Das Versteckspiel funktioniert noch ein Jahr: Spätestens in den Geschäftsberichten für 2016 müssen alle Krankenversicherer die Löhne der Top-Manager offenlegen. Dies verlangt das im Januar in Kraft getretene Krankenversicherungsaufsichtsgesetz (KVAG).
Von dieser Schamfrist profitieren noch viele kleine Krankenkässeli, wie eine Umfrage der «Nordwestschweiz» ergeben hat. Sie verheimlichen die Bezüge der Mitglieder ihrer Aufsichtsgremien und Geschäftsleitungen (GL) in den Geschäftsberichten.
Ausnahmen gibt es. Auf Anfrage legen die Chefs der KK Birchmeier und der Vita Surselva mit rund 5000 respektive 10'000 Grundversicherten ihre Löhne offen. Sie verdienen beide rund 120'000 Franken. Die Aquilana publiziert die Bezüge ihres Verwaltungsrats (VR) und der Geschäftsleitung für 2015 gar erstmals im Geschäftsbericht, allerdings ohne Sozialleistungen und Spesen anzugeben.
Aufgeführt sind die beiden höchsten Entschädigungen, die des Vizepräsidenten und diejenige von Dieter Boesch. Dieser ist bei der einstigen ABB-Kasse gleichzeitig VR-Präsident und Geschäftsführer. Für beide Ämter bezieht er 295'400 Franken. Das allein ist ein stolzes Salär für die Führung eines Krankenversicherers mit nur 46'859 Grundversicherten.
* Ohne Vorsorgebeiträge und Spesen
** Auf Anfrage offengelegt. Ohne Vorsorgebeiträge und Spesen
*** Schätzung «Aargauer Zeitung», ohne Vorsorgebeiträge und Spesen
**** Auf Anfrage offengelegt. Inkl. Vorsorgebeiträge.
*****Ohne Sozialleistungen, inklusive Spesen
****** Bezüger der höchsten VR-Entschädigung
Quelle: Geschäftsberichte/Aargauer Zeitung
Doch der Kassenpatron von Baden kassiert noch mehr. Die Aquilana ist Mitglied des Verbands der kleinen und mittleren Krankenkassen sowie Santésuisse, des grössten der drei Branchenverbände. Dieter Boesch sitzt als Vizepräsident in deren Aufsichtsgremien.
Dazu kommen Mandate bei Tochtergesellschaften und der Pensionskasse von Santésuisse. Die Honorare und Sitzungsgelder darf er behalten. Sie dürften sich 2015 laut gut unterrichteten Quellen auf mehr als 50'000 Franken belaufen haben. Dazu kommen Spesenentschädigungen.
Dass ein Kassenmanager Honorare für Mandate wahrnehmen darf, ist heute bei den führenden Krankenversicherern verpönt. Ausser Boesch und Atupri-Chef Christof Zürcher müssen alle Santésuisse-VR-Mitglieder Entschädigungen für solche im Auftrag der Firma wahrgenommenen Mandate an ihren Arbeitgeber abgeben.
Boeschs konservativ geschätzte Entschädigung beläuft sich also auf mehr als 345'000 Franken – ohne Sozialleistungen und Spesen, die auch der Prämienzahler berappt. Damit übersteigt sein Jahresverdienst derjenige von weit grösseren Versicherern bei weitem (siehe Grafik). Es soll aber auch andere kleine Kassen mit hohen Cheflöhnen geben.
Dies lässt sich im nächsten Geschäftsbericht nicht mehr verstecken. Dann müssen alle Versicherer die Summen der Entschädigungen ihres VRs und der Geschäftsleitung publizieren. Zudem ist vorgeschrieben, die höchsten Bezüge zu veröffentlichen. Die gehen in der Regel an den CEO respektive den Vorstands- oder VR-Präsidenten.
Weiter gehen CSS, Helsana, KPT und Sanitas. Die Mitglieder des Verbands Curafutura legen die totale Kompensation ihrer Führungsgremien offen. Aufgeführt sind auch Sozialleistungen, Spesen und weitere sonstige Bezüge – auch diejenigen für die CEOs und der VR-Präsidenten.
Sie halten sich damit an die Transparenzvorschriften des Obligationenrechts, wie sie für börsenkotierte Gesellschaften gelten. Die Mitglieder des grössten Branchenverbands, Santésuisse, konnten sich bisher nicht dazu durchringen, die Offenlegung der Honorare ihrer Führungsgremien einheitlich festzulegen.
Daher entscheidet jede Santésuisse-Kasse für sich, wie sie die Löhne offenlegt. Viele Kleinen kneifen – oder veröffentlichen nur die Summe der Entschädigung des Vorstands oder VRs. Andere, wie die Agrisano, die EGK oder die ÖKK, legen die Löhne seit Jahren zumindest auf Anfrage offen. Dies gilt auch für die Assura, die ihren Geschäftsbericht 2015 noch nicht publiziert hat.
Die grossen Santésuisse-Versicherer sind bereits transparent. So publiziert selbst die Groupe Mutuel seit vergangenem Jahr die Cheflöhne. Es gibt auch keinen Grund mehr, die Zahlen zu verheimlichen wie früher: Die Zeiten der siebenstelligen Gehälter für die Kassenfürsten sind vorbei. Generaldirektor Paul Rabaglia kommt auf 483'466 Franken.
Das sind rund 30'000 Franken mehr als im Vorjahr. Allerdings übernahm er den Chefsessel erst im April 2014. Einen Glanzstart legte er nicht hin: 2015 resultierte im Geschäft mit der obligatorischen Krankenversicherung ein Verlust von 185 Millionen Franken.
Die Entschädigung eines Vorstandsmitglieds des Walliser Versicherers mit 1,23 Millionen Grundversicherten beträgt höchstens 100'000 Franken, diejenige der Präsidentin Karin Perraudin höchstens 220'000 Franken. Obwohl sein Krankenversicherer nicht mal halb so gross ist wie die Groupe Mutuel, bezieht Concordia-Verwaltungsratspräsident Andreas Lautenschlager noch mehr.
Bei den CEOs erhielt Daniel Schmutz von der Helsana-Gruppe am meisten. Er kassierte 268'000 Franken mehr als im Vorjahr. Der satte Lohnsprung ist Wasser auf die Mühlen der Präsidentin der Grünen, Regula Rytz. Sie fordert eine Beschränkung der Löhne im parastaatlichen Bereich, etwa bei Krankenversicherern oder Spitälern. Deren Lohn-Transparenz lässt auch zu wünschen übrig, sagt ÖKK-Chef Stefan Schena: «Es wäre an der Zeit, dass nicht nur Krankenversicherer die Löhne der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrats offenlegen müssten, sondern auch Leistungserbringer wie öffentliche und private Spitäler informieren müssten, was ihre Direktoren sowie Chefärzte verdienen.» Das Gleiche gelte auch für freipraktizierende Ärzte, insbesondere die Spezialärzte.