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Sunniten, Schiiten: Das «Who is Who» der islamischen Gruppen

epa05409712 Indonesian Muslims attend Eid al-Fitr prayers at a street in Surabaya, Indonesia, 06 July 2016. Muslims around the world are celebrating the three-day festival marking the end of the holy  ...
Tausende Muslime feiern das Ende des Fastenmonats Ramadan in der indonesischen Hauptstadt Jakarta. Der Islam ist die zweitgrösste Religion nach dem Christentum und zerfällt wie dieses in zahlreiche Untergruppen.Bild: FULLY HANDOKO/EPA/KEYSTONE

Sunniten und Schiiten, Salafisten und Sufis: Das «Who is Who» der islamischen Gruppen

31.07.2016, 12:3502.08.2016, 10:26
Daniel Huber
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Es gab eine Zeit, da war die Beschäftigung mit dem Islam einigen Akademikern vorbehalten. Heute beherrscht die jüngste der drei abrahamitischen Religionen nahezu permanent die Schlagzeilen und in den Kommentarspalten befehden sich Islam-Hasser und Islam-Apologeten mit schäumendem Mund. 

Islam
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Trotz oder gerade wegen der verstärkten Auseinandersetzung mit dem Islam verliert so mancher den Überblick über die verschiedenen Spielarten und Gruppierungen dieser Religion. Der Prophet selber prophezeite: «Die Kinder Israels spalteten sich in 71 Gruppen und die Gemeinde Jesu in 72. Meine Gemeinde wird sich in 73 spalten, von denen alle in die Hölle gehen – bis auf eine.»

Mohammed hält seine Abschiedspredigt.
Mohammed bei seiner Abschiedspredigt. Der Prophet regelte seine Nachfolge nicht, so dass ein Streit ausbrach, der zum Schisma führte. 
Bild: PD

Userin Rhabarber ist vermutlich nicht die einzige, die sich mehr Klarheit wünscht: 

Habt ihr irgendwo einen Artikel, der das islamische Chaos für Normalbürger biz aufklärt? Sunniten, Schiiten, Ibaditen, IS, etc. Wer ist was? Könnte vielleicht helfen moderat und fanatisch besser auseinander zu halten?

Einen solchen Artikel haben wir. Kollege Kian Ramezani hat unlängst «6 Grafiken, 16 Fotos und 1 Video für alle, die immer von ‹dem› Islam reden» vorgelegt: eine brillante Übersicht über Alphabetisierung, Wohlstand, Sprachen und Konfessionen in der islamischen Welt. Diese Übersicht wird hier mit einer Art Glossar ergänzt, die häufig auftauchende Begriffe wie «Salafisten», «Wahhabismus» oder «Aleviten» genauer beleuchtet: 

Sunniten und Schiiten

Diese beiden grössten Gruppierungen im Islam sind bereits kurz nach dem Tod Mohammeds im Jahr 632 entstanden; ihre Feindschaft hat sich an der Frage nach dessen Nachfolge entzündet. Heute ist der Gegensatz zwischen Sunniten und Schiiten einer der bestimmenden Faktoren im religiösen, aber auch politischen Gefüge des Nahen Ostens. 

Iraqi Sunni Muslims pray on the first day of Eid al-Fitr prayers in Baghdad, Iraq, Wednesday, July. 6, 2016. Muslims worldwide are celebrating Eid al-Fitr, marking the end of the Muslim holy fasting m ...
Sunniten beim Gebet in Bagdad. 
Bild: AP

85 bis 90 Prozent der Muslime sind Sunniten. Sie dominieren in den meisten islamischen Ländern und vermochten die Schiiten meist in eine untergeordnete Position zu bringen. Diese sind in den Ländern des sogenannten schiitischen Halbmonds – Bahrain, Iran, Irak, Syrien und Libanon – in der Mehrheit oder bilden eine grosse Minderheit. Eine schiitische Mehrheit gibt es überdies in Oman und Aserbaidschan; eine namhafte Minderheit in Saudi-Arabien.

Die 12 Staaten mit der grössten muslimischen Bevölkerung

Grafik: 12 Staaten mit der grössten muslimischen Bevölkerung
Nach wie vor das grösste muslimische Land ist Indonesien. Die muslimische Minderheit in Indien ist grösser als die Gesamtbevölkerung von Bangladesch. Die Muslime im Iran sind zu rund 90 Prozent schiitisch; jene im Irak zu über 60 Prozent. Grafik: Wikipedia/watson

Streit um die Nachfolge Mohammeds

Der Name der Sunniten leitet sich ab von «Sunna» («Brauch», «Tradition»), womit die überlieferten Taten und Aussprüche des Propheten gemeint sind. Die Sunniten messen der Sunna in der Regel grössere Bedeutung zu als die Schiiten. Entstanden sind die Sunniten aus der Fraktion der frühen Muslime, die den Nachfolger Mohammeds aufgrund bestimmter Fähigkeiten wählen wollten und sich hinter dessen Schwiegervater Abu Bakr scharten.

Ali ibn Abi Talib, der in Anwesenheit des Propheten Mohammed mit dem zweiklingigen Dhu-l-faqar-Schwert einen Quraischiten enthauptet. Osmanische Miniatur, 16. Jahrhundert.
Ali ibn Abi Talib, Vetter und Schwiegersohn Mohammeds, enthauptet in dessen Anwesenheit einen Quraischiten. Ali wurde der vierte Kalif.Bild: OSmanische Miniatur aus dem 16. Jahrhundert

Für die Schiiten hingegen kam nur ein Nachfolger aus der Familie des Propheten in Frage, sie favorisierten Mohammeds Vetter und Schwiegersohn Ali ibn Abi Talib. Man nannte sie daher «Schiat Ali» («Partei Alis»), kurz «Schia». Der Gegensatz mündete in einen ersten innerislamischen Bürgerkrieg («Fitna»). 

Die «Partei Alis» verlor den Machtkampf gegen die Anhänger Abu Bakrs, der zum ersten Kalifen erhoben wurde. Die entscheidende Niederlage kam 680 mit der Schlacht von Kerbela im heutigen Irak: Der Enkel Mohammeds, Hussein, fiel mit wenigen Getreuen gegen eine grosse Übermacht. Die Schlacht, der die Schiiten jeweils am Aschura-Tag gedenken, begründete den schiitischen Opfer- und Märtyrerkult und besiegelte das Schisma.

Iraq Shi'ite Muslim men bleed as they gash their foreheads with swords and beat themselves to commemorate Ashura in Sadr City, Baghdad, October 24, 2015. Ashura, which falls on the 10th day of th ...
Blutiger Märtyrer-Kult: Irakische Schiiten kasteien sich am Aschura-Tag selbst zum Gedenken an den Tod des Imams Hussein.Bild: AHMED SAAD/REUTERS

Geringe theologische Unterschiede

Die theologischen  Unterschiede zwischen den beiden grossen islamischen Konfessionen sind gar nicht so bedeutend. Die Sunniten betrachten den Kalifen – den Leiter der «Umma», der Gemeinschaft der Muslime – eher als weltlichen Führer. Für die Schiiten hingegen ist der Imam ein fast schon mit gottähnlicher Macht ausgestattetes Oberhaupt. 

Besonders in der Zwölferschia gibt es ein starkes messianisches Element: Der zwölfte Imam, Mohammed ibn Hasan al-Mahdi, der im 9. Jahrhundert starb, lebt für die Gläubigen im Verborgenen weiter und wird dereinst als Erlöser (Mahdi) wiederkehren. In dieser Tendenz zur Vergöttlichung der Imame sehen die Sunniten Züge des Polytheismus. 

Die Jamkaran-Moschee in Ghom, Iran
Die Dschamkaran-Moschee in der iranischen Stadt Ghom: Hier soll der 12. Imam dereinst einem Brunnen entsteigen. Laut Verfassung der Islamischen Republik Iran ist der 12. Imam Staatsoberhaupt; der geistliche Führer Ali Chamenei amtet nur stellvertretend. Bild: Wikimedia/Fabienkhan

Sunniten und Schiiten haben sich in mehrere Untergruppen geteilt, die man als «Rechtsschulen» («Madhhab») bezeichnet. Sie bestimmen die Auslegung von Koran und Sunna, die Anerkennung und Bewertung der zahllosen Hadithe sowie die theologische Antwort auf aktuelle Probleme. Bei den Sunniten gibt es vier: 

  • Hanafiten (gemässigt): hauptsächlich in den Ländern des ehemaligen Osmanischen Reiches, Ägypten, Mittelasien
  • Malekiten (streng): hauptsächlich in Nordafrika
  • Schafiiten (streng): hauptsächlich im südöstlichen Ägypten, am Horn von Afrika, in Südostasien
  • Hanbaliten (extrem streng): in Saudi-Arabien im Verbund mit den Wahhabiten
Karte der islamischen Rechtsschulen
Karte der islamischen Rechtsschulen. 
Karte: wikimedia/Peaceworld111

Bei den Schiiten haben sich Abspaltungen vornehmlich anhand der Frage ergeben, wie viele Imame die rechtmässige Erbfolge aufweist. Einige Gruppen – zum Beispiel die Drusen oder die Baha'i – werden von anderen muslimischen Gemeinschaften nicht mehr als Muslime betrachtet. Die wichtigsten schiitischen Untergruppen: 

  • Zwölfer-Schiiten: Sie sind die bei weitem grösste Strömung und werden auch als Imamiten bezeichnet. Sie folgen meist der Rechtsschule der Dschafarija. Anstelle des verborgenen Imams haben Ajatollahs die Führung übernommen.  
  • Ismailiten: Sie anerkennen sieben Imame und werden daher auch Siebener-Schiiten genannt. Die Drusen sind aus ihnen hervorgegangen. Die Ismailiten leben überwiegend in Pakistan, Indien, Syrien und Afghanistan.
  • Zaiditen: Sie begrenzen die Anzahl der Imame nicht, so dass die manchmal verwendete Bezeichnung Fünfer-Schia nicht korrekt ist. Sie stehen den Sunniten näher als andere Schiiten. Die Zaiditen leben vornehmlich im Jemen und folgen einer eigenen Rechtsschule, der Zaidija. 
  • Alawiten (Nusairier): Wie die Ismailiten sind sie stark von gnostischem Denken beeinflusst. Sie leben hauptsächlich in Syrien, wo sie von 1970 bis zum Bürgerkrieg als Minderheit die Politik kontrollierten. Weitere Gruppen existieren im Libanon, in Israel und in Jordanien. 
Schematische Überwsicht über die islamischen Konfessionen und Rechtsschulen
Schematische Übersicht über die islamischen Konfessionen und Rechtsschulen.
Grafik: Wikipedia

Aleviten

Aleviten unterscheiden sich stark von Sunniten und Schiiten, aber da sie auch zwölf Imame – besonders Ali, nach dem sie benannt sind – verehren, werden sie meistens ebenfalls zu den Schiiten gerechnet. Sie selber bestreiten jedoch ihre Zugehörigkeit zur Schia. Die Glaubensrichtung entwickelte sich im 13. und 14. Jahrhundert in Anatolien, wo die Gemeinschaft heute noch überwiegend lebt, aus dem schiitischen Islam. Eine bedeutende alevitische Gemeinde existiert mittlerweile in Deutschland. 

Aleviten an einer religioesen Zeremonie in einem protestantischen Kirchgemeindehaus in Genf, am 11. Oktober 2014. Mehr als die Haelfte der in der Schweiz lebenden tuerkischen Staatsbuerger sind Alevit ...
Aleviten bei einer religiösen Zeremonie in einem protestantischen Kirchgemeindehaus in Genf.  Bild: SDA

Aleviten lehnen im Gegensatz zu Sunniten und Schiiten die Scharia – das islamische Gottesrecht – ab. Den Koran verstehen sie als verbindlich, halten ihn aber für Menschenwerk. Sie verehren Allah, Mohammed und Ali als göttliche Einheit (islamische Trinität). Besonders strenggläubige Sunniten betrachten die Aleviten daher nicht als Muslime. Die Aleviten treten für einen säkularen Staat ein und befürworten Glaubensfreiheit sowie die Gleichberechtigung von Mann und Frau. 

Ibaditen

Die zahlenmässig kleinste der ursprünglichen Richtungen des Islams – weniger als zwei Millionen Anhänger – sind heute die Ibaditen, die weder zu den Sunniten noch zu den Schiiten gehören. Die Ibaditen, eine gemässigte Spielart des Islams, sind aus einer frühislamischen Oppositionsbewegung – den Charidschiten – hervorgegangen, die nach der Ermordung des dritten Kalifen Uthman entstand. Die Charidschiten lehnten die Legitimation Alis ab und verlangten stattdessen, dass der «beste Muslim» das Amt bekleiden solle, ungeachtet seiner Abstammung. Alle charidschitischen Untergruppen ausser den Ibaditen sind heute verschwunden.  

Beni Isguen, heilige Stadt der Mozabiten/Ibaditen in Algerien.
Beni Isguen, heilige Stadt der Ibaditen in Algerien. 
Bild: Wikimedia/Paebi

Im Laufe der Zeit wurden die Charidschiten immer mehr an die Peripherie der islamischen Welt gedrängt. Von anderen Muslimen werden die Ibaditen als Charidschiten bezeichnet, sie selber lehnen diese Zuordnung jedoch ab. Die Ibaditen folgen einer eigenen Rechtsschule, der Ibadija. Sie leben vor allem in Südalgerien, auf der tunesischen Insel Djerba und in Oman. 

Religion
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Ahmadija

Die Ahmadija ist eine Reformbewegung des Islams, die sich auf die islamischen Rechtsquellen (Koran, Sunna und Hadithe) beruft. Sie wurde 1889 in Qadian im damaligen Britisch-Indien von Mirza Ghulam Ahmad gegründet, der sich als Mahdi der Endzeit und Wiederkunft von Jesus Christus, Krishna und Buddha bezeichnete. Zudem sah er sich als Prophet, wenn auch als Mohammed nachgeordneter. Vor allem deswegen wird die Ahmadija von den meisten anderen muslimischen Strömungen als Häresie abgelehnt, da Mohammed im Koran als «Siegel der Propheten» bezeichnet wird. 

Das Weiße Minarett von Qadian und die Fahne der Ahmadija, Liwa-e-Ahmadiyya
Das Weisse Minarett von Qadian, wo die Ahmadija gegründet wurde. Die schwarze Fahne ist die Flagge der Ahmadis.Bild: Wikimedia

1976 schloss die Islamische Weltliga die Ahmadija offiziell als «ungläubige Gruppierung» aus dem Islam aus. Seither haben sich in mehreren islamischen Ländern Angriffe auf deren Angehörige gehäuft. Die Ahmadis betonen, dass Gewalt dem Islam fremd sei und sowohl Dschihad wie Kalifat rein spiritueller Natur seien. Allerdings übt die Ahmadija harsche Kritik am Christentum und betreibt eine offensive, missionarische Öffentlichkeitsarbeit in der westlichen Welt. Kritiker sehen in der Gemeinschaft eine Psycho-Sekte mit ausgeprägt finanziellen Ambitionen. 

Salafisten

Der Salafismus ist derzeit die am schnellsten wachsende religiöse Gruppierung in Europa. Die Ursprünge dieser sunnitisch-islamistischen Strömung liegen vor allem in den islamisch-puristischen Erneuerungsbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts, die sich mit dem in Saudi-Arabien entstandenen Wahhabismus verband. Später kamen Einflüsse der Muslimbruderschaft hinzu. 

epa04235449 Controversial Salafist preacher Pierre Vogel speaks in front of the train station in Bremen, Germany, 01 June 2014. Bremen city council banned the event, but they were forced to allow it a ...
Einer der bekanntesten Salafisten ist der deutsche Konvertit Pierre Vogel, ein ehemaliger Berufsboxer. Bild: EPA/DPA

Salafisten betreiben die Rückkehr zu einem Islam, den sie als ursprünglich und rein ansehen. Sie berufen sich dabei auf das Vorbild und Ideal der «frommen Altvorderen» («as-salaf as-salih») – die Gefährten des Propheten sowie die ersten drei Generationen der frühen muslimischen Gemeinde. Nahezu sämtliche späteren Änderungen in der Religionsausübung, die seit dieser idealisierten Frühzeit vorkamen, werden von ihnen als «unerlaubte Neuerungen» («bid’a») und Verfälschung der wahren Religion verworfen. Insbesondere lehnen die Salafisten die Rechtsschulen ab. 

Sämtliche Ansätze zu Heiligenverehrung, wie sie besonders im westafrikanischen Volksislam vorkommen, sind den streng monotheistischen Salafisten ein Gräuel. Auch die westliche parlamentarische Demokratie mit der von der Verfassung garantierten Religionsfreiheit lehnen sie entschieden ab und streben danach, diese durch eine göttliche Rechtsordnung zu ersetzen. Der politische Flügel der Salafisten verfolgt dieses Ziel durch eine intensive Missionstätigkeit («da'wa»), während der dschihadistische Flügel auch Gewalt als geeignetes Mittel erachtet.

Salafisten verteilen den Koran in München.
«Da'wa»: Salafisten verteilen in München den Koran.
Bild: Flickr

Wahhabiten

Wie die Salafisten vertrat der saudische Prediger Muhammad ibn Abd al-Wahhab (1703-1792) die Ansicht, die Muslime müssten zum angeblich unverfälschten Islam zurückkehren, wie er im 7.und 8. Jahrhundert existiert haben soll. Die nach ihm benannte Reformbewegung des Wahhabismus ist eine äusserst strenge Auslegung der hanbalitischen Rechtsschule.

epa05254493 A handout photograph released by the official Saudi Press Agency (SPA) shows Saudi King Salman bin Abdulaziz attending an event to receive an honorary doctorate degree from Cairo Universit ...
Export einer puritanischen Ideologie: König Salman von Saudi-Arabien.  Bild: EPA/SAUDI PRESS AGENCY

Durch das Bündnis al-Wahhabs mit dem mächtigen Clan der Al-Saud konnte der Wahhabismus zur faktischen Staatsreligion Saudi-Arabiens werden. Das Königreich fördert die Verbreitung dieser puritanischen Ideologie in anderen Ländern mit dem Bau von Moscheen und Koranschulen. Die Bezeichnungen Wahhabismus und Salafismus werden heute oft synonym verwendet. 

Sufis

Der «mystische Islam» wird von Sufis praktiziert und gelehrt. Der Sufismus ist über tausend Jahre alt und wird in Männerorden gepflegt. Der Name stammt vermutlich vom arabischen Wort «Suf» («Wolle»); die ersten Mystiker, die massgeblich von christlichen Mönchen in Syrien und Ägypten beeinflusst wurden, trugen ein Wollkleid als Zeichen der Demut. Sufis geniessen oft hohes Ansehen, da sie Seelsorge und soziale Fürsorge betreiben. 

Noureddine Khourchid, Saenger der Umayyaden-Moschee in Damaskus, mit Chor und einem tanzenden Derwisch, am Donnerstag, 7. April 2016, an den Stanser Musiktagen in Stans. (KEYSTONE/Alexandra Wey)
Tanzender Derwisch.  
Bild: KEYSTONE

Der Sufi-Islam gilt als tolerant. So gelang es zum Beispiel der islamischen Dynastie der Grossmoguln in Indien, die hinduistische Bevölkerungsmehrheit mithilfe eines duldsamen Sufi-Islams zu beherrschen. Heute gibt es über 70 Sufi-Orden. Besonders bekannt sind im Westen die Derwische, die den Sufismus praktizieren. 

Sufis streben als religiöses Ziel an, bereits im Diesseits eine Vereinigung mit Gott zu verwirklichen. Um dieses Ziel zu erreichen, benötigen sie einen spirituellen Meister, «Scheich» oder «Wali» genannt. Nicht zuletzt deswegen betrachten viele strenggläubige Muslime – besonders Salafisten und Wahhabiten – die Sufis mit Argwohn. Da im Islam zwischen Allah und dem Menschen kein Mittler stehen darf, verfolgen sie die Sufis als Abweichler. Für die Sufis selbst ist ihr jeweiliger religiöser Führer indes kein Mittler, sondern ein Meister, der sein Wissen an andere Gläubige weitergibt.

Muslimbrüder

Hassan al-Banna
Gründer der Muslimbruderschaft: Hassan al Banna.

Die 1928 vom ägyptischen Volksschullehrer Hassan al Banna gegründete Muslimbruderschaft war zunächst eine Reaktion auf die britische Kolonialherrschaft und die damit verbundene, als dekadent empfundene Verwestlichung des Landes. Ihr Ziel war die Verbreitung von islamischen Moralvorstellungen und die Errichtung eines islamischen Staates mit der Scharia. Durch die Werke des einflussreichen Vordenkers Sayyid Qutb – vor allem der 1950 veröffentlichte Aufsatz «Unser Kampf mit den Juden» – verband sich ein starker, islamisch verbrämter Antisemitismus mit dem Islamismus der Muslimbrüder. 

Zu Beginn der 40er-Jahre traten die Muslimbrüder zunehmend militanter auf und verübten auch Anschläge, um ihre Ziele durchzusetzen. Die Organisation wurde verboten, ihr Gründer ermordet. Dennoch wuchs die streng hierarchisch organisierte Gemeinschaft stark und begann, Ableger in anderen Ländern einzurichten. Hilfreich war dabei ihr soziales Engagement. 

Nach dem Sturz des ägyptischen Präsidenten Mubarak 2011 kamen die Muslimbrüder auf demokratischem Weg an die Macht und konnten Mohammed Mursi ins Präsidentenamt hieven. Schnell zeigte sich, dass sich die Bruderschaft ebenso undemokratisch und korrupt verhielt wie das abgesetzte Regime. 2013 stürzten die Militärs Mursi, die Muslimbruderschaft wurde verboten. 

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Militante islamistische Gruppen
«Islamischer Staat»: Die aus dem irakischen Ableger der Al Kaida hervorgegangene Miliz ist derzeit trotz territorialer Verluste die gefährlichste islamistische Terrorgruppe.
quelle: ap/militant website / uncredited
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Militante islamistische Gruppen

Mehrere radikale dschihadistische Gruppen versuchen, ihre Ziele mit Gewalt zu erreichen: 

  • «Islamischer Staat»: Der sunnitisch-salafistisch geprägte sogenannte «Islamische Staat» («IS») ging aus dem irakischen Ableger der Al Kaida hervor. Im Gegensatz zur Al Kaida hat der «IS» eine territoriale Herrschaft errichtet und dort das Kalifat ausgerufen. Mittlerweile haben sich mehrere Terrorgruppen dem «IS» angeschlossen, der nun auch Anschläge ausserhalb von Syrien und dem Irak ausführt. 
  • Wilayat Sinai: Die 2011 unter dem Namen «Ansar Bait Al Makdis» gegründete Terrormiliz operiert auf der ägyptischen Halbinsel Sinai. Ihre Angriffe richteten sich zuerst gegen Israel; seit dem Sturz der Muslimbrüder ist der Hauptfeind die ägyptische Armee. Ende 2014 schloss sich die Organisation offiziell dem «IS» an und änderte ihren Namen in «Wilayat Sinai» («Unionsstaat Sinai»). 
  • Dschabhat Fatah Al Scham (Al Nusra): Die syrische Miliz, die bis vor kurzem zum Netzwerk der Al Kaida gehörte, ist ideologisch eng mit dem «IS» verwandt, aber mit diesem verfeindet. Mehrere schwere Niederlagen gegen den «IS» stürzten die Miliz 2014 in eine Krise, von der sie sich mittlerweile wieder etwas erholt hat. Nach wie vor ist sie einer der schlagkräftigsten Gegner des Assad-Regimes im syrischen Bürgerkrieg. Im Juli 2016 sagte sich die Al-Nusra-Front aus strategischen Gründen von der Al Kaida los und änderte ihren Namen. 
  • Al Kaida: Das Terrornetzwerk wurde 1988 in Afghanistan gegründet. Nach dem Golfkrieg 1991 richteten sich seine Angriffe auch gegen den Westen; am spektakulärsten waren die Anschläge vom 11. September 2001. Al-Kaida-Chef Osama bin Laden wurde zehn Jahre später von US-Spezialeinheiten in Pakistan getötet. Die Al Kaida hat mehrere regional verankerte Ableger eingerichtet. 
  • Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel: 2008 entstand aus der Vereinigung des jemenitischen mit dem saudi-arabischen Al-Kaida-Ableger die Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP), die häufig Anschläge verübt. Wichtigstes Operationsgebiet ist der Jemen, wo die Miliz gegen die schiitischen Huthis kämpft. Die Attentäter, die 2015 in Paris Redaktoren von «Charlie Hebdo» und Geiseln in einem jüdischen Supermarkt töteten, beriefen sich auf die AQAP.
  • Al Kaida im islamischen Maghreb: Die Gruppe wurde 1998 in Algerien unter dem Namen «Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf» (GSPC) als Abspaltung von den «Bewaffneten Islamischen Gruppen» (GIA) gegründet. 2006 schloss sie sich der Al Kaida an und änderte den Namen in «Al Kaida im islamischen Maghreb» (AQM). Seither hat die AQM ihre Operationen auf die Nachbarstaaten Algeriens ausgedehnt. 2012 konnte sie in Nord-Mali vorübergehend eine territoriale Basis schaffen. In letzter Zeit sieht sie sich durch die Konkurrenz durch den «IS» herausgefordert. 
  • Ansar al Scharia: Mehrere salafistische Terrorgruppen operieren unter diesem Namen, den auch die Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel gelegentlich benutzt. Die Ansar al Scharia in Libyen wird für den Angriff auf das amerikanische Konsulat in Bengasi im September 2012 verantwortlich gemacht. Die Miliz zerstört Sufi-Schreine im Land und strebt einen Gottesstaat in Libyen an. 
  • Ansar Dine: Die Terrormiliz, die 2012 gemeinsam mit Tuareg-Rebellen den Norden Malis besetzte, soll Verbindungen zur Al Kaida haben. Nach ihrer Vertreibung durch malische und französische Truppen verübt die Miliz weiterhin Anschläge in der Region. 
  • Boko Haram: Die Terrorgruppe kontrolliert Teile Nordostnigerias und kämpft seit Jahren für die Errichtung eines Gottesstaates. Die Miliz, deren Name («Bücher sind verboten») Programm ist, wendet sich gegen westliche Bildung und tötet Christen, aber auch Muslime, die sie nicht unterstützen. Boko Haram greift mittlerweile auch Ziele in den Nachbarstaaten Kamerun und Niger an. 2015 schloss sich Boko Haram formell dem «IS» an. 
  • Al Shabaab: Die Miliz ist seit 2006 die dominierende extremistische Organisation am Horn von Afrika, wo sie weite Teile Mittel- und Südsomalias beherrscht. Auch nach ihrer Vertreibung aus der Hauptstadt Mogadischu 2011 kämpft Al Shabaab weiterhin gegen die Zentralregierung und die sie unterstützenden Truppen der Afrikanischen Union. Die Terrorgruppe, die sich 2012 formell der Al Kaida anschloss, verübt auch Anschläge in Nachbarländern, vor allem in Kenia. 
  • Hamas: Die palästinensische Organisation wurde 1987 als Zweig der Muslimbruderschaft gegründet und verfolgt als Ziel die Beseitigung Israels mit terroristischen Mitteln und die Errichtung eines Gottesstaates in Palästina. Seit ihrem Wahlsieg 2006 und der Vertreibung der Al Fatah beherrscht die Hamas den Gazastreifen. Trotz ihrer sunnitischen Ausrichtung wurde die Hamas vom Iran finanziell und logistisch unterstützt. Seit dem Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs hat sich das Verhältnis jedoch stark verschlechtert, da die Hamas die sunnitische Opposition gegen das vom Iran gestützte Assad-Regime unterstützt. 
  • Islamischer Dschihad: Die palästinensische Terrororganisation hat ihren Sitz in Damaskus und wurde Ende der 70er Jahre von ehemaligen Mitgliedern der Muslimbruderschaft im Gazastreifen gegründet. Der Islamische Dschihad ist zwar sunnitisch, unterhält aber intensive Kontakte mit dem Iran. 
  • Hisbollah: Die Hisbollah («Partei Gottes») ist eine schiitische Organisation, die vornehmlich im Süden des Libanons aktiv ist und in hohem Mass vom Iran unterstützt wird. Sie besteht aus einer Partei und einer bewaffneten Miliz. Die Hisbollah versteht sich als Schutzmacht der libanesischen Schiiten, aber da sie sich seit ihrer Gründung dem bewaffneten Kampf gegen Israel verschrieben hat, genoss sie auch bei Sunniten hohes Ansehen. Dies hat sich jedoch etwas abgeschwächt, seit die Miliz auf Seiten der Assad-Regierung massiv in den syrischen Bürgerkrieg eingegriffen hat.   
  • Taliban: Die Taliban sind eine radikalislamische Miliz, die auf einer extremen Form des Deobandismus beruht, einer in Südasien verbreiteten orthodoxen, puritanischen und anti-westlichen Strömung des Islams. Sie haben ihren Ursprung in den religiösen Schulen für afghanische Flüchtlinge in Pakistan. 1996 eroberten sie Kabul und errichteten ein islamistisches Schreckensregime in Afghanistan, das durch die Unterdrückung der Frauen und die Vernichtung von Kulturgütern Schlagzeilen machte. Durch die US-Intervention 2001 wurde das Taliban-Regime gestürzt, doch die Taliban reorganisierten sich und beherrschen mittlerweile etwa einen Drittel des Landes. 
  • Tehrek-e-Taliban: Der pakistanische Zweig der Taliban hat seine Basis in den Stammesgebieten im Nordwesten Pakistans. Die Miliz agiert jedoch vollkommen unabhängig von den afghanischen Taliban, mit denen sie nicht alle Ziele teilt. Die Tehrek-e-Taliban (TTP) fordern den Abzug der pakistanischen Armee aus Wasiristan, verüben aber auch Anschläge auf Schiiten und Sufis in ganz Pakistan. 
  • Laschkar-e Taiba: Die 1990 gegründete Miliz «Laschkar-e Taiba» («Armee der Reinen») hat ihre Basis ebenfalls in Pakistan, agiert aber im Gegensatz zur TTP auch ausserhalb des Landes. Die Gruppe, die jahrelang von der pakistanischen Regierung unterstützt wurde, hat mehrere schwere Terroranschläge in Indien verübt. Ihr Ziel ist die Vertreibung Indiens aus Kaschmir und die Gründung eines islamischen Staates auf dem Subkontinent. 
  • Jemaah Islamiyah: 1993 von Abdullah Sungkar und Abu Bakar Bashir in Malaysia gegründet, hat sich die Terrorgruppe zum Ziel gesetzt, in Südostasien ein Kalifat zu errichten. Die Jemaah Islamiyah steht der Al Kaida nahe und ist bisher in Indonesien, Malaysia und im Süden der Philippinen aktiv. Die verheerenden Bombenanschläge auf der indonesischen Ferieninsel Bali im Jahr 2002 gehen auf ihr Konto. 
  • Abu Sayaf: Die Terrororganisation im Süden der Philippinen ging 1991 aus der «Moro National Liberation Front» hervor und soll intensive Kontakte zur Al Kaida haben. Sie ist in der Vergangenheit durch zahlreiche Entführungen und Anschläge in Erscheinung getreten. Abu Sayaf will Christen gewaltsam aus dem Süden der Philippinen vertreiben und dort einen Gottesstaat errichten. 

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147 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Sapere Aude
31.07.2016 12:46registriert April 2015
Als Religionswissenschaftler kann ich nur sagen, sehr gut geschriebener Überblick über die verschiedenen muslimischen Strömungen, well done :)
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Andreas Kyriacou
31.07.2016 14:10registriert Januar 2015
Eine sehr gute Übersicht! Vielleicht kann in einem ergänzenden Artikel aufgezeigt werden, welche Strömungen wo in Europa präsent sind. Es sind beileibe nicht nur die Salafisten, die ihren Einfluss auszubauen versuchen. In Grossbritannien beispielsweise dominieren die Deobandi, die im Artikel nur kurz als Geburtshelfer der Taliban aufgeführt sind.
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Domino
31.07.2016 13:15registriert Januar 2016
Danke für den tollen Artikel.
Und was lernen wir daraus? Je radikaler eine Richtung ist im Islam, desto erfolgreicher ist sie und die gemässigten werden weggedrängt oder ausgerottet. Der abgeschwächte "Euro-islam" wie ihn diverse Politiker fordern wird dadurch nie funktionieren.
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