Wirtschaft
Schweiz

«Die Rolex, die Yacht, das süsse Nichtstun, der edle Zwirn. Frau Kühne, was ist eigentlich Luxus?»

Dr. Martina Kühne ist Senior Researcher am GDI Gottlieb Duttweiler Institut.
Dr. Martina Kühne ist Senior Researcher am GDI Gottlieb Duttweiler Institut.bild: zvg
Interview über das Leben im Luxus

«Die Rolex, die Yacht, das süsse Nichtstun, der edle Zwirn. Frau Kühne, was ist eigentlich Luxus?»

Die Luxusindustrie legt jedes Jahr ein fulminantes Wachstum hin. Aber was verstehen wir eigentlich unter dem Begriff Luxus und was ist Deathstyle? watson sprach mit Trendforscherin Martina Kühne über das dekadente Leben und was die junge Generation davon hält. 
28.09.2014, 08:5428.09.2014, 11:45
Gelöschter Benutzer
Folge mir
Mehr «Wirtschaft»

Bling-Bling, Glitzer und Glamour – der Luxusmarkt, der heute weltweit 217 Milliarden Euro umsetzt und 330 Millionen Konsumenten umfasst, wird nach Schätzungen der Analysten von Bain & Company bis ins Jahr 2030 auf rund 500 Millionen Menschen anwachsen. Das sind schwindelerregende Zahlen und ein Ende des fulminanten Wachstums ist nicht abzusehen.

1645 Milliardäre gibt es weltweit

GDI-Studie «Der nächste Luxus»

Aber was verstehen wir eigentlich unter Luxus? Die Rolex, das Fünf-Sterne-Hotel, die Millionen teure Yacht, gute Gesundheit oder ein Sabbatical – das süsse Nichtstun? Darüber Gedanken gemacht haben sich Martina Kühne und David Bosshart vom Gottlieb Duttweiler Institut. Die Trendforscher gingen der Frage nach, was uns in Zukunft lieb und teuer sein wird. watson sprach mit Mitautorin Martina Kühne.

Ich besitze einen Computer, ein Smartphone, ein Tablet, eine Skiausrüstung, ein Motorrad, hübsche Kleider und vieles mehr. Ich kann mir teure Ferien leisten, gehe oft auswärts essen, kaufe im Reformhaus ein und lebe in einer geräumigen Wohnung. Frau Kühne, ist das Luxus?
Martina Kühne: Luxus ist ein wandlungsfähiges Konzept, das je nach Mensch und Geschmack unterschiedlich ist. Eine Flasche Champagner, ein Burberry-Schal oder eine Nacht im Fünf-Sterne-Hotel ist für manche Menschen Luxus. Aber auch das Nichtstun im Liegestuhl, also Zeit haben für sich, ist für viele Menschen zu einem Luxus geworden. Luxus wird heute – viel mehr noch als früher – individueller definiert und hat eher mit Lebensqualität zu tun, denn mit materiellen Dingen (siehe Box: «Die Phasen des Luxus» am Ende des Artikels).

Kühne: «Kanye West und Kim Kardashian stehen mit ihren zur Schau gestellten finanziellen Mitteln prototypisch für einen solchen Luxus.» 
Kühne: «Kanye West und Kim Kardashian stehen mit ihren zur Schau gestellten finanziellen Mitteln prototypisch für einen solchen Luxus.» Bild: AP Vogue
«Die gesellschaftliche Toleranz gegenüber einem dekadenten Lebensstil hat abgenommen.»

Ein zur Schau gestellter Luxus, wie ihn beispielsweise Kanye West und seine Frau Kim Kardashian pflegen, ist für viele immer noch erstrebenswert.
Streng übersetzt heisst Luxus Verschwendung. Kanye West und Kim Kardashian stehen mit ihren zur Schau gestellten finanziellen Mitteln prototypisch für einen solchen Luxus. Für junge Menschen mag das cool sein, doch dieser demonstrative Prunk ist immer auch mit ethischen und moralischen Fragen verbunden. Nicht allen gefällt das, viele lehnen ein solches Gebaren ab.

2012 erreichten die Schweizer Uhrenexporte ein historisches Rekordvolumen von über 21 Milliarden Franken

GDI-Studie «Der nächste Luxus»

Dennoch versprüht dieser Lebensstil – vor allem für junge Menschen – eine hohe Anziehungskraft. Leben wir eigentlich in dekadenten Zeiten?
Nein. Man sieht das auch daran, dass die gesellschaftliche Toleranz gegenüber einem dekadenten Lebensstil abgenommen hat. Themen wie Nachhaltigkeit sind in unser Bewusstsein gedrungen. Die Gesellschaft, zumindest die unsrige, setzt sich heute viel stärker mit Qualitätsfragen auseinander.

Kühne: «Das Nichtstun ist für viele Menschen zu einem Luxus geworden.»
Kühne: «Das Nichtstun ist für viele Menschen zu einem Luxus geworden.»Bild: shutterstock
«Wir achten vermehrt auf Herkunft, Qualität und ethische Standards.»

Sind Sie sicher? Sind wir nicht viel eher konsumwütige Wesen, die Billig-Kleiderläden plündern und jedes Jahr ein neues Smartphone brauchen?
Ich beobachte ein Umdenken. Zum Ausdruck kommt dies beim Nahrungsmittelkonsum. Wir achten vermehrt auf Herkunft, Qualität und ethische Standards. Food-Waste ist ein Thema, das die Gesellschaft umtreibt. Natürlich ist das Bewusstsein, wie Textilien hergestellt werden, noch immer sehr gering. Dennoch glaube ich, dass der Nahrungsmittelbereich exemplarisch für ein Umdenken steht. Dieses Konzept wird sich über kurz oder lang auch in anderen Segmenten durchsetzen.

Die Zahl der Luxuskonsumenten hat sich den letzten 20 Jahren verdoppelt

GDI-Studie «Der nächste Luxus»

Sich überhaupt Gedanken darüber zu machen, was man konsumiert, ist für manche Menschen Luxus. Viele verfügen nicht über die entsprechenden finanziellen Mittel, um qualitativ hochstehende Produkte zu kaufen. Auch in der Schweiz.
Natürlich sind sehr vermögende Menschen und der Mittelstand privilegierte Gruppen. Deren finanzielle Kraft erlaubt es ihnen, die Wahl zu treffen, was sie konsumieren. Die Wahlfreiheit ist denn auch der entscheidende Punkt. Interessant ist, dass die Babyboomer in den kommenden Jahren in eine neue Lebensphase eintreten. Sie werden in Pension gehen und plötzlich Zeit haben, die sie genuss- und sinnvoll gestalten möchten. Sie gehören heute zum Hauptklientel der Luxus-Industrie und werden den Konsum in den kommenden Jahren prägen.

«Wie soll man seine wichtigste Klientel, die Babyboomer, erreichen, wenn sie statt Gucci-Täschchen Erlebnisse sucht?»

In welche Richtung wird sich der Luxuskonsum bei den Babyboomern entwickeln?
Weil die materiellen Wünsche weitestgehend erfüllt sind, werden sich die Babyboomer vor allem auf Erlebnisse konzentrieren. Egal wie viele Jahre man noch vor sich hat, ein Thema dominiert die Wunschliste: das Reisen. Egal ob die Reise zur Familie im fernen Australien, zu den Pinguinen in der Antarktis oder zum eigenen Ich führt. Zudem wird die Reflexion über das Erlebte, die Erfahrungen und Erinnerungen wichtiger. Wir nennen es Deathstyle.

Deathstyle?
Damit sind nicht die letzten Tage im Angesicht des Sterbens gemeint, sondern eine Existenz, die aus der Perspektive der eigenen Sterblichkeit besser und sinnvoller geführt wird. Musse entwickeln und verbleibende Zeit nach eigenem Wunsch nutzen zu können, gehört dazu. Das wird auch die Luxusgüter-Industrie vor grosse Herausforderungen stellen. Wie soll man seine wichtigste Klientel, die Babyboomer, erreichen, wenn sie statt Gucci-Täschchen Erlebnisse sucht?

Kreation des mexikanischen Modedesigners Gianfranco Reni.
Kreation des mexikanischen Modedesigners Gianfranco Reni.Bild: AP

Und wie stellt sich die Luxusgüter-Industrie auf diese Umwälzung ein?
Ein Beispiel: Dem Niedergang schwerer Limousinen steht der Aufstieg neuer Statusobjekte gegenüber. Fahrräder, die mass- und handgefertigt sind, erreichen beispielsweise rasch den Preis eines Kleinwagens. Jedes Detail, ob Rahmen, Gabel oder Bremshebel, kann individualisiert werden, um ein hochwertiges Unikat, ein sprichwörtliches Luxusgefährt zu kreieren. Die Individualisierung erzeugt ein Erlebnis. Massgeschneidert soll es sein. 

Mehr zum Thema

«Durch die Möglichkeit des Teilens denken wir intensiver darüber nach, was wir überhaupt zum Leben brauchen.»

Was bewegt die jüngere Generation in Bezug auf Luxus?
Die jüngere Generation wurde direkt in die Wohlstandsgesellschaft hineingeboren. Sie verfügen bereits über ein starkes Bewusstsein bei Themen wie Nachhaltigkeit. Statt ‹Ich kann mir das leisten›, heisst es dann: ‹Ich leiste mir, darauf zu verzichten›. Dieser demonstrative, freiwillige Verzicht macht den Luxus von morgen aus. Zudem spielt das Teilen eine wichtige Rolle.

Die Autorin
Dr. Martina Kühne ist Senior Researcher am GDI Gottlieb Duttweiler Institut und analysiert
gesellschaftliche, wirtschaftliche und technologische Veränderungen mit den Schwerpunkten Konsum,
Handel und Mobilität.

Inwiefern wird das den Konsum beeinflussen?
Die Welt der Smartphones, Clouds und Streamingdienste erlaubt es uns, Dinge zu teilen. Man muss nicht mehr besitzen und entledigt sich dadurch von unnötigem Ballast. Bestes Beispiel dafür ist das Carsharing. Wir müssen heute kein Auto besitzen, um von A nach B zu kommen. Wir mieten es, wir teilen es. Durch die Möglichkeit des Teilens denken wir intensiver darüber nach, was wir überhaupt zum Leben brauchen. Ohne Auto war man früher niemand, heute ist es cool, kein Auto zu besitzen – ein Statussymbol. Weniger ist mehr, lautet das Credo.

Kühne: «Wir beobachten auch bei jüngeren Generationen eine tiefe Sehnsucht, das Leben zu vereinfachen.»
Kühne: «Wir beobachten auch bei jüngeren Generationen eine tiefe Sehnsucht, das Leben zu vereinfachen.»bild: shutterstock
«Durch den technologischen Fortschritt hat sich das Leben seit der Jahrtausendwende massiv beschleunigt, das hat uns einiges abverlangt. »

Dürfen wir auf eine Zeit der Bescheidenheit hoffen?
Es ist zu hoffen, dass die junge Generation ein massvolles Leben anpeilt. Das Teilen ist ein Anzeichen dafür. Vielleicht wird die Bescheidenheit sogar zu einer neuen Tugend. Wir beobachten auch bei jüngeren Generationen eine tiefe Sehnsucht, das Leben zu vereinfachen. Und wir sehen neue Lebensentwürfe; Teilzeitarbeit ist angesagt, das Bedürfnis, eigene Projekte zu entwickeln, ist gestiegen.

44 Prozent des Gesamtumsatzes im Luxusmarkt entfällt auf die Babyboomer

GDI-Studie «Der nächste Luxus»

Mit anderen Worten: Die Gesellschaft wird sich ohnehin entschleunigen.
Das wird in Europa aus demografischen Gründen ohnehin passieren, weil die Gesellschaft immer älter wird. Es wird ruhiger und das ist nicht einmal schlecht. Durch den technologischen Fortschritt hat sich das Leben seit der Jahrtausendwende massiv beschleunigt, das hat uns einiges abverlangt. Die junge Generation hat ein Bewusstsein dafür entwickelt, was dies bedeutet, nämlich: Stress und eine Beeinträchtigung der Lebensqualität. Nun lernen wir mit den technologischen Errungenschaften – wie dem Smartphone oder der Kommunikation über soziale Medien – erst richtig umzugehen. Das sind keine schlechten Zeichen, oder?

Die Phasen des Luxus

Die Kindheit
«Sie ist geprägt von einem Konsumhunger, der durch das befriedigt wird, was angeboten wird. Sinnbildlich gesprochen nimmt das Kind beziehungsweise der neureiche Konsument alles, womit er ‹gefüttert› wird. Ein solches Verhalten beobachten wir in aufstrebenden Märkten wie China, Indien oder Vietnam. Aufstieg ist die zentrale Motivation, wobei ein Defizit im Wissen darum herrscht, wie und für welchen Lebensstil der neu erworbene Reichtum einzusetzen ist. Darum kippt der kindliche Luxus in unseren Augen auch rasch in Kitsch.»

Die Jugend
«Diese Phase wird dominiert durch einen verstärkten Wettbewerbsdruck und die Frage, ob man wirklich bekommt, was einem zusteht. Der Traum vom sozialen Aufstieg weicht zunehmend der Sorge vor dem sozialen Abstieg. Ausgelöst wird diese Sorge, die eine breite Mittelschicht in den Industrieländern quält, durch die wachsende Ungleichheit, wie sie seit der Finanzkrise herrscht. In dieser Phase werden Güter mit Signalwirkung, die den sozialen Status untermauern, noch wichtiger.»

Die Reife
«Sie ist geprägt vom abnehmenden Grenznutzen des Materiellen, der Erkenntnis also, dass das Glücksgefühl beim Erwerb der zweiten und dritten Louis Vuitton Tasche langsam abnimmt. Folglich verschiebt sich der Luxuskonsum von der Produkt- auf die Erlebnisebene. Denn Erlebnisse lassen sich unendlich steigern – vom einfachen Restaurantbesuch, übers luxuriöse Wellness-Wochenende zur ultimativen Abenteuerreise. In dieser Phase des Luxus-Erlebens stecken wir heute drin und bewegen uns bereits auf die nächste zu.»

Das Alter
«Der überfordernde Überfluss an Produkten und zunehmend auch an Erlebnissen führt uns in eine Phase der Verschlichterung. Hier geht es um die Verfeinerung der Bedürfnisse und Begehren in einer satten Gesellschaft. Die Zurschaustellung der finanziellen Überlegenheit tritt in den Hintergrund. Stattdessen erntet derjenige Bewunderung, der das Einfache geniessen kann, der das Wissen und die Musse dazu entwickelt, und die Zeit dazu hat.»
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
0 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Homophobe Aussagen: Rechtsextremer Autor rechtskräftig verurteilt

Das Bundesgericht hat die Verurteilung des rechtsextremen Autors Alain Soral wegen Diskriminierung und Aufruf zu Hass bestätigt. Der in Lausanne VD lebende Franzose äusserte sich 2021 in einem im Internet veröffentlichten Interview herablassend über die sexuelle Orientierung einer Journalistin und über Homosexuelle im Allgemeinen.

Zur Story