«Beginnt für Mr. Powell ein Traum oder ein Albtraum?», fragt John Dizard besorgt in der «Financial Times». Eine berechtigte Frage. Powell wird heute als neuer Präsident des US-Federal Reserve System (Fed) vereidigt und übernimmt damit eines der prestigeträchtigsten Ämter überhaupt.
Das Timing jedoch ist suboptimal. Die Finanzmärkte sind derzeit sehr nervös. Vor dem Wochenende sind die Indices an den wichtigsten Aktienmärkten an zwei aufeinanderfolgenden Tagen kräftig gesunken. Am Montag hat sich der Kursrückgang in Asien und Europa fortgesetzt.
Die Einschätzung dieser Kurseinbrüche ist unterschiedlich. Die einen sprechen von einer lang ersehnten und vorübergehenden Kurskorrektur. Tatsächlich hält sich der Schaden bisher in Grenzen. Der Dow Jones Index beispielsweise ist trotz den Verlusten immer noch 3,2 Prozent höher als zu Beginn des Jahres.
Andere befürchten, dass die Finanzmärkte vor einer wichtigen Weichenstellung stehen. Grund dafür ist die Entwicklung an den Obligationenmärkten (die im übrigen viel wichtiger sind als die Aktienmärkte, aber das ist eine andere Geschichte).
Gebannt starrt die Finanzgemeinde derzeit auf eine magische Zahl, die Drei-Prozent-Rendite bei den zehnjährigen amerikanischen Staatsanleihen, den T-Bonds. Sie sind der wichtigste Anker im internationalen Finanzsystem und beeinflussen das Verhalten der Investoren und Konsumenten rund um den Globus.
Die Rendite der T-Bonds ist in den letzten Tagen sprunghaft angestiegen, von 2,42 Prozent anfangs Jahr auf 2,86 Prozent. Die psychologisch wichtige Marke von 2,6 Prozent wurde bereits übersprungen (Die Finanzmärkte richten sich stets nach psychologisch wichtigen Marken, aber das ist auch eine andere Geschichte.) Die nächste Hürde liegt bei drei Prozent.
Die Rendite der T-Bonds ist eine Art Verkehrsampel. Bei drei Prozent wird aus Grün Rot und umgekehrt. Die Geldströme werden umgeleitet. Dabei kann es zu Unfällen kommen. Will heissen: Die Investoren, vor allen die grossen institutionellen beginnen, umzuschichten. Sie verkaufen Aktien und kaufen T-Bonds. Gleichzeitig sinkt der Kurs der Obligationen mit der tiefen Rendite. Das wäre das Ende einer rekordlangen Obligationen-Hausse.
Dabei sind steigende Zinsen der T-Bonds die Folge davon, dass die Wirtschaft boomt und die Löhne steigen. Doch die perverse Logik der Finanzmärkte besagt, dass Good News der realen Wirtschaft Bad News für die Finanzmärkte sind. Steigende Löhne und Preise schüren die Angst vor Inflation und zwingen die Fed, die Leitzinsen zu erhöhen. (Die Fed kann nur die kurzfristigen Zinsen beeinflussen, die Rendite der T-Bonds bestimmt der Markt.)
Wird die Drei-Prozent-Marke übersprungen, dann kann Vieles dumm laufen. «Zombie»-Unternehmen können ihre Schulden nicht mehr bedienen und gehen pleite. Die Investoren ziehen ihr Geld aus den Schwellenländern ab, etc. Kommt dazu, dass Trumps Steuerreform das amerikanische Staatsdefizit nochmals kräftig anheizen und die Nachfrage nach Dollars erhöhen wird.
Die Aufgabe des neuen Fed-Präsidenten ist es, dafür zu sorgen, dass es zu möglichst wenigen Unfällen kommt, wenn die Ampeln wechseln. Seiner Vorgängerin Janet Yellen ist dies hervorragend gelungen. Sie wurde 2012 von Barack Obama als Nachfolgerin von Ben Bernanke gewählt und hat einen Top-Job abgeliefert.
Der robuste Zustand der US-Wirtschaft ist zu einem guten Teil Yellens Verdienst. Das wiederum ärgert den Präsidenten. Donald Trump duldet bekanntlich keine Götter neben sich. Deshalb hat er nicht Yellen im Amt bestätigt – was vernünftig gewesen wäre –, sondern sich für Powell entschieden.
Trump geht dabei selbst ein Risiko ein. Wenn es dem neuen Fed-Präsidenten nicht gelingen sollte, die heikle Zinskurve zu kriegen, dann könnte das sehr rasch auch auf die reale Wirtschaft zurückschlagen. Dafür müsste Trump gerade stehen – und das tut er nicht so gerne.