Zweifelsfalle einfach Dinge erfinden», stellt Nichols fest. «Die am wenigsten kompetenten Menschen erweisen sich auch als diejenigen, die am wenigsten realisieren, dass sie sich irren, und die am wahrscheinlichsten versuchen, ihre Ignoranz mit Lügen zu übertünchen.»
Ignoranz und Lern-Faulheit sind zu einer Bedrohung für die Demokratie geworden. «Wohlstands-Faschismus» ist mehr als ein Schlagwort. «Die Amerikaner (und viele andere Westler auch) sind wie Kinder geworden, weil sie in einer Welt leben, in der sie von Gadgets überflutet werden, die ihnen alles abnehmen», so Nichols. «Sie weigern sich, sich genügend Bildung anzueignen, die es ihnen ermöglichen würde, sich selbst zu regieren. Wir erleben den Kollaps eines funktionierenden Bürgertums mit verheerenden Folgen.»
So gesehen wird es verständlich, weshalb Trump schamlos lügen und sich sogar die Mühe ersparen kann, es raffiniert zu tun. Die Folgen für die Gesellschaft sind langfristig verheerend. «Mittlerweile haben die Amerikaner eine zunehmend unrealistische Erwartung entwickelt, was Politik und Wirtschaft ihnen ermöglichen können», so Nichols. «Das führt dazu, dass sie permanent frustriert werden. Wenn man den Menschen sagt, dass Armut und Terrorismus nicht über Nacht besiegt werden können, dann rollen sie die Augen. Weil sie die Komplexität ihrer Umgebung nicht erfassen können, wollen sie überhaupt nichts mehr begreifen. Stattdessen machen sie die Eliten dafür verantwortlich, dass sie ihr Leben kontrollieren.»
Trump nützt diese Entwicklung geschickt aus – und treibt alle, die noch an Fakten und Vernunft glauben, zum Wahnsinn. «Wann werden die Republikaner etwas unternehmen?», stöhnt etwa der TV-Satiriker Bill Maher. «Wenn Trump sich nackt auf dem Rasen wälzt, wroom-wroom macht und sagt: ‹Ich bin ein Rasenmäher?›»