Die Welt ist ungerecht. Das gilt auch für die Welt der Wissenschaft – viele Forscher, die bahnbrechende Entdeckungen machten oder wichtige Vorarbeiten dazu leisteten, mussten zusehen, wie der Ruhm anderen zuteil wurde. Sieben Beispiele:
«Mutter der Atombombe», «deutsche Marie Curie» – diese Bezeichnungen verraten schon, dass Lise Meitner ein wissenschaftliches Schwergewicht war. Die Physikerin österreichischer Herkunft hätte für ihren Anteil an der Entdeckung der Kernspaltung mit Sicherheit den Nobelpreis verdient. Doch diese Anerkennung blieb ihr versagt – während ihr Kollege Otto Hahn 1945 mit dem Preis geehrt wurde.
Dies lag wohl daran, dass Meitner, die Jüdin war, 1938 überstürzt aus Berlin flüchten musste – ohne Pass und nur mit leichtem Handgepäck. In Schweden, wo sie Zuflucht fand, standen ihr weder Mitarbeiter noch Mittel für ihre Forschung zur Verfügung. Hahn, der ihr bei der Flucht geholfen hatte, hielt sie derweil brieflich über seine Experimente auf dem Laufenden. Ende 1938 berichtete er ihr von einem Vorgang, den er mit seinem Assistenten Fritz Strassmann beobachtet hatte:
Meitner konnte. Sie erkannte, dass Hahn den Urankern tatsächlich gespalten hatte. Mit ihrem Neffen, dem Kernphysiker Otto Robert Frisch, lieferte sie die physikalische Erklärung für Hahns Entdeckung – und erkannte zugleich, dass diese Kernspaltung ungeheure Energien freisetzte.
Dennoch ging sie bei der Verleihung des Nobelpreises leer aus. Es mag sie getroffen haben, dass Hahn danach nie auf ihren Anteil am Erfolg hinwies – obwohl er sich sonst immer als loyaler Freund verhalten hatte.
Er war sozusagen Albert Einsteins intellektueller Sparringpartner. Aber anders als Einstein, dessen Name zum Synonym des genialen Wissenschaftlers wurde, ist Niels Bohr heute eher wenig bekannt. Dabei wurde der dänische Physiker 1922 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet; sein Atommodell, wiewohl heute überholt, war ein Meilenstein in der Geschichte der modernen Physik.
Mit Einstein diskutierte Bohr über fast drei Jahrzehnte hinweg scharf, aber stets freundschaftlich die Theorie der Quantenmechanik. Während Einstein an eine objektive Aussenwelt glaubte, die unabhängig vom wahrnehmenden Subjekt real existiert, vertrat Bohr den Standpunkt, dass der Übergang vom Möglichen zum Faktischen während des Beobachtungsaktes stattfinde.
Einstein, dessen Position sich im Fazit «Gott würfelt nicht» niederschlug, konnte Bohrs Theorie der Quantenmechanik nach Ansicht der meisten Wissenschaftler nicht widerlegen. Dennoch blieb Bohr zeit seines Lebens und darüber hinaus im Schatten des ungleich berühmteren Physikers, mit dem heute jedes Kind den Begriff der Relativitätstheorie verbindet.
Sie starb vier Jahre zu früh: Rosalind Franklin bekam keinen Nobelpreis, denn diese Auszeichnung wird nur Lebenden verliehen. Die britische Biochemikerin, die am King's College in London bahnbrechende Untersuchungen zur Struktur der DNA vornahm, ebnete einem Forscher-Duo den Weg, das heute noch weltweit bekannt ist: James Watson und Francis Crick.
Der Physiker Crick und der Biologe Watson erhielten 1962 zusammen mit dem Physiker Maurice Wilkins den Nobelpreis für den Nachweis der Doppelhelix-Struktur der DNA, den sie 1953 im Fachblatt «Nature» veröffentlicht hatten. Wilkins hatte zusammen mit Franklin, mit der er sich nicht gut verstand, im Labor gearbeitet und den beiden anderen Wissenschaftlern Franklins unpublizierte Forschungsergebnisse zugänglich gemacht.
Und die waren entscheidend: Franklin hatte das Erbgut mit Hilfe des Verfahrens der Röntgenbeugung untersucht und dabei festgestellt, dass die DNA in Form einer Helix aufgebaut ist, bei der die Zucker- und Phosphatanteile aussen und die Basen innen liegen. Watson und Crick erwähnten Franklin in ihrem berühmten Aufsatz nur kurz am Schluss; in ihren Dankesreden bei der Nobelpreisverleihung vergassen sie die inzwischen mit nur 37 Jahren verstorbene Kollegin gleich ganz.
Sie war die erste Frau in Deutschland mit einem Doktortitel in Chemie: Clara Immerwahr. Heute ist sie weitgehend unbekannt – im Gegensatz zu ihrem Mann, dem Chemiker Fritz Haber. Mit dem Namen dieses Nobelpreisträgers verbindet sich bis heute das Haber-Bosch-Verfahren zur Produktion von Kunstdünger und Sprengstoff. Und die Entwicklung von Giftgas im Ersten Weltkrieg.
Kurz nach dem ersten Einsatz des von ihrem Mann entwickelten chemischen Kampfstoffs in Belgien 1915 erschoss sich die Pazifistin Immerwahr mit dessen Dienstwaffe. Bei ihrem Suizid dürfte neben dem Protest gegen diese militärische Tätigkeit ihres Gatten auch eine lähmende Unzufriedenheit mit ihrer Situation eine Rolle gespielt haben: Die Chemikerin, die ihrem Mann intellektuell zumindest ebenbürtig war, hatte ihre wissenschaftlichen Ambitionen vollkommen zurückstellen müssen.
Als Professorengattin und Mutter verkümmerte sie neben dem dominanten Haber und durfte allenfalls noch Vorträge vor Frauen über «Naturwissenschaften im Haushalt» halten, während ihr Gatte Karriere machte. Schon 1905, als Haber sein Lehrbuch «Thermodynamik technischer Gasreaktionen» veröffentlicht hatte, stand allein sein Name auf dem Umschlag. Nur in der Widmung dankte er ihr für ihre «stille Mitarbeit».
Physik und Politik waren die beiden grossen Interessen dieses Mannes. Beide Bereiche waren essentiell für den jüdisch-ungarischen Physiker Leo Szilard. Physik, weil sie die Mittel zur Selbstvernichtung der Menschheit bereitstellte; Politik, weil Nazis und Faschisten gegen die europäische Zivilisation anstürmten.
Szilard wusste wohl besser als fast jeder andere, welches Vernichtungspotenzial die sich stürmisch entwickelnde Kernphysik ermöglichen würde: Er war der vermutlich erste Mensch, der das Konzept der nuklearen Kettenreaktion – Grundlage der Atombombe – geistig erfasste. Der Gedanke kam ihm 1933 in London, als er an einer Ampel wartete.
Später, in den USA, arbeitete Szilard mit dem italienischen Physiker Enrico Fermi zusammen. Ein ungleiches Duo: Der Nobelpreisträger Fermi ging systematisch vor, während der Spätaufsteher Szilard seine vielen Ideen gern in der Badewanne ausbrütete. Die beiden gerieten oft aneinander, auch weil der bequeme Szilard bei den Experimenten kaum Hand anlegte.
Mehr als Fermi fürchtete Szilard, die Deutschen könnten der Atombombe auf der Spur sein. 1939 gelang es ihm, Einstein dazu zu bringen, einen von ihm verfassten Brief an den US-Präsidenten Roosevelt zu unterzeichnen – die Initialzündung für das Manhattan-Projekt, die Entwicklung der amerikanischen Atombombe. Später, aber noch vor dem Einsatz der Bombe in Hiroshima, wandelte er sich zum Kritiker von Atomwaffen – wie Einstein.
Im Dezember 1942 gelang Fermi mit dem Kernreaktor Chicago Pile No. 1 erstmals eine kritische Kernspaltungs-Kettenreaktion – diese Leistung bleibt mit seinem Namen verknüpft. Die theoretische Vorarbeit dazu hatte freilich Szilard erbracht, der auch das Design des Reaktors konzipierte. Der quirlige Denker geriet dennoch nahezu in Vergessenheit.
Er war gelernter Landvermesser, stammte aus bescheidenen Verhältnissen und besuchte nie eine Universität. Gleichwohl ist Alfred Russell Wallace einer der wichtigsten Biologen in der Geschichte der Wissenschaft. Der Autodidakt erkannte Anfang 1858 während einer Forschungsreise im heutigen Indonesien, was die Veränderung der Arten antreibt: «Im Ganzen überlebt, wer am besten angepasst ist.» Darwins «Survival of the fittest» lässt grüssen.
Der sogenannte Ternate-Essay, in dem Wallace das Grundprizip der Evolutionstheorie formulierte, schickte er an den Geologen Charles Lyell, der sich ebenfalls mit diesen Fragen auseinandergesetzt hatte. Allerdings sandte Wallace sein Werk nicht direkt an Lyell, sondern über einen Mittelsmann, den er in England kennengelernt hatte. Dessen Name: Charles Darwin.
Für Darwin war der Ternate-Essay ein Schock: Er selber hatte schon in den 1840er-Jahren einen Entwurf der Theorie zu Papier gebracht, aber nie veröffentlicht. An Lyell schrieb er:
Nun musste Darwin in die Offensive gehen. Am 1. Juli 1858 wurden zwei Aufsätze von ihm und einer von Wallace vor der Linnean Society verlesen. Ein bedeutsames Detail dabei war, dass Darwins Werk an erster Stelle stand – Wallace im fernen Indonesien wusste dagegen nichts von der Verlesung. Weder Darwin noch Lyell hielten es für nötig, ihn zu informieren.
In der Folge schrieb Darwin seine Abhandlung mit Hochdruck zu Ende. 1859 kam «Die Entstehung der Arten» heraus – ein Werk, das wie kaum ein anderes die Biologie revolutionierte. Wallace beklagte sich nicht darüber, dass Darwin, der renommiertere Wissenschaftler, die Meriten für die Evolutionstheorie einheimste. Darwin wiederum verschaffte ihm eine lebenslange Pension. Als Darwin 1882 starb, gehörte Wallace zu den Männern, die seinen Sarg trugen.
Es war eine der wichtigsten astronomischen Entdeckungen des 20. Jahrhunderts: Im November 1967 entdeckte die britische Radioastronomin Jocelyn Bell Burnell als erste einen Pulsar, einen extrem schnell rotierenden Neutronenstern. Solche Sterne – sie sind dichter als ein Atomkern – sind die Überbleibsel einer Supernova.
Bei der Suche nach Radioquellen hatte Bell Burnell am Mullard Radio Astronomy Observatory bei Cambridge Daten analysiert, die auf kilometerlangen Papierbahnen ausgedruckt waren. Dabei stiess sie auf ein ungewöhnlich regelmässiges Signal. Sie und ihr Doktorvater Antony Hewish dachten zuerst, es könne sich eventuell um Signale einer ausserirdischen Zivilisation handeln. Der Physiker Thomas Gold vermutete dagegen einen rotierenden Neutronenstern – was sich dann als richtig herausstellte.
Der Lohn war der Nobelpreis für Physik. 1974 erhielten Antony Hewish und Martin Ryle, ein anderer beteiligter Astronom, die begehrte Auszeichnung – nicht aber Bell Burnell, die doch die eigentliche Entdeckung gemacht hatte und zudem in der Originalpublikation der Ergebnisse nach Hewish an zweiter Stelle der fünf Autoren stand.
Das Nobelkomitee erntete für diese Fehlentscheidung heftige Kritik. Immerhin erhielt Bell Burnell 2007 eine späte Anerkennung, als sie von Königin Elisabeth II. als Dame Commander of the Order of the British Empire ausgezeichnet wurde.