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Wie ich das WEF kennenlernte und wütend wurde

Wie ich das WEF kennenlernte und wütend wurde

Der Autor im Dress des EHC Kloten. Bild: Mathieu Gilland
24.01.2014, 13:4006.08.2014, 23:05
Erinnerungen an davos
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Nein, es ist nicht die alte Leier. Und ja, es geht um David gegen Goliath. 

Damals, 1992, sprach man voller Ehrfurcht von uns – der goldenen Generation des EHC Kloten. Von Lugano über Davos bis Kreuzlingen: Wir reihten Sieg an Sieg. Schweizer Meister – das war unser Ziel, jedes Jahr, da gab es kein Pardon. Wir waren Goliath, die anderen mussten sich mit der Rolle des Davids begnügen.

Nicht, dass ich viel zu den glorreichen Siegen beigetragen hätte. Die meiste Zeit sass ich auf der Ersatzbank. Erhielt ich dennoch die Chance, mein bescheidenes Können als Verteidiger zu demonstrieren, warf ich mich stets in jeden Schuss des Gegners, dem Trainer zu liebe. Honoriert wurde mein Tun nie.

Nicht, dass ich viel zu den glorreichen Siegen beigetragen hätte. Die meiste Zeit sass ich auf der Ersatzbank. 

Nach jedem Spiel pflegte mein Vater zu sagen, ich hätte einen guten Job gemacht und dass meine Chance, mich eines Tages beweisen zu können, noch kommen werde.

Sie kam nie.

Freilich tut all dies nichts zur Sache, abgesehen davon, dass mich das Spiel auf dem Eis in die hintersten Ecken der Schweiz und zum Nachdenken über das World Economic Forum brachte.

Davos – ein dunkles Märchen in weiss.Bild: KEYSTONE

So wie damals im Januar 1992. Das Landwassertal lag unter einer dicken Schneedecke, am Strassenrand standen stramme Männer in schwarzen Anzügen mit Maschinenpistolen vor modernen Gebäuden. Ich hatte keinen Schimmer, was das zu bedeuten hatte. Mir wurde beschieden, wichtige Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik seien dieser Tage im Kurort zugegen und diese bräuchten Schutz vor was und wem auch immer.

Die Wut, die mich damals ergriff, das Unverständnis für das Gebaren der Leader dieser Welt, hat sich bis heute nicht gelegt.  

Hollywood in Davos! Cool, dachte ich, dachte sich die kleine Mannschaft aus Buben, deren unschuldige Gesichter an den Fenstern des roten Toyota-Busses aus Kloten klebten.

Hätte ich gewusst, dass damals im Landwassertal Nelson Mandela und Südafrikas Präsident F.W. de Klerk einander die Hände reichten und dass der chinesische Premier Li Peng erklärte, China werde bis 2050 Grosses erreichen, es hätte nichts an unserem Ansinnen geändert, dass wir Davos eine Lektion erteilen wollten. Auch dass die Staatsoberhäupter der GUS-Staaten zum ersten Mal nach Davos pilgerten, interessierte uns herzlich wenig.

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Februar 1992: Nelson Mandela, damals Präsident der ANC, am WEF neben Südafrikas Präsident F.W. de Klerk. Bild: KEYSTONE

Ein paar Jahre später – ich hatte unterdessen Schlittschuhe und Stock gegen Kugelschreiber und Block getauscht – begriff ich, dass sich da oben in Davos jedes Jahr eine Clique aus Politik und Wirtschaft traf, die soviel zuversichtlicher in die Zukunft blickte als die grosse Masse der Menschen auf diesem Planeten.

Da sassen sie auf den Podien und sprachen von einer freien Marktwirtschaft, von Partizipation, von Globalisierung, von einer gerechten Verteilung der Güter, davon, dass die Welt jetzt besser würde, ja gar von der Gerechtigkeit selbst.

Davos war und ist dafür der perfekte Ort, ein Ort, der eben gerade keine Stätte für Konfrontationen ist, sondern eine Kathedrale des Establishments. 

Tatsächlich goss diese Clique aus Politik und Wirtschaft alle diese Begriffe in ein neoliberales Wirtschaftsmodell, das schwer wiegen sollte und dessen Konsequenzen wir heute in aller Härte spüren. Ein Modell, das die sozialen und ökologischen Probleme nicht löste, sondern verschärfte.

Die Wut, die mich damals ergriff, das Unverständnis für das Gebaren der Leader dieser Welt, hat sich bis heute nicht gelegt.

Das Motto des World Economic Forum: «Die Neugestaltung der Welt». Bild: EPA
Wird man älter, merkt man unweigerlich, dass das, was die Grossen machen, nicht unbedingt das Beste ist für die Kleinen. Das ist eine Konstante, die das WEF wohl überdauern wird.

Als kleiner Mensch will man unbedingt überall mit dabei sein. Das tun, was die Grossen machen. Wird man älter, merkt man unweigerlich, dass das, was die Grossen machen, nicht unbedingt das Beste ist für die Kleinen. Das ist eine Konstante, die das WEF wohl überdauern wird.

Wie soll man Zutrauen in die Fähigkeit jener Menschen gewinnen, welche die grössten Krisen der letzten Jahrzehnte zu verantworten haben? 

Das Forum also wurde von Jahr zu Jahr grösser, Schauspieler und solche, die es werden wollten, Models und Musiker pilgerten nach Davos, um in Moonboots und Nerz über die Probleme der Kleinen zu sinnieren. Sie brachten Glamour und nahmen dem Forum die letzte Glaubwürdigkeit. Auch sie vermochten mit ihren hilflosen Aktionen nicht, die fehlende Integrität der Firmenbosse und Politiker wegzureferieren.  

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Mit vollem Magen die Welt neu gestalten. Bild: KEYSTONE

Wie kam es dazu? Irgendwann in den 1990er Jahren wurde die Welt komplexer und mit ihr die Interessen einzelner Akteure. Nun durften auch die Kleinen zu Tisch, zuerst an den Kindertisch und später, wenn sie sich zu benehmen wussten, auch an den grossen.

Letztlich ist und bleibt das WEF das wichtigste Branchentreffen der 1000 bedeutendsten Unternehmen der Welt – der humanitäre Anstrich ist reine Fassade.

Die Repräsentanten der kleinen Nationen, selbst korrumpiert von Macht und Gier, verliehen dem Forum zumindest gegen aussen einen Hauch von Glaubwürdigkeit, der sich alsbald in Luft auflösen sollte. 

Letztlich ist und bleibt das WEF das wichtigste Branchentreffen der 1000 bedeutendsten Unternehmen der Welt – der humanitäre Anstrich ist reine Fassade. BP wird auch in Zukunft Veranstaltungen zum Thema Umweltverschmutzung fernbleiben. Und die fünf Minuten Scheinwerferlicht für zugegebenermassen renommierte NGOs sind nichts mehr als ein wohlwollendes Zwischenprogramm. 

Dies wird sich kaum ändern.

Derweil die Kritik an diesem Anlass in den Bergen, dessen propagiertes Ziel es immer war, die Welt neu zu gestalten (so auch dieses Jahr), immer lauter wurde, beteuerten so manche Teilnehmer: «Uns ist diese Kritik sehr wichtig, damit wir uns weiterentwickeln können.» Freilich mochte man den Wasserpredigern und Weintrinkern nie ganz glauben. 

Im Club der Mächtigen angekommen

Für Beobachter ist die grosse Präsenz aufstrebender Länder am WEF gar ein Nachweis, dass diese im Club der Mächtigen angekommen sind. Elegant ausgeblendet wird, dass der Aufstieg ebendieser Länder jedoch meist auf dem Buckel der Ärmsten vollzogen wird – auf dem Buckel des Volkes. 

Sie sind die Manövriermasse der Mächtigen und das Schmiermittel der Wirtschaft. Sie sind die neu-alten Geiseln einer neokolonialistischen Weltordnung. 

«Uns ist diese Kritik sehr wichtig, damit wir uns weiterentwicklen können», beteuerten die WEF-Teilnehmer. Bild: KEYSTONE

Knapp 20 Jahre später reiste ich als Journalist mit der «besten Armee der Welt» abermals ins Landwassertal. Da zeigte man mir allerhand, was unsere Frauen und Mannen an der Heimatfront so alles zu tun haben, damit die Show in Davos ohne Probleme über die Bühne gehen konnte.  

Die geschlossene Gesellschaft wird von der Armee bewacht und tut vier Tage lang so als ob. Und wenn der Vorhang fällt, geht man nach Hause und zündelt weiter.

Ich fragte einen Soldaten, ob er wisse, was das WEF denn überhaupt sei. Er antwortete, da oben würden sich wichtige Personen aus Wirtschaft und Politik treffen, die es zu beschützen gelte. So zumindest habe man es ihnen erklärt. 

Als Bub hatte ich gedacht: Cool! Hollywood in Davos. Und eigentlich lag ich damals gar nicht so falsch. Das WEF ist Fiktion in ihrer reinsten Form. Die geschlossene Gesellschaft wird von der Armee (ebenfalls eine geschlossene Gesellschaft) bewacht und tut vier Tage lang so, als ob. Und wenn der Vorhang fällt, geht man nach Hause und zündelt weiter.

Dafür kann das WEF nichts, dennoch möchte ich dem «nachdenklichen Kapitalisten» – wie sich Klaus Schwab selbst nennt – zurufen: Déjà-vu! Es braucht neue Modelle.  

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Der «nachdenkliche Kapitalist» Klaus Schwab. Bild: KEYSTONE
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