Ich liege mitten in einem grossen, hellen Raum auf einer Matte und zapple mit dem ganzen Körper. Mit meinen Händen und Füssen klopfe ich laut auf den Boden, meine Schultern und meinen Kopf schüttle ich so schnell ich kann auf und ab, hin und her. Mein Mund ist geöffnet, ich stosse ein lautes und langes «Aaaaaaaaaa» aus.
Was ich hier mache? Ich trainiere meine Atmung. Die Methode, die ich ausprobiere, nennt sich «Transformational Breath».
Als ich mich am Morgen zur Atemtrainerin begebe, habe ich keine Ahnung, was mich erwartet. Dass ich von dieser aus den USA stammenden Methode noch nie etwas gehört habe, liegt wohl daran, dass sie hierzulande noch nicht sehr verbreitet ist.
Bevor es losgehen kann, ziehe ich eine Trainingshose an, in der ich mich gut bewegen kann. Dann sitze ich mit einer Tasse Glückstee in der Hand in einem bequemen Stuhl und erzähle der Trainerin, Daniela Rusconi, was ich für ein Mensch bin, wie mein aktuelles körperliches und vor allem auch seelisches Befinden ist. Die Trainerin macht sich Notizen.
Doch, wozu muss ich überhaupt lernen zu atmen? Rusconi erklärt mir, worum es geht: «Luft ist Energie – je mehr Luft wir einatmen, desto mehr Energie bekommen wir. Am meisten Luft bekommen wir, wenn wir mit offenem Mund tief in den Bauch atmen.»
Diese Atmung sei es auch, die Babys automatisch machten. Mit der Zeit würden die meisten Menschen diese aber verlernen. «Weil wir ständig gestresst sind, atmen wir nicht mehr richtig durch.» Bei Frauen gebe es noch einen weiteren Grund für eine flache Atmung, erklärt die Trainerin: «Wenn wir in den Bauch atmen, bläht sich dieser auf. Ich kenne viele Frauen, die es schon allein deswegen nie tun.»
Unterbewusst würden wir uns dadurch etwas Gutes nicht gönnen. «Statt viel Energie einzuatmen, schränken wir uns selber ein. Und das machen wir häufig auch mit anderen Dingen im Leben.» Beim entspannten Atmen ginge es darum, loszulassen, sich nur auf sich zu konzentrieren. Das spiegle sich dann auch im Alltag wider.
Das klingt für mich aber schon eher spirituell. «Die Methode hat ganz sicher eine spirituelle Komponente. Für mich bedeutet das ‹Nach Hause kommen›, für andere hat das mit Gott zu tun», erklärt Rusconi. Trotzdem kämen zu ihr nicht nur Leute, die sich speziell mit Spiritualität auseinandersetzen würden.
«Von Maurern, über Banker, bis hin zu Sekretärinnen – mein Training besuchen ganz verschiedene Leute», erzählt sie. Häufig seien es Menschen mit psychischen Problemen, die zum Beispiel das Gefühl haben, kurz vor einem Burn-out zu stehen.
Dann geht es los. Ich lege mich auf die rote Matte, schliesse die Augen, öffne den Mund und versuche, in den Bauch zu atmen. Rusconi legt ihre Hand auf meinen Bauch. «Das machst du schon recht gut, aber deine Atmung passt zu deinem Charakter. Du atmest zu kontrolliert und es bewegt sich nur der obere Bauch. Versuch mal, noch tiefer zu kommen.»
Das stellt sich als gar nicht so einfach heraus. Nach kurzer Zeit hat sich mein Mund wie von selbst geschlossen. Es ist eben ziemlich ungewohnt, mit so weit geöffnetem Mund zu atmen. Zur Unterstützung steckt Rusconi für ein paar Minuten ein kurzes Plastikrohr zwischen meine Zähne – das hindert mich daran, den Mund wieder zu schliessen.
Dann nimmt sie das Plastikteil wieder weg und fordert mich auf, mit den Händen und Füssen auf den Boden zu trommeln, meine Schultern und den Kopf zu schütteln und beim Ausatmen «Aaaaaaaa» zu sagen. Das soll die Atmung stärker anregen. Als ich wieder zur Ruhe komme, kribbeln meine Hände und meine Arme.
Während eines Grossteils der Session muss ich nichts anderes tun, als mich auf meine Atmung zu konzentrieren. Im Hintergrund läuft etwas Musik, Rusconi bewegt meine Arme, drückt mit den Händen auf verschiedene Triggerpunkte am Bauch, massiert meinen Nacken, atmet laut mit mir mit, um mir einen Rhythmus zu geben und redet mir gut zu. Was genau sie sagt, weiss ich danach nicht mehr.
Wenn man sich so stark auf sich selbst konzentriert, ist es nicht so einfach, äussere Eindrücke aufzunehmen. Folgendes ist mir dennoch in Erinnerung geblieben: «Nimm die Liebe an, die auf dich wartet. Geniesse die Liebe.» Nach einiger Zeit merke ich, dass ich beim Atmen viel besser gegen den Druck, den Rusconi mit ihrer Hand ausübt, ankomme. Es fühlt sich ausserdem so an, als würde ich mit den Atemzügen weiter runter in den Bauch kommen.
Nachdem ich mich noch einmal durchgeschüttelt habe, darf ich den Mund wieder schliessen, meine Beine ausstrecken und zu meiner «normalen» Atmung übergehen. Am Ende der Session fühlt es sich an, als wäre mein Körper ganz tief in den Boden gesunken, als würden meine Hände nun eine Ebene weiter oben liegen und nicht mehr neben meinem Körper.
Wer die richtige Atemtechnik gelernt hat, kann an Gruppensessions teilnehmen. Doch was soll das Training langfristig bringen? «Mit dem Atmen ist es wie mit dem Erlernen einer Sprache. Wer sie nicht benutzt, verlernt sie wieder», erklärt Rusconi.
Aus diesem Grund empfiehlt sie, mehrmals pro Tag bewusst mit offenem Mund tief in den Bauch zu atmen. «Im normalen Alltag ist es sinnvoll, durch die Nase zu atmen», sagt Rusconi. Sie empfiehlt jedoch 100 tiefe, bewusste Atemzüge durch den offenen Mund pro Tag.
Im absoluten Idealfall atmet man in Bauch und Brustkorb gleichzeitig. Doch so weit bin ich noch lange nicht. Auch wenn ich an diesem Tag gelernt habe, wieder tiefer in den Bauch zu atmen, funktioniert bei mir nur eines von beiden: Entweder ich atme in den Bauch oder in den Brustkorb.
Das Training war eine interessante Erfahrung. Das tiefe Atmen in den Bauch scheine ich tatsächlich mit der Zeit verlernt zu haben und der bewusste Versuch, es wieder zu tun, wirkt sehr entspannend. Die Sätze, die Rusconi während der Session wie eine Art Mantra gesprochen hat, waren für mich vielleicht nicht ganz das Richtige. Dafür kann ich mit Spiritualität zu wenig anfangen und ob ich tatsächlich lernen muss, «die Liebe anzunehmen, die auf mich wartet», weiss ich nicht.
Aber das ist wohl nicht nur beim Atemtraining so. Ob Yoga, Pilates, Meditationskurse oder andere Entspannungstechniken – unsere ständig gestresste Generation hat die unterschiedlichsten Methoden aus dem Boden schiessen lassen. Ob man so etwas ausprobieren möchte oder nicht, muss jeder für sich selbst entscheiden.