Das ist eine Sensation: Ausgerechnet der an allen prominenten Universitäten (MIT, Rochester, Berkeley, Stanford, New York) gewaschene Mathematiker und Ökonom, Nobelpreisanwärter und Chefökonom – ausgerechnet diese Koryphäe haut nun in einem Aufsatz für «The American Economist» die ganze Ökonomenclique in die Pfanne.
Und nicht nur sie. Um den Knall einordnen zu können, müssen wir etwa 150 Jahre zurückblenden. Seit jener Zeit versuchen die meisten Ökonomen die Wirtschaft als mathematisches Modell zu verstehen, das zwar von «externen Schocks» (steigende Ölpreise, Börsencrash etc.) durcheinander gebracht wird, aber nach einiger Zeit immer wieder «ins Gleichgewicht zurück fällt».
Wenn dem so ist – woran echte Ökonomen nicht zweifeln dürfen – dann kann Wirtschaftspolitik nur darin bestehen, Hindernisse für das optimale Funktionieren des Marktes zu beseitigen und die Rückkehr ins Gleichgewicht durch geeignete Massnahmen (Zinssenkungen, Staatsausgaben etc.) zu beschleunigen.
Die empirische Ökonomie hat dann die Aufgabe herauszufinden, wie gut diese Massnahmen wirken. Zu diesem Zweck sammelt sie Daten und speist diese in mathematische Gleichgewichtsmodelle ein. Moderne Ökonomie ist im Wesentlichen ein Streit um das richtige Gleichgewichtsmodell.
So, und jetzt kommt Romer und plaudert aus der Schule. Wir erfahren etwa, dass die heute verwendeten Modelle so komplex sind, dass selbst Ökonomen, die – wie Romer – Mathematik studiert haben, auf die Hilfe von speziell geschulten Ökonometrikern angewiesen sind. Die Zusammenarbeit funktioniert in etwa so: Der Ökonom sammelt Daten und bittet die Ökonometriker, diese in das Modell einzufüttern.
Meist schaut dabei auf Anhieb kein vernünftiges Ergebnis heraus. Der Ökonometriker baut deshalb noch ein paar – scheinbar triviale – Annahmen in das Modell ein, er kalibriert es. Meist schaut der Ökonom gar nicht hin. Und wenn, versteht er bloss Bahnhof.
Romer schaute doch einmal genau hin – und verstand: Die Ökonometriker kalibrieren ihr Modell so lange, bis in etwa das erwartete Ergebnis eintritt. Für sie ist das reine Technik. Als Nicht-Ökonomen realisieren sie gar nicht, dass ihre Annahmen keineswegs trivial sind. Der Ökonom seinerseits kann nicht erkennen, dass der von ihm erbrachte Beweis nicht auf seinen Daten, sondern auf der Bastelkunst der Ökonometriker beruht.
Romer spricht zynisch von «Fakten mit unbekanntem Wahrheitsgehalt». «Nachdem ich das erkannt hatte», schreibt Romer, «habe ich angefangen, die Texte sorgfältig zu lesen, und ich habe realisiert, dass es fast immer solche Annahmen gab.» Es ist das perfekte, doppelblinde Doping: Der Athlet weiss nicht, dass er gedopt wird, der Arzt weiss nicht, dass sein Pülverchen eine leistungssteigernde Wirkung hat.
Um dies zu illustrieren, führt uns Romer ein kleines Beispiel vor. Der Ökonom will beweisen, dass die Löhne umso tiefer fallen, je mehr Arbeitskräfte auf den Markt kommen. Er sammelt entsprechende Daten und trägt den Lohn auf der Senkrechten und die Menge der Arbeit auf der Waagrechten auf. Die Graphik lässt keinerlei Zusammenhang erkennen.
Dann trifft Romer ein paar «triviale» Annahmen und schon spuckt das Programm eine Kurve aus, die – wie erwartet – von links oben nach rechts unten weist: Tiefes Arbeitsangebot, hoher Lohn – hohes Angebot, tiefer Lohn. Was zu beweisen war.
Doch Romer geht es in seinem Text weniger um die Irrtümer der modernen Ökonomie. Was ihn umtreibt ist die Frage, warum die ehrenwerte Gesellschaft der Ökonomen aufgehört hat, Wissenschaft betreiben zu wollen. Die kurze Antwort lautet: Weil man in diesem Metier nur Karriere macht, wenn man im Chor mitsingt.
Die Reaktion der Kollegen bestätigt Romers Analyse. Der Kollege, Konkurrent und Nobelpreisträger Paul Krugman lässt ausrichten, dass zumindest seine Modelle «alles» richtig vorausgesagt hätten. (Was stimmen mag, wenn man «alles» sehr eng definiert.) Der Eco-Blogger Austin Middleton stellt fest, dass Romers Text bloss in einem zweitrangigen Magazin erschienen sei und deshalb kein Gewicht habe.
Wolfgang Münchau von der «Financial Times» zieht Romer ins aktuelle Kampfgetöse. Sein Text zeige, dass man die Geldpolitik nicht den Ökonomen überlassen dürfe. Münchau hat Recht, aber das wäre natürlich nur ein Anfang. Romers Blattschuss gegen die Gleichgewichtsmodelle egal welcher Strickart bedeutet, dass die Ökonomie völlig neu ansetzen muss, und dass das neoliberale Instrumentarium (Zinspolitik, Deregulierung des Arbeitsmarktes etc.) keine intellektuelle Grundlage mehr hat. Das gilt auch für Krugmans keynesianische These, wonach höhere Staatsausgaben die Wirtschaft zurück ins Gleichgewicht bringen könne.
Doch besteht wirklich die Chance auf einen Neuanfang? Wie Romer in seinem Aufsatz bemerkt, haben sich seit Ende der 1970er Jahre immer wieder prominente Stimme gegen die Gleichgewichtslogik der modernen Ökonomie erhoben – und alles ging weiter wie bisher. Inzwischen ist noch deutlicher geworden, dass die Ökonomen keinen Dunst haben und mit Romer meldet sich jetzt ein besonderes Schwergewicht zu Wort.