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Schweizer Wirtschaft hat auch 2016 noch am Frankenschock zu knabbern

Schweizer Wirtschaft hat auch 2016 noch am Frankenschock zu knabbern

13.01.2016, 09:1113.01.2016, 09:28
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Seit einem Jahr ächzt die Wirtschaft nun unter dem Frankenschock. Die Auswirkungen dürften 2016 noch gravierender sein als 2015. Der SNB-Entscheid hat nach Ansicht der meisten Beobachter die Schweizer Wirtschaft bisher mit Sicherheit einige tausend Stellen gekostet. Und diese Tendenz dürfte sich fortsetzen.

Auf dem internationalen Markt können Schweizer Unternehmen oftmals nur noch bestehen, wenn sie ihre Preise senken. Hinzu kommt, dass ihre Umsätze in Euro in Franken ausgedrückt am 15. Januar plötzlich 15 Prozent weniger wert waren.

Arbeitssuchender in der Schweiz.
Arbeitssuchender in der Schweiz.
Bild: KEYSTONE

Die Folge ist laut Ökonomen der Credit Suisse beispielsweise, dass die Frankenaufwertung 2015 etwa 10'000 Stellen gekostet hat. 2015 waren im Schnitt 143'000 Menschen arbeitslos; das sind über 6000 mehr als im Vorjahr. Die Quote wird von 3.3 Prozent im letzten Jahr auf 3.6 Prozent 2016 weiter klettern. «Aber die Lage ist weniger schlimm, als Einige befürchtet hatten», relativiert Sergio Rossi, Wirtschaftsprofessor an der Universität Freiburg, auf Anfrage der Nachrichtenagentur SDA.

Diese Meinung teilt auch Nadia Gharbi, Ökonomin bei der Privatbank Pictet. Gharbi bewertet die Wirtschaftsentwicklung der Schweiz im vergangenen Jahr mit einem Wachstum von voraussichtlich 0.8 Prozent als ziemlich standfest. Für 2016 erwartet sie eine leichte Wachstumsbeschleunigung auf 1.1 Prozent.

Fehlende Alternative

Die SNB rechnet, wie deren Präsident Thomas Jordan vor einigen Tagen erklärte, gar mit einem Wachstum von 1.5 Prozent. Zu der anfänglich befürchteten scharfen Rezession, zu Massenarbeitslosigkeit und zu einer starken Deflation sei es als Folge der Aufhebung des Euro-Mindestkurses nicht gekommen, bilanzierte Jordan. Der Entscheid sei im Gesamtinteresse der Schweiz gewesen.

Firmen, die Waren aus der EU importieren, gehören zu den Gewinnern der Entwicklung.
Firmen, die Waren aus der EU importieren, gehören zu den Gewinnern der Entwicklung.
Bild: KEYSTONE

Der Freiburger Professor sieht zwar verschiedene Vor- und Nachteile der Aufhebung des Euro-Mindestkurses. Aber seiner Meinung nach wäre die wirtschaftliche Lage in der Schweiz schlimmer, wenn die SNB am Mindestkurs festgehalten hätte.

Dank der Aufgabe des Euro-Mindestkurses habe beispielsweise die Preishausse auf Immobilien reduziert werden können, diese sei aufgrund der zusätzlichen Liquidität im Gefolge der SNB-Interventionen am Devisenmarkt entstanden.

Unter den Gewinnern sieht Rossi Unternehmen, die Waren aus dem EU-Raum importieren. Es handelt sich dabei um Investitionsgüter, Autos, Nahrungsmittel und Elektrohaushaltsgeräte. Auch die Banken zählt Rossi zu den Gewinnern, da der starke Franken Kapital in die Schweiz locke.

Verlierer sind Unternehmen und deren Beschäftigte, die der internationalen Konkurrenz, insbesondere aus der Eurozone, ausgesetzt sind. Auch der Tourismus leidet unter der Aufhebung des Euro-Mindestkurses. «Derzeit entscheiden sich Touristen eher für Winterferien in Österreich als in der Schweiz», stellt Rossi fest.

Die Tourismusbranche leidet.
Die Tourismusbranche leidet.
Bild: KEYSTONE/TI-PRESS

Zehntausende von Stellen in Gefahr

Vor einem Jahr hatte Unternehmen noch Handlungsspielraum, weil ihre Bestellhefte noch für rund sechs Monate gefüllt waren. 2016 könnten aber laut Rossi mehrere zehntausend Stellen gestrichen oder ausgelagert werden.

Auch Nadia Gharbi geht davon aus, dass der Abbau von Arbeitsplätzen im laufenden Jahr vermutlich stärker ausfallen dürfte als noch 2015. Der Arbeitsmarkt werde aber relativ robust bleiben, auch wenn es Verluste in einigen Sektoren geben werde.

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) erwartet für 2016 ebenfalls einen Anstieg der Arbeitslosigkeit auf durchschnittlich 3.6 Prozent. Im Durchschnitt des Vorjahres betrug die Arbeitslosenrate noch 3.3 Prozent.

Als weitere Folge des starken Frankens sinken die Gewinnmargen der Unternehmen. Auch Gharbi stellt fest, dass viele Unternehmen auf den Frankenschock mit Preissenkungen reagiert und damit auf Marge verzichtet hätten. Dies habe sich auf die Inflation ausgewirkt, die im Gesamtjahr 2015 negativ gewesen sei.

Konzentration auf Kerngeschäft

Der Freiburger Professor erwartet, dass einige Unternehmen ihre Aktivitäten reduzieren könnten, was sich auf die Beschäftigung auswirken würde.

Insbesondere für den Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) ist eine Wiedereinführung eines Euro-Mindestkurses weiterhin ein Thema. Für Rossi ist das allerdings keine Option. «Ein Jahr ist in der Geldpolitik sehr kurz. Eine Wiedereinführung des Mindestkurses wäre sehr schlecht für die Glaubwürdigkeit der SNB», stellt Rossi fest.

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Laut Nadia Gharbi würde dies auch viel zu teuer werden. Zudem sei die Handlungsspielraum der SNB sehr eng und abhängig von Entscheiden anderer Notenbanken, insbesondere der Europäischen Zentralbank (EZB) und der amerikanischen Notenbank (Fed).

Um Frankenspekulationen und Aufwertungen zu dämpfen, würde Rossi die Negativzinsen durch eine Gebühr von 0.01 Prozent auf Frankenkäufe ersetzen.

(sda)

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