Schweiz
Zürich

Übertriebener Rummel? Nur fünf Personen klagten gegen Lärm auf dem Koch-Areal 

Übertriebener Rummel? Nur fünf Personen klagten gegen Lärm auf dem Koch-Areal 

09.10.2016, 16:5909.10.2016, 18:02
pascal ritter
Mehr «Schweiz»

Polizisten mit Helmen und Gummischrotgewehren bewachten am Donnerstag das Stadthaus. Auch drinnen war das Aufgebot ungewöhnlich gross. Gleich drei Stadträte stellten sich den Fragen der Journalisten. Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP), Finanzdirektor Daniel Leupi (Grüne) und Polizeivorsteher Richard Wolff (AL). Kameras und Tonbänder liefen, und die Tastaturen der Livetickerer ratterten. Der Aufmarsch von Politikern und Medienschaffenden stand in Kontrast zur Sache, um die es geht.

Der Zuercher Stadtrat Richard Wolff Stadtpraesidentin Corine Mauch und Stadtrat Daniel Leupi, von vorne, an einer Medienkonferenz zu den Problemen rund um das umstrittene Koch-Areal in Zuerich am Donn ...
Medienkonferenz zum Koch-Areal.Bild: KEYSTONE

Es geht um Lärm aus einem besetzten Haus im Quartier Albisrieden. Gemäss langjähriger Praxis duldet die Stadt Zürich Hausbesetzer auf dem Koch-Areal, bis dort voraussichtlich in fünf Jahren mit dem Bau von gemeinnützigen Wohnungen und Gewerbeflächen begonnen werden soll. Genutzt wird das Areal von vornehmlich jungen Leuten für Ausstellungen, Sporttraining, Veranstaltungen und immer wieder auch für Partys. Der Lärm, der dabei in die Nachbarschaft dröhnt, löste eine Diskussion aus, die in der polizeilich geschützten Pressekonferenz gipfelte.

Viele Klagen, wenig Kläger

Der Lärm vom Koch-Areal habe im laufenden Jahr zu 171 Reklamationen geführt, strichen verschiedene lokale Medien in ihrer Berichterstattung hervor. Die Botschaft war klar. Kaum ein Tag verstreicht, ohne dass Anwohner unter Lärm leiden. Eine Analyse der Daten der Stadtpolizei relativiert nun diesen Eindruck. 34 Ruhestörungen wurden zur Anzeige gebracht. Der Kreis der Betroffenen ist zudem beschränkt. «Fast alle der 171 Lärmklagen stammen von den gleichen vier bis fünf Personen», sagt Mathias Ninck, Sprecher des Sicherheitsdepartementes. Über eine laute Party an einem Samstag beschwerten sich die gleichen Anwohner zum Teil mehrmals. Ninck betont: «Jede Lärmklage ist eine zu viel. Darum haben wir reagiert und den Besetzern neue Regeln gesetzt.» Diese wurden an der Pressekonferenz verkündet und gleichzeitig per E-Mail an die Besetzer gesandt. Partys müssen sie künftig zwei Wochen vorher anmelden, sonst droht die Räumung.

Das besetzte Koch-Areal in Albisrieden, am Dienstag, 4. Oktober 2016, in Zuerich. Der ueberwiegende Teil des Koch-Areals ist seit mehreren Jahren besetzt. Wegen Konzerten und Partys sind in diesem Jah ...
Das besetzte Koch-Areal.Bild: KEYSTONE

Die beschränkte Zahl Personen, die sich beschweren, entspricht der Umgebung, in der sich das Koch-Areal befindet. In unmittelbarer Nähe stehen Bürogebäude, ein Autohaus, zwei Tankstellen und nur wenige Wohnhäuser. Wie die Faust aufs Auge zum besetzten Haus passt die Siedlung «James» in unmittelbarer Nähe des Geländes. Sie bietet ihren Mietern einen Concierge-Service an wie im Hotel. Lärm ist in der Stadt Zürich ein Dauerärgernis. «Die Gesellschaft ist heute stärker auf das Thema sensibilisiert», sagte Bärbel Zierl vom Zürcher Umwelt- und Gesundheitsschutz, als die «Schweiz am Sonntag» im August die hohe Zahl an Lärmreklamationen thematisierte. Die Stadtpolizei verzeichnete im vergangenen Jahr 4550 Klagen wegen Ruhestörung. Doch keine Lärmquelle hatte bisher die Wirkung des Koch-Areals. 131 Artikel erschienen laut Mediendatenbank im letzten Monat über das besetzte Haus. Höhepunkt war ein Leitartikel des «Tages-Anzeigers», in dem zwei Reporter unter dem Titel «Es reicht» die «Laisser faire» Politik des Stadtrats anprangerten.

Die FDP und die Lärmgeplagten

Die mediale Lawine in Gang zu setzen, halfen auch Politiker der FDP. Sie boten sich als Vermittler zwischen Lärmgeplagten und Journalisten an und machten in einer Fraktionserklärung den Hilferuf einer Anwohnerin publik. Als die ersten Artikel erschienen waren, legte die SVP nach. Gemeinderat Urs Fehr reichte beim Statthalter eine Aufsichtsbeschwerde ein. Die Polizei solle das Koch-Areal analog zum Platzspitz räumen. Zur Erinnerung: Der Platzspitz wurde 1992 geräumt, nachdem sich dort über Jahre eine offene Drogenszene installiert hatte. Es ging um den Verkauf und den Konsum von Heroin. Es gab Tote. Beim Koch-Areal geht es um Nachtruhestörung und mutmasslich ein paar Hanfpflanzen.

Wenn die Mikrofone aus sind, sagt selbst ein SVP-Gemeinderat, dass der Rummel um das Koch-Areal übertrieben sei. Doch es ist eines der Themen, mit dem die Volkspartei im links-grün dominierten Zürich punkten kann. SVP-Präsident Mauro Tuena, der ebenfalls zur Pressekonferenz am Donnerstag erschienen ist, denkt bereits laut darüber nach, wie er doch noch eine Räumung erwirken kann. Das Koch-Areal dürfte weiterhin Thema bleiben. Derweil stellt die Asyl-Organisation Zürich (AOZ) Container auf dem Areal auf. Eine Baubewilligung wurde dafür laut Direktor Thomas Kunz noch nicht erteilt.

A propos Platzspitz: Die Chronologie der Schweizer Drogenpolitik ...

1 / 35
Chronologie der Schweizer Drogenpolitik (2023)
In dieser Bildstrecke zeigen wir die Meilensteine der Schweizer Drogenpolitik, vom Opium-Verbot 1924 bis heute ...
quelle: keystone / martin ruetschi
Auf Facebook teilenAuf X teilen
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
20 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Gutelaunetyp
09.10.2016 17:34registriert Mai 2014
Ich bin linksorientiert, doch ich finde, wenn man eine Party organisiert informiere man seine Nachbarn und bittet sie, falls es zu Lärmstörungen kommen sollte, zuerst bei einem anzurufen

Es ist wichtig, dass Kultur und/oder Kunst bei uns in der CH speziell geschützt wird. Aber dies heisst doch nicht, dass ich bis spät in die Nacht Partys feiern kannn ohne Rücksicht auf die Anwohner zu nehmen (das Areal befindet sich schliesslich nicht irgendwo auf dem Land). Es geht mir darum, dass sich jede/r an Gesetze halten sollte, egal ob arm/reich, unbekannt/bekannt in der Gesellschaft.
10717
Melden
Zum Kommentar
avatar
Ignazio der Praktikant
09.10.2016 19:55registriert August 2016
Ich bin als Kind manchmal mit meiner Mutter nach Zürich in die Stadt gegangen. Als der Zug irgendwann in den HB eingerollt ist, hat mir meine Mutter mal erklärt, was es mit der Wolgrott auf sich hat. Diese Erklärung hat purste Faszination für alternative Lebensgestaltung in mir ausgelöst und hält bis heute an, auch wenn ich selbst aus Bequemlichkeit den grössten Teil meines Lebens "bürgerlich" gelebt habe. Ich finde die Hausbesetzerszene also durchaus erfrischend, aber auch diese sollten eine gewisse Klasse an den Tag legen mit dem was sie machen. Denn sie sind auf Unterstützung angewiesen.
5315
Melden
Zum Kommentar
avatar
dumpster
10.10.2016 07:15registriert November 2015
5 Leute sind doch mehr als genug. Die meisten, die sich vom Lärm gestört fühlen, machen sowieso die Faust im Sack und denken sich, ein anderer wird schon die Polizei rufen.
2514
Melden
Zum Kommentar
20
watson gewinnt Podcast-Preis – das sind alle Gewinner der Suisse Podcast Awards 2024

Zum zweiten Mal wurden am Mittwoch, 27. März 2024, die besten Schweizer Podcasts ausgezeichnet. Auf der Shortlist standen 36 Formate, die in 11 verschiedenen Kategorien ausgezeichnet wurden.

Zur Story