Die Mondlandung: ein Fake. Nine-Eleven: ein Inside-Job. Das Charlie-Hebdo-Attentat: eine False-Flag-Operation. Die Klima-Erwärmung: ein Hoax. Verschwörungstheorien sind kein neues Phänomen, aber sie haben Konjunktur – beinahe jeder zweite Amerikaner glaubt gemäss Umfragen an mindestens eine Verschwörungstheorie. In den neuen Medien finden diese Theorien zudem den Resonanzraum, der ihnen früher verwehrt blieb.
Kein Wunder, dass die Forschung sich mit dem Phänomen befasst. Warum sind unbegründete, unwissenschaftliche und unlogische Annahmen über die Welt unter normalen, psychisch gesunden Menschen so verbreitet? Eine neue Studie, die im European Journal of Social Psychology erschienen ist, bringt die Anfälligkeit für irrationale Überzeugungen mit der Wahrnehmung von imaginären Mustern zusammen.
Muster zu erkennen ist eine überlebenswichtige kognitive Fähigkeit. Sie erlaubt uns, sinnvolle Beziehungen zwischen Ereignissen herzustellen – etwa zwischen einer roten Ampel und der Gefahr durch den Verkehr. Allerdings ist nicht jede Beziehung sinnvoll. Wenn ich beispielsweise davon überzeugt bin, dass meine roten Socken mir Glück bringen, weil ich sie während einer erfolgreich verlaufenen Prüfung getragen habe, verbinde ich Dinge miteinander, die nichts miteinander zu tun haben. Die Psychologen nennen dieses Verhalten «illusory pattern perception» (etwa «Wahrnehmung von Scheinmustern»).
Die These, dass das Gehirn dazu neigt, dort Muster zu erkennen, wo in Wahrheit gar keine sind, ist schon früher vorgebracht worden. Das niederländisch-britische Forscherteam um Jan-Willem van Prooijen von der Vrije Universiteit Amsterdam (VU) hat nun jedoch empirische Daten dazu vorgelegt. Die Wissenschaftler führten insgesamt fünf Testreihen durch.
Zuerst massen die Psychologen die Affinität der 264 Versuchspersonen zu neun gängigen Verschwörungstheorien. Sie wurden gebeten, auf einer Skala von 1 bis 5 anzugeben, wie stark sie zum Beispiel einer Aussage wie «Die US-Regierung wusste zuvor von Nine-Eleven Bescheid» zustimmten. Danach mussten sie in gleicher Weise frei erfundene Verschwörungstheorien bewerten, zum Beispiel «Red Bull enthält illegale Substanzen, die das Produkt begehrenswerter machen».
In einem nächsten Schritt evaluierten die Forscher die Affinität der Probanden zu übernatürlichen Phänomenen, indem sie die Zustimmung zu Aussagen wie «Ich glaube, ich könnte lernen, die Gedanken anderer Leute zu lesen, wenn ich wollte» oder – umgekehrt – «Zahlen wie 13 oder 7 haben keine besondere Macht» massen.
Danach mussten die Testpersonen eine Reihe von zufällig generierten Münzwürfen auf einer Skala von 1 («völlig zufällig») bis 7 («völlig determiniert») bewerten. Jene, die in den beiden vorangegangenen Tests hohe Zustimmungswerte erzielt hatten, neigten signifikant eher dazu, in der Abfolge von Kopf und Zahl ein Muster zu erkennen – für sie waren die Ergebnisse nicht zufällig, obwohl sie das in Wahrheit waren.
Da sämtliche Münzwürfe zufällig waren, konnte die Versuchsanordnung jedoch nicht ausschliessen, dass irrationale Annahmen mit einer generellen Tendenz korrelieren, Muster zu erkennen – egal, ob diese real oder imaginär sind. Deshalb führten die Forscher mit anderen Probanden einen weiteren Test durch, bei dem diese je neun Gemälde von Jackson Pollock und von Victor Vasarely zu sehen bekamen.
Das Resultat: Nur die Wahrnehmung von Mustern in den chaotischen Pollack-Gemälden korrelierte mit Zustimmung zu Verschwörungstheorien und Glauben an übernatürliche Phänomene. Dagegen gab es keine Korrelation zwischen diesen irrationalen Annahmen und der Wahrnehmung von Mustern in den Bildern von Vasarely. Mit anderen Worten: Nur die Wahrnehmung von imaginären Mustern («illusory pattern perception») korreliert mit einem Hang zu Verschwörungstheorien.
Die Psychologen weisen darauf hin, dass zufällig generierte Abfolgen von Münzwürfen manchmal Sequenzen enthalten, die wie ein Muster wirken. Die Unterscheidung zwischen realen und imaginären Mustern sei für die Versuchspersonen in solchen Fällen schwierig – und genau dies sei ein Grund, warum viele Leute irrationale Annahmen plausibel fänden.
Sie unterschätzten die Wahrscheinlichkeit, dass ein zufälliger Prozess Ergebnisse produziere, die nicht zufällig erscheinen – es aber sind. Dies gelte auch für den Alltag, wo es oft zu Koinzidenzen komme, die als nicht-zufällig oder sinnhaft empfunden würden – wie das berühmte Beispiel von der Person, an die man denkt, und die dann prompt anruft.
Unsichere Zeiten, betonen die Forscher, seien ein guter Nährboden für diese Art von Überzeugungen. Sie seien ein Mittel, um ein unberechenbares und potenziell gefährliches Umfeld als berechenbarer zu erfahren. «Die Resultate bieten empirische Belege für die Rolle, welche die Wahrnehmung von Scheinmustern bei irrationalen Annahmen spielt», heisst es in der Studie. «Wir folgern, dass die Wahrnehmung von Scheinmustern ein zentraler kognitiver Bestandteil des Glaubens an Verschwörungstheorien und übernatürliche Phänomene ist.»
(dhr)