Der Aufschrei war gross, als im letzten Frühling chinesische Forscher menschliche Embryos gentechnisch veränderten. Führende Molekularbiologen und Bioethiker meldeten sich zu Wort und verurteilten die Eingriffe ins menschliche Erbgut. Journalisten stellten klar, dass ein solcher Eingriff in den meisten westlichen Ländern verboten wäre.
Doch zumindest für Grossbritannien gilt das nicht: Gestern hat die Kontrollbehörde Human Fertilisation and Embryology Authority (HFEA) grünes Licht gegeben für Genmanipulationen an Embryos zu Forschungszwecken. Ein entsprechender Antrag von Wissenschaftern des Francis Crick Institute in London wurde gutgeheissen.
In einem Experiment möchte die Molekularbiologin Kathy Niakan mit ihrem Team Gene manipulieren, die in den ersten Tagen nach der Befruchtung aktiv sind. Sie wollen so mehr über die Entwicklung von Embryos herausfinden und dazu beitragen, dass die künstliche Befruchtung erfolgreicher wird. «Wir möchten verstehen, welche Gene es braucht, damit aus einem Embryo ein gesundes Baby wird», erklärte Niakan gegenüber der BBC. Viele der Gene, die während der frühen Phase aktiv seien, kämen nur beim Menschen vor, sodass Tiermodelle nicht infrage kämen.
Für ihr Experiment nutzen die Forscher eine Technologie namens Crispr-Cas9. Mit dieser noch jungen, aber revolutionären Technologie lässt sich die DNA auf einfache Weise umschreiben, indem Gene hinzugefügt, entfernt oder ausgetauscht werden. Nachdem die britischen Forscher die befruchteten Eizellen damit behandelt haben, wollen sie diese zu einer «Blastozyste», einer Struktur aus 200 bis 300 Zellen, heranwachsen lassen. Nach sieben Tagen soll das Experiment mit der Zerstörung der Embryos enden. Es wird also kein Embryo eingesetzt; es entstehen keine genmanipulierten Babys. Das wäre in England auch gar nicht erlaubt. Und dennoch überschreiten die Forscher mit ihrem Experiment eine rote Linie. Sie greifen in den Code des menschlichen Lebens ein.
Kritiker sehen darin bereits den ersten Schritt zum Designerbaby. Ist die Technologie erst einmal erprobt und funktioniert sie zuverlässig, so würde sie auch genutzt werden, um Babys genetisch zu verändern, befürchten sie. «Wenn es darum ginge, genetisch manipulierte Kinder zu produzieren, würden bei mir die Alarmglocken läuten», sagt Christoph Rehmann-Sutter, Professor für Bioethik in Lübeck und ehemaliger Präsident der Schweizer Ethikkommission.
Im Experiment der britischen Forscher sieht er aber nichts Verwerfliches. Der Zweck des Experiments, mehr über die embryonale Entwicklung herauszufinden und die künstliche Befruchtung zu verbessern, und die Bedingung, dass der Embryo nur wenige Tage entwickelt und nicht eingepflanzt wird, können einen solchen Eingriff rechtfertigen, findet Rehmann-Sutter.
Gemäss dem Fachblatt «Nature» ist es das erste Mal weltweit, dass eine nationale Aufsichtsbehörde Genmanipulation an einem menschlichen Embryo erlaubt hat. In China, wo letztes Jahr zum ersten Mal mit Crispr-Cas9 das menschliche Erbgut manipuliert wurde, war eine solche Einwilligung nicht nötig. Umso lauter war deshalb die Empörung. Wo es nur unzureichende Regulierungen gibt, ist die Gefahr des Missbrauchs umso grösser. Dennoch geht nun das Experiment der englischen Forscher sogar einen Schritt weiter.
Ihre chinesischen Kollegen hatten für die Manipulation fehlgebildete Embryos mit drei kompletten Chromosomensätzen verwendet (sogenannte Triploide), die sich gar nie zu einem funktionsträchtigen Menschen hätten entwickeln können. «Die chinesischen Forscher begaben sich so auf die sichere Seite», sagt Rehmann-Sutter. In England hingegen sollen gesunde Embryonen für das Experiment verwendet werden.
Das Experiment der englischen Forscher, zu dem nun noch eine Ethikkommission seine Zustimmung geben muss, wird zeigen, wie gut sich Crispr am Menschen anwenden lässt. Denn die chinesischen Wissenschafter hatten damit noch reichlich Probleme. Nur bei 4 von 54 mit Crispr veränderten Embryos kam es zur gewünschten Mutation – und auch diese vier hatten weitere, nicht beabsichtigte Veränderungen, sogenannte «off-target»-Mutationen.
Doch seit das Experiment in diesem Frühling durchgeführt wurde, hat sich Crispr weiterentwickelt. «Heute würde das Experiment mit grosser Sicherheit viel erfolgreicher verlaufen», sagt Gerald Schwank, der an der ETH-Zürich mit der Crispr-Technologie experimentiert. Georg Church, einer der führenden US-Molekularbiologen, erklärte gegenüber der Zeitschrift «Wired» sogar, dass man das Problem mit den «off-target»-Mutationen bereits in den Griff bekommen habe.
Es ist dieser rasende Fortschritt, der Angst macht. Sogar den Mikrobiologen selber. Sie warnen, dass ihre Technologie «gefährliche und ethisch inakzeptable Entwicklungen» zufolge haben könnte.
Denn wenn die Technologie erst einmal zuverlässig funktioniert, könnte man mit ihr Erbkrankheiten heilen. Man könnte aber auch Designerbabys erschaffen. Und dann stellt sich die Frage: Wo macht man halt? Merzt man nur Gendefekte aus? Oder ist es auch okay, wenn man über die Haar- und Augenfarbe der Kinder bestimmt? Oder die Intelligenz?
Doch selbst wenn man den Menschen nicht optimiert, sondern bloss Krankheiten heilt, so liessen sich die Auswirkungen eines solchen Eingriffs nicht abschätzen. Denn die genetischen Veränderungen hätten nicht nur Folgen für den Menschen, bei dem sie gemacht werden. Sie würden auch an die kommenden Generationen weitervererbt werden.