Vor zwei Jahren
kannte kaum jemand den Begriff Blockchain, jetzt will man damit die Welt
retten. Wie erklären Sie diese rasante Entwicklung?
Blockchain kann tatsächlich sehr viel verändern. Damit kann
eine der zentralen Errungenschaften zwischenmenschlicher (Handels-)beziehungen
mittels Technologie institutionalisiert werden, das Vertrauen.
Vertrauen ist gut,
Kontrolle ist besser?
Es geht nicht um Kontrolle, es geht um Transparenz und
gesicherte Informationen. Gleichzeitig wird dabei die Privatsphäre
bewahrt. Zwei wildfremde Menschen können
sich auf einen Tausch einlassen, ohne dabei Angst haben zu müssen, übers Ohr
gehauen zu werden; und auch ohne Angst haben zu müssen, private Daten unnötigerweise
preisgeben zu müssen.
Mit Verlaub: Transparenz
und Privatsphäre – das tönt wie ein Widerspruch in den Begriffen.
Die Blockchain wurde von den Cypherpunks proklamiert, die
für eine Befreiung des Internets einstehen. Die Idee stammt also von Leuten, die
das «real internet» verwirklichen wollen, ein Internet, wo man Dinge direkt
untereinander austauschen kann, ohne dass der Staat oder andere mächtige
Instanzen alles kontrollieren. Nun beginnt man jedoch zu entdecken, wofür die
Blockchain sonst noch nützlich sein kann.
Die Blockchain macht
den Zwischenhandel überflüssig. Man kann in Echtzeit und ohne Papierkram rund
um den Globus Handel betreiben.
Mit einer Blockchain können Sie – zumindest theoretisch –
die Banken als Zwischenhändler bei Transaktionen ausschalten. Überweisungen,
aber auch Kredite und Börsenhandel können direkt zwischen den Beteiligten
abgewickelt werden. Natürlich hat das die Banken zunächst aufgeschreckt.
Inzwischen hat man erkannt, dass der Geist aus der Flasche ist. Jetzt versucht
die Finanzindustrie, mit der Blockchain ihr Geschäft effizienter zu machen.
Bisher hält sich der Erfolg noch in Grenzen.
Weshalb?
Erstens stehen sehr grosse Interessen auf dem Spiel, und
zweitens ist die Technologie noch nicht vollständig ausgereift.
Es gab tatsächlich
zwei schlimme Pannen. Beim Skandal um Mt. Gox verschwanden auf rätselhafte Art
und Weise Bitcoins in Millionenhöhe. Bei Etherum mussten hohe Verluste wegen
eines mangelhaften «smart contracts» verkraftet werden. Der Laie hat daher das
Gefühl: So sicher sind die Blockchains nicht.
Keiner der beiden Vorfälle hat die Blockchain an sich
betroffen. Wallets, Applikationen und Smart Contracts, die auf eine Blockchain
gebaut werden, können aber sehr wohl angegriffen werden. Man sollte deshalb
genau überlegen, wohin man seine digitalen Währungen transferiert.
Was genau versteht
man unter einem «smart contract»?
Es handelt sich um einen automatisch ausführenden Kontrakt
bei gegebenem Input. Stellen Sie sich eine sehr reiche Person vor, die ihr Testament
verfasst. Heute braucht sie dazu ein Heer von Anwälten. Setzt sie jedoch dieses
Testament als Smart Contract auf, dann wird direkt mit der Todesnachricht der
Smart Contract ausgeführt und die Guthaben ausbezahlt. Die oft jahrelangen und
nicht selten sehr teuren Feilschereien der Erbberechtigten könnten sich erübrigen.
Das geht nur dann,
wenn die Identität der Beteiligten eindeutig geklärt ist. Identität ist daher
ebenfalls ein Schlüsselbegriff, wenn es um die Blockchain geht. Richtig?
Identität ist oft eine Voraussetzung dafür, dass man an
einer Transaktion teilnehmen kann. Die
Blockchain macht es möglich, dass man nur die Teile seiner Identität preisgeben
muss, die man auch preisgeben will. Bei
den Bitcoins beispielsweise hat man eine öffentliche Adresse, eine Kombination
von Zahlen und Zeichen. Alle Transaktionen sind für alle öffentlich zugänglich.
Wer hinter einer Adresse steckt, bleibt verborgen.
Heute gibt es
weltweit rund 1,5 Milliarden Menschen, die keinen Pass haben. Kann die
Blockchain da weiterhelfen?
Ja. Es gibt eine Gruppe von Spezialisten, die Flüchtlingen
ohne Papiere mit der Blockchain zu einer Identität verhelfen wollen. Es gibt
auch Bemühungen, Kinder schon bei der Geburt mit einer digitalen Identität auf
einer Blockchain zu versehen.
Einen Pass kann man
verlieren. Wie ist das mit der Blockchain-Identität?
Es gibt da unterschiedliche Lösungen. Um ganz sicher zu
gehen, bliebe aber wohl nur, Menschen zu «chippen».
Wie bei Hunden und
Katzen?
Ja, und auch bei mir stellen sich zunächst die Nackenhaare
auf, wenn ich das höre. Sofort kommt die Assoziation mit totalem
Überwachungsstaat à la Big Brother. Nur
sollte man bedenken: Bei der Blockchain werden diese Daten nicht von einer
zentralen Stelle kontrolliert. Die Blockchain ist dezentral organisiert, die
Kontrolle der Daten bleibt bei jedem Einzelnen.
Was können Blockchain
basierte Daten in unserem Leben sonst so verändern?
Wir könnten beispielsweise zu einem Arzt gehen und ihm die
Bewilligung erteilen, unsere Gesundheitsdaten einzusehen. Dann können wir uns
viele oft mehrfach durchgeführte Untersuchungen ersparen.
Blockchain wird
zunehmend auch in der Politik angewandt. Das Musterland ist heute Estland, das
bereits einen grossen Teil der Verwaltungsdienstleistungen online anbietet.
Wird die Schweiz diesem Beispiel folgen, zum Beispiel beim E-Voting?
Hierzulande haben die Parteien am rechten und am linken
Spektrum der Politik oft wenig Interesse am E-Voting. Sie haben Angst vor Stimmenverlusten,
Datenklau und Schnüffelei. Bisher ist es uns noch nicht vollständig gelungen,
diese Skepsis zu zerstreuen.
Es geht aber auch um
die Tradition, die Landsgemeinde in Glarus und Appenzell beispielsweise. Soll
man das nicht erhalten?
Es geht nicht darum, diese Dinge zu ersetzen, sondern darum,
sie zu ergänzen. Gerade für viele junge Wählerinnen und Wähler wäre es
attraktiv, ihre Stimme online abgeben zu können. Sie könnten dann mit einem
Medium, das sie täglich benutzen, am politischen Prozess teilnehmen. Wir wollen
auch einen Schritt weitergehen. Wir arbeiten an Plattformen, die es ermöglichen,
ständig am Puls der Menschen zu sein. Wir holen permanent Feedback von der
Bevölkerung und schaffen Möglichkeiten, selbst Vorschläge zu machen, Rankings
zu erstellen und spontane, konsultative Abstimmungen zu bestimmten Themen
durchzuführen.
Viele Schweizerinnen
und Schweizer stöhnen heute schon, dass sie vier Mal jährlich zur Urne müssen.
Werden Sie mit dem permanenten E-Voting nicht überfordert?
Diese Plattformen sollen sehr simpel zu bedienen und mit
positiven Anreizen verbunden sein. Spiele und Ranglisten werden eingebaut und
man kann etwas gewinnen. Auch «augmented reality» wird eine Rolle spielen,
beispielsweise könnte man mit einem tragbaren Gerät die Eingaben für ein neues
Fussballstadion live vor Ort sehen und dann eine eigene Rangliste erstellen.
Im Internet tummeln
sich viele Leute, die für eine künstliche Polarisierung solcher Diskussionen
bezahlt sind. Wie halten Sie sich die vom Hals?
Wir denken über eine Kombination von gegenseitigen Ratings und
künstlicher Intelligenz nach, die bezahlte Trolle und Chatbots aussortieren
sollte. Das ist heute bereits technisch machbar.
Blockchain bringt
auch die Gefahr einer absoluten unveränderbaren Wahrheitsschreibung. Eine Welt,
die sich nicht mehr verändern lässt, ist jedoch ein Albtraum.
Die Diversität muss auf jeden Fall erhalten bleiben. Deshalb
ist entscheidend, wie eine Blockchain organisiert wird. Die endgültige Antwort
auf diese Frage ist noch nicht gefunden worden. Es ist auch sehr wichtig, dass
sie nicht allein von der Technik entschieden wird, sondern dass alle –
Politologen, Juristen, Physiker, etc, – ein Mitspracherecht haben.
Positiv gesehen
könnte die Blockchain den Zentralstaat entmachten und den Menschen mehr
Autonomie und Freiheit zugestehen.
Die Blockchain wird dazu führen, dass die Gesellschaft neu
organisiert wird, und zwar in Richtung
Dezentralisierung. Das wird den Menschen mehr Möglichkeiten geben, ihr Leben in
die eigenen Hände zu nehmen.
Heute spricht man von
einer Sharing Economy. Uber und Airbnb sind jedoch ein Etikettenschwindel. Wird
die Blockchain eine echte Sharing Economy möglich machen?
Ja, das ist durchaus so. Zudem kann ein nachhaltiges
Verhalten incentiviert werden. Wer sich ökologisch verhält, wer beispielsweise
seinen Abfall recyclet oder sein Auto mit anderen teilt, der erhält digitale
Münzen als Belohnung. Die Entscheidung, wer und was wofür belohnt wird, soll
möglichst bürgernah gefällt werden.
Vorläufig sind das
noch Experimente. Wann wird die Neuorganisation der Gesellschaft, von der Sie
sprechen, Tatsache sein?
Wir hoffen, dass das Potenzial der Blockchain erkannt wird
und der politische Wille entsteht, dieses Potenzial auch auszuschöpfen. Ob es den
Leidensdruck einer grossen Krise braucht, damit dies geschieht? Hoffentlich nicht. Es ist offensichtlich geworden, dass das
bestehende System nicht nachhaltig funktionieren kann, und dass es deshalb auf
eine neue Basis gestellt werden muss.