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Wie die Schweizer Wirtschaft abstürzte und was die Nationalbank damit zu tun hatte

Andrang der Sparer vor der konkursiten Spar- und Leihkasse Thun.
Andrang der Sparer vor der konkursiten Spar- und Leihkasse Thun.Bild: KEYSTONE
Die Krise der 1990er Jahre

Wie die Schweizer Wirtschaft abstürzte und was die Nationalbank damit zu tun hatte

Das abrupte Ende des Euro-Mindestkurses hat der Schweizer Wirtschaft einen herben Dämpfer verpasst. Erinnerungen werden wach an die Krise in den 1990er Jahren.
21.01.2015, 20:2522.01.2015, 15:13
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Am Ende der 1980er Jahre befand sich die Schweizer Wirtschaft in einer Boomphase. Es gab so gut wie keine Arbeitslosen. Wer arbeiten konnte und wollte, fand problemlos einen Job. Mit dem neuen Jahrzehnt war die Party zu Ende. Von 1990 bis 1996 kam die Wirtschaft nicht vom Fleck. Erst steckte sie drei Jahre in einer Rezession, eine unüblich lange Zeit. Dann folgten drei weitere Jahre Stagnation. Die Arbeitslosenquote stieg auf fünf Prozent.

Mit der Aufhebung des Euro-Mindestkurses durch die Nationalbank droht erneut eine Wirtschaftskrise. Wiederholt sich zwei Jahrzehnte später die Geschichte? Zwischen damals und heute gibt es beträchtliche Unterschiede, aber auch interessante Parallelen.

Hohe Inflation

Am 19. Oktober 1987 kam es an der New Yorker Wall Street zum grössten Börsencrash seit dem Zweiten Weltkrieg. Um eine Rezession zu verhindern, entschied sich die Schweizerische Nationalbank (SNB) für eine expansive Geldpolitik. Sie löste damit den Boom aus. Unerwünschter Nebeneffekt war eine hohe Inflation. Ab 1989 stieg die Teuerung stark an, im Herbst 1990 lag sie bei hohen 6,4 Prozent.

«Jobkiller der Nation»: Nationalbankpräsident Markus Lusser.
«Jobkiller der Nation»: Nationalbankpräsident Markus Lusser.Bild: KEYSTONE

Nationalbankpräsident Markus Lusser, ein Verfechter der Preisstabilität, riss darauf das Ruder herum. Er verknappte die Geldmenge und erreichte das gewünschte Ziel: Bis Mitte der 90er Jahre sank die Inflation auf weniger als ein Prozent. Doch die Nebeneffekte dieser Rosskur waren gravierend. Mit dem knapperen Geld stiegen die Zinsen, die Wirtschaft wurde regelrecht abgewürgt.

Die Immobilien-Blase

Ein beträchtlicher Teil des Booms entfiel auf die Immobilienbranche. In den 80er Jahren bildete sich eine gigantische Blase, es wurde gebaut wie verrückt. Die Preise für Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen verdoppelten sich zwischen 1980 und 1990. Bei den gewerblichen Liegenschaften kam es zu einem grossen Überangebot. Die Banken leisteten ihren Beitrag mit einer sorglosen Kreditvergabe. Selbst windigen Spekulanten wurden die Hypotheken regelrecht nachgeworfen. 

Als Folge der Krise sanken die Mieten sogar an der Zürcher Bahnhofstrasse.
Als Folge der Krise sanken die Mieten sogar an der Zürcher Bahnhofstrasse.Bild: KEYSTONE

Das böse Erwachen kam mit der neuen Geldpolitik der Nationalbank. Weil die Wirtschaft abstürzte, konnten die Büroräumlichkeiten nicht mehr vermietet werden. Viele Liegenschaftenbesitzer konnten die Hypozinsen nicht mehr bezahlen. Oder sie schränkten ihren Konsum massiv ein und verschärften dadurch die Wirtschaftskrise. Die Banken mussten in den 90ern die immense Summe von 40 Milliarden Franken an faulen Krediten abschreiben.

Banken kollabieren

Am 15. Januar 2015 verkündete SNB-Präsident Thomas Jordan die Aufhebung des Euro-Mindestkurses und sorgte damit für einen massiven Schock auf den internationalen Finanzmärkten. Ein ähnlich bedeutsames Datum für die Krise der 1990er Jahre war der 4. Oktober 1991. An jenem Tag kollabierte die Spar- und Leihkasse Thun (SLT) unter den Folgen der Immobilienkrise.

Die Auswirkungen beschränkten sich im Gegensatz zu heute – vorerst – auf die Region Thun, doch schon damals löste der Crash globale Schockwellen aus. Eine Schweizer Bank, die pleite ging? Fernsehteams aus aller Welt kamen nach Thun und filmten die verzweifelten Sparer, die sich vor dem Sitz der SLT versammelten und um ihr Geld bangten. 

Die Solothurner Kantonalbank verlor ihre Eigenständigkeit, sie wurde an die Bankgesellschaft verkauft.
Die Solothurner Kantonalbank verlor ihre Eigenständigkeit, sie wurde an die Bankgesellschaft verkauft.Bild: KEYSTONE

Es blieb nicht bei diesem Einzelfall. Zahlreiche weitere Banken gerieten wegen der Immobilienkrise in Schieflage, darunter auch grössere Institute wie die stolze Volksbank. Sie wurden ausnahmslos von den drei «Grossen» Bankgesellschaft, Bankverein und Kreditanstalt übernommen, nicht aus Wohltätigkeit, sondern um einen weiteren Imageschaden vom Finanzplatz Schweiz abzuwenden. Die Zahl der Regionalbanken halbierte sich von 1990 bis 2000 von 204 auf 103.

Ein Sonderfall waren die Kantonalbanken, die ebenfalls beim Immobilien-Monopoly mitgemischt und sich verzockt hatten. Sie mussten mit enormem Aufwand saniert werden. Im Kanton Bern wurden knapp 1,5 Milliarden Franken aufgewendet, in der Waadt waren es 1,25 Milliarden. Appenzell Ausserrhoden und Solothurn mussten ihre Kantonalbanken sogar verkaufen.

Firmen unter Druck

Die restriktive Geldpolitik der Nationalbank liess den Franken erstarken, ähnlich wie heute die Aufhebung des Mindestkurses. Damit geriet die Realwirtschaft unter massiven Druck. Sie war damals stark kartellisiert und strukturell verkrustet. Viele Firmen waren schlecht auf die Krise vorbereitet, sie verlagerten Arbeitsplätze ins Ausland. Branchen wie die Textil- und die Schwerindustrie wurden weitgehend ausradiert, heute gibt es in der Schweiz nur noch Nischenanbieter. 

Lega-Nationalrat Flavio Maspoli (vorne rechts) und Arbeiter protestieren gegen die Schliessung des Stahlwerks Monteforno.
Lega-Nationalrat Flavio Maspoli (vorne rechts) und Arbeiter protestieren gegen die Schliessung des Stahlwerks Monteforno.Bild: KEYSTONE

Es gab spektakuläre Pleiten. So musste 1995 das Stahlwerk Monteforno in Bodio schliessen, ein harter Schlag für die ohnehin strukturschwache Leventina, wo die Arbeitslosenquote so hoch war wie sonst nirgends. Auch die Medienbranche wurde umgepflügt, viele Regionalzeitungen verschwanden. Seit der damaligen Krise muss die Schweiz mit einem zuvor unbekannten Phänomen leben, einer Sockelarbeitslosigkeit von rund drei Prozent.

Die Politik reagierte lange ungenügend auf die Wirtschaftsflaute. 1995 wurde nach mehreren gescheiterten Anläufen das Kartellgesetz verschärft, doch gleichzeitig reagierten Bund und Kantone mit einer verschärften Sparpolitik auf die in der Krise stark gestiegenen Defizite. Damit würgten sie einen zarten Aufschwung ab und verlängerten die Krise um rund zwei Jahre.

Der EU-Binnenmarkt

Am 6. Dezember 1992 lehnten die Stimmberechtigten mit 50,3 Prozent Nein-Anteilen den Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ab. Als der Europäische Binnenmarkt am 1. Januar 1993 in Kraft trat, musste sie draussen bleiben. Er sorgte in der Europäischen Union für einen Wachstumsschub, während die Schweiz stagnierte. Am Ende war sie nicht mehr das mit Abstand reichste Land Europas, die anderen hatten aufgeholt.

Die Schweizer Wirtschaft lag beim Wachstum im internationalen Vergleich klar zurück.
Die Schweizer Wirtschaft lag beim Wachstum im internationalen Vergleich klar zurück.quelle: universität Basel

Ein Grund dafür war, dass die Schweiz ihren Binnenmarkt nur ungenügend reformierte. Ein Bericht der Universität Basel zur Wirtschaftskrise der 90er Jahre kam zum Schluss, «dass die Schweiz im Alleingang eben nicht fähig war, die nötigen Reformen einzuführen». Ein Grossteil der Beobachter neige dazu, «den zentralen Grund für die Krise im Rückstand bei der Liberalisierung und im abgeschotteten schweizerischen Binnenmarkt zu sehen», heisst es weiter.

Ab 1996 ging es langsam bergauf. Der von der Linken als «Jobkiller der Nation» bezeichnete und auch aus den Reihen der Wirtschaft hart kritisierte Nationalbankchef Markus Lusser war in Pension gegangen. Die Kritik setzte dem spröden Urner mehr zu, als er sich anmerken liess. 1998 starb er mit 67 Jahren an Herzversagen. Seine Nachfolger Hans Meyer (1996-2000) und Jean-Pierre Roth (2001-2009) öffneten die Geldschleusen und sorgten für neue Impulse.

Das Wachstum in der Schweiz blieb aber im Vergleich mit der EU und den USA noch lange unter dem Durchschnitt. Erst in den letzten Jahren hat sich dies geändert, vor allem dank der Zuwanderung. Wie gut die Wirtschaft heute aufgestellt ist, bleibt umstritten. Ökonomen beklagen die tiefe Produktivität. Die Exportfirmen dürften besser auf eine Krise vorbereitet sein als vor einem Vierteljahrhundert. Dennoch hält es der Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann für möglich, dass die Schweiz im schlimmsten Fall erneut in Stagnation wie in den 1990er Jahren geraten wird.

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