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11 Gründe, warum es mit Russland trotz Sotschi-Glanz bergab geht

Ein nachdenklicher Wladimir Putin vor seinem Auftritt an der Eröffnungsfeier in SotschiBild: Getty Images Europe
Riese auf tönernen füssen

11 Gründe, warum es mit Russland trotz Sotschi-Glanz bergab geht

Mit den Olympischen Winterspielen in Sotschi befindet sich der russische Präsident Wladimir Putin auf dem Höhepunkt seiner Macht. Der schöne Schein überdeckt, wie schlecht es um das Land steht.
08.02.2014, 07:0508.02.2014, 20:47
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Seit 1999 ist Wladimir Wladimirowitsch Putin der starke Mann Russlands. Mit den Olympischen Winterspielen in Sotschi hat sich der ehemalige KGB-Mann aus St. Petersburg schon zu Lebzeiten ein Denkmal gesetzt. Die mit immensem Aufwand errichteten prunkvollen Sportstätten lassen Russland als moderne Grossmacht erscheinen.

Doch hinter dem schönen Schein von Sotschi steckt ein Sumpf aus Korruption, Schlamperei, Enteignungen und Umweltschäden. Für das Land ergibt sich ein ähnlich unerfreuliches Bild. «Wo es zählt, ist Russland schwach», meint das Wirtschaftsmagazin «The Economist». Es bezeichnet das riesige Land in Anspielung auf Olympia als «Eiskunstläufer auf tönernen Füssen». Was läuft schief?

Abhängigkeit von Öl und Gas

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Bild: EPA

Die russische Wirtschaft hängt mehr denn je von Rohstoffen ab. Öl und Gas machen 75 Prozent aller Exporte aus. Zu Zeiten der Sowjetunion waren es weniger als 70 Prozent. Die seit Putins Amtsantritt stark gestiegenen Preise verhalfen Russland zu hohen Wachstumsraten und vollen Kassen, was wiederum Wohltaten für die Bevölkerung ermöglicht. Doch mit dem Fracking-Boom in den USA und anderen Ländern dürften die Preise und dieses Wirtschaftsmodell unter Druck geraten.

Mangelnde Wettbewerbsfähigkeit

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Bild: MARTIN RUETSCHI

Im letzten Jahr wuchs die russische Wirtschaft noch um 1,3 Prozent. Die Industrie ist veraltet (im Bild die Stadt Magnitogorsk) und ineffizient. Sie leidet unter hohen Lohnkosten und einer geringen Produktivität. Die meisten Konsumgüter werden deshalb importiert. Die OECD forderte Russland zu Strukturreformen auf, um die Wirtschaft wettbewerbsfähiger und weniger abhängig vom Energiesektor zu machen.

Grassierende Korruption

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Im neusten Korruptions-Index von Transparency International liegt Russland auf Platz 127 von 175 Staaten. Deutlicher lässt sich die Misere kaum beziffern. Ein grosser Teil der geschätzten 50 Milliarden Dollar für die Spiele in Sotschi (Bild) versickerten in dunklen Kanälen. Als besonders korrupt gilt die russische Bürokratie. Selbst Wladimir Putin beklagte sich darüber in seiner letztjährigen Rede zur Lage der Nation. Für Regimekritiker aber ist der Präsident selber Teil des Problems.

Abwanderung von Geld und Geist

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Die Korruption und fehlende Perspektiven bewegen viele junge Russen dazu, ihr Glück im Ausland zu suchen. Umfragen zeigen, dass rund 50 Prozent der Russen Auswanderung für legitim halten. Knapp 1,5 Millionen sollen diesen Schritt in den letzten Jahren in die Tat umgesetzt haben. Doch nicht nur die Menschen verlassen das Land, sondern auch das Kapital. Oligarchen wie Wiktor Wekselberg investieren lieber in der Schweiz und in anderen Ländern als in der Heimat.

Alkoholmissbrauch

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Gif: YouTube/watson

Der Wodka-Konsum der Russen ist berüchtigt. Eine neue Studie hat ergeben, dass rund 25 Prozent der Männer vor dem Alter von 55 Jahren sterben. Ursache: Alkoholmissbrauch. Die Lebenserwartung der männlichen Bevölkerung liegt bei 64 Jahren (Schweiz: 80 Jahre). Die volkswirtschaftlichen Schäden sind ebenfalls immens. Die Regierung hat die Gesetze verschärft, und tatsächlich nimmt der Alkohol-Konsum seit einigen Jahren ab und die Lebenserwartung zu. Doch die Menge an sich ist nicht das Problem, sondern das häufige Komasaufen.

Medien und Internet unter Druck

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Bild: AP

In der Rangliste der Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen rangierte Russland 2013 auf dem 148. Rang von 179 Ländern. Die Medien werden weitgehend vom Staat kontrolliert, besonders das Fernsehen, das wichtigste Informationsmedium. Die wenigen Privatsender haben nur eine geringe Reichweite. Die grössten Freiräume bietet das Internet, doch die Gesetze zur Sperrung von Webseiten und zur Überwachung durch die Geheimdienste wurden in letzter Zeit laufend verschärft. Und das in jenem Land, das dem US-Whistleblower Edward Snowden Zuflucht gewährt hat.

Repression gegen Andersdenkende

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Kurz vor Olympia liess Wladimir Putin die Mitglieder der Punkband Pussy Riot (Bild) frei, ebenso den seit zehn Jahren inhaftierten Oligarchen Michail Chodorkowski. Auch der prominente Blogger Alexei Nawalny bleibt trotz Verurteilung vorerst in Freiheit. Doch seit Putins Wiederwahl 2012 landeten Organisatoren von Protestdemos im Gefängnis. Ausserdem wurden repressive Gesetze erlassen. So müssen sich NGOs, die Geld aus dem Ausland erhalten, als «ausländische Agenten» registrieren lassen. In den letzten Tagen wurden zudem zwei Umweltaktivisten zu mehrtägigen Haftstrafen verurteilt. Sie wollten auf die Umweltschäden durch die Olympischen Spiele hinweisen.

Bedrohung durch Terrorismus

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In einer Studie des internationalen Instituts für Wirtschaft und Frieden, in der die Terrorgefahr in 158 Ländern analysiert wurde, liegt Russland auf dem unrühmlichen 9. Platz. Ursache ist der islamistische Terror, der seit den beiden Tschetschenien-Kriegen das Land erschüttert. Die meisten Anschläge ereignen sich in den Kaukasus-Republiken, doch auch Moskau oder zuletzt die Stadt Wolgograd (Bild) waren betroffen. Ausser Repression kennt die Regierung kein Gegenmittel. Kritiker monieren, dass die gigantischen Summen für die Olympischen Spiele besser in die wirtschaftliche Entwicklung der Region investiert worden wären.

Aussenpolitische Kraftmeierei

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Bild: AP/RIA Novosti/Kremlin

Wladimir Putin hat den Zerfall der Sowjetunion als «grösste geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts» bezeichnet. Nun strebt er eine Art Neuauflage an, in Form einer Zollunion mit den Nachbarstaaten. Deshalb sabotierte er die Annäherung zwischen der Ukraine und der EU. Auch im Syrien-Konflikt geht Russland mit der bedingungslosen Unterstützung für Diktator Baschar al-Assad auf Konfrontationskurs mit dem Westen. Kritiker warnen jedoch, dass Russland sich damit auf längere Sicht international isolieren könnte.

Fehlender politischer Pluralismus

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Bild: AP RIA Novosti POOL

Russland hat eines der restriktivsten Parteiengesetze Europas. Zahlreichen Gruppierungen wurde die Zulassung verweigert, unter anderem dem Bündnis «Das andere Russland», zu dessen prominentesten Exponenten der frühere Schachweltmeister Garri Kasparow gehört. Die dominierende Kraft ist die Putin-Partei Einiges Russland (Bild). Sie kam bei den letzten Parlamentswahlen 2011 auf 49,3 Prozent der Stimmen und damit auf die absolute Mehrheit der Sitze. Deutliche Indizien für Wahlfälschungen führten zu den grössten Protestkundgebungen in der jüngeren Geschichte des Landes.

Wladimir Putin

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Der heute 61-jährige Präsident hat nach seiner Wahl zum Nachfolger von Boris Jelzin mit dem Chaos der 1990er Jahre aufgeräumt. Das bescherte ihm eine hohe Popularität. Gleichzeitig aber hat er es versäumt, die erwähnten Probleme ernsthaft anzupacken. Für den schleichenden Niedergang Russlands trägt er die Hauptverantwortung. Immer mehr Russen scheinen dies zu erkennen. Laut Umfragen wollen rund 50 Prozent nicht, dass Putin bei der nächsten Präsidentschaftswahl 2018 erneut antritt.

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