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«Der Bundesrat steckt im Zuwanderungs-Dilemma – ein Ausweg ist nicht absehbar»

Bundesraetin Simonetta Sommaruga, rechts, aeussert sich, neben Mario Gattiker, Direktor Bundesamt fuer Migration, linsk, an einer Medienkonferenz des Bundesrates ueber die Umsetzung der neuen Verfassu ...
Bundesrätin Simonetta Sommaruga und Mario Gattiker, Direktor des Bundesamtes für Migration, am Freitag vor den Medien.Bild: KEYSTONE
Kommentar

«Der Bundesrat steckt im Zuwanderungs-Dilemma – ein Ausweg ist nicht absehbar»

Der Vorschlag des Bundesrats zeigt: Die Masseneinwanderungs-Initiative lässt sich kaum vernünftig umsetzen. Es droht ein Bruch mit der EU – oder eine noch radikalere Initiative.
20.06.2014, 18:0326.05.2020, 21:02
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Seit dem 9. Februar befindet sich die Schweiz in einer Art Ausnahmezustand. An jenem Sonntag ereignete sich mit dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative ein politisches Erdbeben, dessen Folgen das Land in Atem halten. «Noch nie ist nach einem Ja zu einer Initiative so heftig um die Umsetzung gestritten worden», stellte Bundesrätin Simonetta Sommaruga am Freitag fest, als sie das Konzept der Landesregierung zur Umsetzung des Verfassungsartikels vorstellte.

Rund 50 Modelle habe die zuständige Arbeitsgruppe diskutiert, sagte die Vorsteherin des Justiz- und Polizeidepartements. Sie brachte das Dilemma auf den Punkt: «Man kann es drehen und wenden wie man will: Die Modelle sind entweder nicht verfassungskonform oder nicht mit dem Freizügigkeitsabkommen vereinbar.»

Im Klartext: Entweder bleibt der Zuwanderungsartikel, der seit dem 9. Februar in der Bundesverfassung steht, toter Buchstabe. Oder die Schweiz verstösst gegen das Abkommen zur Personenfreizügigkeit und geht damit auf Konfrontationskurs mit der EU.

«Eine ‹unheilige Allianz› aus Linken und Wirtschaftsvertretern wird darauf drängen, dass möglichst alles so bleibt wie es heute ist.»

Ein Ausweg aus dieser Zwickmühle ist nicht absehbar. Das Konzept, das Sommaruga am Freitag vorstellte, lässt viele Möglichkeiten offen. Man will sämtliche ausländische Arbeitnehmer mit Aufenthaltsdauer über vier Monate kontingentieren, Grenzgänger inklusive – auf eine konkrete Zahl aber will sich die Landesregierung nicht festlegen. Man will den Inländervorrang beachten – das Wie lässt man offen. Das «ungenutzte Potenzial» an Arbeitskräften im Inland soll besser ausgeschöpft werden – doch mehr als eine Willensbekundung ist das nicht.

Eine konkrete Gesetzesvorlage soll bis Ende Jahr erarbeitet werden. Die Fronten für die folgende Beratung sind bereits abgesteckt: Eine «unheilige Allianz» aus Linken und Wirtschaftsvertretern wird darauf drängen, dass möglichst alles so bleibt wie es heute ist. Der einfachste Weg: Die Kontingente werden derart hoch angesetzt, dass die Personenfreizügigkeit faktisch nicht verletzt wird. Zuletzt kamen rund 80'000 Zuwanderer pro Jahr in die Schweiz. Der Bundesrat hat entsprechend vorgespurt: Bürger von EU- und Efta-Ländern sollen gegenüber Personen aus Drittstaaten weiterhin privilegiert werden.

Interview mit Christoph Blocher vom 18.06.2014 (Artikel: 19.06.2014)
Alt-Bundesrat
SVP
Christoph Blocher beim Interview mit watson.Bild: Miguel Tupak Kratzer

Ob sich die EU damit abfinden würde, ist mehr als fraglich. Sie hat einer Revision des Freizügigkeitsabkommens, die der Bundesrat anstrebt, vorsorglich eine Absage erteilt. In Bern liebäugeln Kreise um Aussenminister Didier Burkhalter deshalb damit, alles auf eine Karte zu setzen. Mit dem Rahmenabkommen, über das die EU seit Ende Mai mit der Schweiz verhandelt, soll die Personenfreizügigkeit faktisch «zementiert» werden. Christoph Blocher bezeichnete diese Taktik im Interview mit watson als «hinterhältig».

«Allenthalben herrscht Konfusion. Schuld daran sind die Eliten aus Politik und Wirtschaft und ihr konzeptloser Umgang mit der starken Zuwanderung der letzten Jahre.»

Auch Simonetta Sommaruga äusserte am Freitag –zumindest verklausuliert – Bedenken. «Die Verfassung gilt», betonte sie mehrfach. Blocher wiederum drohte, man werde mit einer Volksinitiative verlangen, «dass der Vertrag über die Personenfreizügigkeit gekündigt werden muss. Und zwar sofort.» Allerdings verhält sich auch die SVP nicht konsequent. Sie will ihre Masseneinwanderungsinitiative «mit einer gewissen Flexibilität» umsetzen und lässt mit ihren Vorschlägen viel Spielraum offen. Sie könnten sogar zu einer Zunahme der Zuwanderung führen.

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Allenthalben herrscht Konfusion. Schuld daran sind die Eliten aus Politik und Wirtschaft und ihr konzeptloser Umgang mit der starken Zuwanderung der letzten Jahre. Sie wollten oder konnten nicht wahrhaben, dass der Unmut der Schweizerinnen und Schweizer zugenommen hat über die ausländische Konkurrenz um den Arbeitsplatz, den Sitzplatz im ÖV, um die günstigen Wohnungen an zentraler Lage.

Unabhängig von der Umsetzung der Zuwanderungsinitiative müssen hier glaubwürdige Antworten gefunden werden. Sonst ist es absehbar, dass noch radikalere Volksbegehren lanciert werden. Die SVP spricht bereits von einer Durchsetzungsinitiative. Ihre Tessiner Sektion wird am Montag eine Initiative einreichen, die einen Inländervorrang in der Kantonsverfassung festschreiben will. Ein ähnliches Vorhaben auf nationaler Ebene hätte schon heute beste Chancen.

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