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Hitlerjugend im Altersheim: Der anerzogene Antisemitismus lebt in den Köpfen weiter

Mitglieder des Bundes Deutscher Mädel (BDB), dem weiblichen Zweig der Hitlerjugend (HJ).
Mitglieder des Bundes Deutscher Mädel (BDB), dem weiblichen Zweig der Hitlerjugend (HJ).Bild: Universal Images Group Editorial

Hitlerjugend im Altersheim: Der anerzogene Antisemitismus lebt in den Köpfen weiter

16.06.2015, 21:0017.06.2015, 08:23
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Eine neue Studie der Universität Zürich und der University of California belegt, dass Deutsche, die unter dem Nazi-Regime aufgewachsen sind, auch heute noch viel stärker antisemitisch sind als solche, die vor oder nach dieser Zeit geboren sind. 

Dieser Schluss ist nicht weiter erstaunlich, war doch der Alltag im Dritten Reich durchdrungen von den ewig gleichen Parolen, die die Überlegenheit der Arier propagierten, den Rassenhass schürten und die Juden als Untermenschen darstellten, was letztlich zu ihrer Verfolgung und massenweisen Vernichtung führte. 

«Ihr sollt flink wie die Windhunde, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl sein.»
Adolf Hitler in einer Rede vor der HJ im Nürnberger Stadion, 1935
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Hitlerjugend
Die Hitlerjugend begrüsst ihren Führer 1936. Die Jugend- und Nachwuchsorganisation der NSDAP wurde ab 1933 zum staatlichen und einzigen Jugendverband mit bis zu 8,7 Millionen Mitgliedern (98 Prozent aller deutschen Jugendlichen) ausgebaut.
quelle: ullstein bild / ullstein bild
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Die Indoktrination der Deutschen mit diesen nationalsozialistischen Kernideen begann schon im Kindesalter. In der Hitlerjugend wurden sie auf ihre Rolle als nationale Rasseelite vorbereitet, alles «Schwache» musste verachtet und «ausgemerzt» werden. 

Hans-Joachim Voth, Professor für Ökonomie an der Universität Zürich, und Nico Voigtländer, Professor der University of California, Los Angeles, haben nun untersucht, wie wirksam diese Indoktrination war und wie lange sie anhält. 

«Wir wollten wissen, ob eine extreme Indoktrination die Überzeugungen der Menschen für den Rest ihres Lebens formt, selbst wenn sie anschliessend in einer pluralistischen und demokratischen Gesellschaft leben.»
Prof. Votigtländer

Zehn Prozent extreme Antisemiten

Gestützt auf die Umfragedaten der Deutschen Allgemeinen Bevölkerungsumfragen (ALLBUS) stellten die Forscher Folgendes fest:

  • Deutsche, die in den 1920er und 1930er Jahren geboren wurden, sind auch heute noch viel stärker antisemitisch als ältere oder jüngere Altersgruppen. 
  • Als Extremist gilt gemäss Studie, wer auf die folgenden drei Fragen auf einer Skala von 1 bis 7 zustimmend mit 6 oder 7 antwortet.
  • Die drei Fragen: 
    1. «Haben Juden zu viel Einfluss in der Welt?»
    2. «Sind die Juden an ihrer Verfolgung teilweise selber schuld?»
    3. «Versuchen Juden, ihren Opferstatus zu ihrem finanziellen Vorteil zu nutzen?»

  • In den nach 1950 geborenen Jahrgängen liegt der Anteil an Extremisten nach vorstehender Definition bei etwa drei Prozent
  • Bei denjenigen, die in den 1930er Jahren geboren wurden, ist der Anteil drei Mal so hoch und liegt bei fast zehn Prozent
  • Allgemein liegt das durchschnittliche Niveau des Antisemitismus bei den heute 85- bis 95-Jährigen viel höher als bei anderen Altersgruppen.
1933–34: Mitglieder der Hitlerjugend begrüssen ihren Führer. 
1933–34: Mitglieder der Hitlerjugend begrüssen ihren Führer. Bild: Universal Images Group Editorial

Zudem haben die beiden Professoren den Zeitraum vor dem Nationalsozialismus anhand von Wahlergebnissen untersucht, um die verstärkenden oder dämpfenden Faktoren der Indoktrination zu untersuchen. Dabei stellten sie fest: Je höher das Niveau des Antisemitismus schon vor der Machtergreifung der Nazis war, umso stärker war der Anstieg unter Hitler. 

«Wir nehmen deshalb an, dass die Indoktrination dort die grösste Wirkung zeigte, wo sie auf einem bereits bestehenden Vorurteil aufbauen konnte.»
Prof. Voigtländer

(rof)

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6 Kommentare
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avatar
Tscheggsch?
17.06.2015 08:28registriert Januar 2015
Die rothaarige Frau unten Rechts auf dem letzten Bild grüsst nicht... Spielt sie etwa mit dem ersten Smartphone? Sieht beinahe so aus :D
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