Lange wollte es die Swiss gegen Aussen nicht eingestehen: Dass die Welt nach Corona auch in der Luftfahrt wohl für längere Zeit eine andere sein wird, und dass die Vor-Pandemie-Zahlen für mehrere Jahre Vergangenheit bleiben werden. Wie viele andere Fluggesellschaften prophezeite sie mit einer gehörigen Portion Zweckoptimismus, dass die Aviatik schon bald wieder zur Normalität zurückkehren werde.
Doch der neue Swiss-Chef Dieter Vranckx sprach am Donnerstag Klartext. Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt und der Präsentation der Jahreszahlen sagte er: «Die Nachfrage wird sich langfristig verändern, und sie wird kleiner sein.» Der 47-jährige Schweiz-Belgier hat Anfang Jahr den Steuerknüppel von Thomas Klühr übernommen. 2023 rechnet er höchstens mit einem Volumen von 80 bis 85 Prozent gegenüber 2019. «Auch wir nutzen täglich Skype und Zoom, und das wird nicht verschwinden.»
Im vergangenen Jahr resultierte ein Verlust von 654 Millionen Franken - die ersten roten Zahlen seit 15 Jahren. Der Umsatz sank um 65 Prozent und eine Erholung ist vorerst nicht in Sicht. Eine Redimensionierung der Swiss werde deshalb nötig, sagt Vranckx, der zuvor Chef von Brussels Airlines war. Und zwar im grösseren Ausmass, als bisher gedacht. «Wir müssen agiler und schlanker werden.»
Beim Personal ist dies zum Teil bereits erfolgt. 500 Stellen wurden durch Frühpensionierungen, Teilzeitmodelle und die natürliche Fluktuation abgebaut. Bis Ende Jahr sollen es 1000 sein. Und auch die Flotte werde kleiner werden, kündigte Vranckx an, der früher auch schon für die Swissair und die Swiss tätig war. Wie viele Flugzeuge bei der Swiss verschwinden, sei allerdings noch nicht entschieden.
Konkreter sehen die Pläne allerdings bei der Swiss-Schwesterairline Edelweiss aus, die von Vranckx präsidiert wird. Auf Frage von CH Media bestätigt er Gerüchte, wonach zwei Airbus-330-Langstreckenflugzeuge der Edelweiss nach Deutschland verlagert werden könnten, und zwar zur neuen Ferienfluggesellschaft Eurowings Discover. Diese ist wie Phönix aus der Asche aus den untergegangenen Lufthansa-Töchtern Sun Express und Germanwings auferstanden. Ein Grossteil der Angestellten dieser beiden Airlines wurde entlassen. Bei Eurowings Discover warten allerdings deutlich schlechtere Anstellungsbedingungen.
«Es stimmt, dass wir zwei Flugzeuge bei Edelweiss zu viel haben und die derzeit am Boden stehen», sagt Vranckx. «Wir prüfen deshalb alle Optionen. Eine Option ist eine Verlagerung zu Eurowings Discover.» Ein Abbau von zwei Langstreckenflugzeugen und entsprechenden Stellen in Zürich, die dann aber ab Frankfurt oder München für die Lufthansa fliegen sollen? Die Aussage ist brisant. Denn die Swiss und die Edelweiss haben die vom Bund gedeckten Bankkredite in der Höhe von 1,3 Milliarden Franken unter der Bedingung erhalten, dass der Standort Schweiz beim Wiederaufbau von der Lufthansa nicht vernachlässigt wird.
Entsprechend kritisch fällt die Stellungnahme der Piloten- und Kabinenpersonal-Verbände aus. «Der Standort Schweiz darf gegenüber anderen Konzernteilen der Lufthansa nicht benachteiligt werden, indem Material und Arbeitsplätze verschoben werden», sagt Thomas Steffen, Sprecher des Pilotenverbands Aeropers.
Noch deutlicher wird Sandrine Nikolic-Fuss, Präsidentin der Kabinengewerkschaft Kapers: «Die Aussage von Herr Vranckx ist befremdend.» Wenn dieser Fall tatsächlich eintrete, sei dies eine Bedrohung für den Aviatik-Standort Schweiz, da dieser Langstrecken-Verbindungen und Arbeitsstellen verlieren würde.
Fragt sich, ob in diesem Fall die Schweizer Luftfahrtstiftung aktiv würde. Sie wurde vom Bund im Zusammenhang mit der Kreditvergabe gegründet. Ihre Aufgabe ist es, den fairen Wiederaufbau des Geschäfts zu überwachen und sicherzustellen, dass die Swiss im Lufthansa-Konzern nicht vernachlässigt wird. Dies gilt insbesondere für die internationale Anbindung der Schweiz mit den Langstrecken-Verbindungen.
Entwarnung gab Finanzchef Markus Binkert bezüglich der finanziellen Situation. Zwar verliere man nach wie vor rund 2 Millionen Franken pro Tag. Vom staatlich garantierten Kredit habe man bisher rund eine halbe Milliarde Franken bezogen. Dieser reiche für das laufende Jahr aus, insbesondere wenn eine starke Erholung ab Sommer eintritt.
«Wenn wir 50 Prozent der Kapazität in der Luft haben, können wir den Mittelabfluss stoppen», sagt der Zürcher. Dann wolle man bereits Anfang 2022 damit beginnen, Teile des Kredites zurückzuzahlen. Und auch wenn der erhoffte Sommer-Boom ausbleibe, benötige man dieses Jahr keine weitere Staatshilfe, sagt Binkert. In dem Fall müsste man sich im Winter dann die Situation aber nochmals anschauen.
Um das Ausmass der Krise zu verbildlichen, machte Binkert zudem noch einen Vergleich, der es in sich hat: «Die Passagierzahlen sind vergleichbar mit jenen der Swissair aus dem Jahr 1973. Wir sind um 50 Jahre zurückgeworfen worden».