In der Schweiz finden bei Wahlen selten grosse Verschiebungen statt, Erdrutsche sind noch seltener, auch im Aargau. Doch jede Wahl kennt Sieger und Verlierer. Vor vier Jahren verloren SVP, FDP und CVP, dafür zog mit BDP und GLP die «neue Mitte» im Nationalrat ein.
Entgegen allen Erwartungen hielt sich gestern diese neue Mitte im Aargau inklusive EVP gut. Herausragend ist diesmal aber das Stimmenplus der FDP um 3.7 und das der SVP um 3.3 Prozentpunkte, zusammen um 7 Prozent.
Erstmals kommen diese beiden Parteien im Aargau zusammen auf über 50 Prozent. Die FDP scheint mit ihrem deutlichen Plus das Tal der Tränen zu verlassen. Über 20 Jahre lang hat sie national und kantonal fast jede Wahl verloren. Präsident Philipp Müller hat das Ruder gesamtschweizerisch wenden können.
Im Aargau spürte die Partei die Trendwende überdurchschnittlich stark. Die FDP kann damit zwar noch lange nicht an alte Zeiten anknüpfen. Doch es bestätigt sich: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten (Frankenschock, unsichere Wirtschaftsaussichten) setzen mehr Menschen auf die Wirtschaftskompetenz der FDP.
Die Partei konnte vor vier Jahren ihren zweiten Nationalratssitz nur hauchdünn verteidigen, jetzt schickt sie mit Thierry Burkart neben der Bisherigen Corina Eichenberger gar einen dritten Nationalrat nach Bern. Sollte Philipp Müller im zweiten Wahlgang den Sprung in den Ständerat schaffen, könnte gar der Viertplatzierte auf der FDP-Liste, Kantonalpräsident Matthias Jauslin, nachrutschen.
Über ihre eigenen Erwartungen abgeschnitten hat auch die SVP. Sie liegt damit voll im nationalen Trend. Dass sie ein neues Allzeithoch realisieren und neu gar mit sieben Nationalräten nach Bern reisen wird, überraschte selbst Präsident Thomas Burgherr – der zusammen mit Fraktionschef Andreas Glarner neu das Ticket für Bern gelöst hat.
Die aktuellen Flüchtlingsströme Richtung Europa lösen bei vielen Menschen Ängste und Unsicherheit aus. Der schon bisher mit Abstand stärksten Partei im Aargau, die hier am härtesten auftritt, flogen gewiss auch deswegen nochmals mehr Stimmen zu.
Sollte Hansjörg Knecht im zweiten Wahlgang im November den Sprung ins Stöckli schaffen, könnte gar der Achtplatzierte auf der Liste, Martin Keller, auch nach Bern fahren. SVP und FDP dürften sich durch dieses Ergebnis auch im Aargauer Grossen Rat darin bestärkt fühlen, in der aktuellen Debatte um das Vermeiden roter Zahlen vorab auf die Sparbremse zu treten.
Fürchterlich gebeutelt wird dagegen die CVP. Ihr Krebsgang hält im Aargau – mit einem Unterbruch 1999 – schon 30 Jahre an. Als erste traditionelle Partei ist sie jetzt gar unter die 10-Prozent-Hürde gerutscht. Präsident Markus Zemp und seine Leute suchen händeringend nach den Gründen. War die Listenverbindung mit SVP und FDP ein Fehler? War das Techtelmechtel mit der BDP ein Fehler? Oder war es ein Fehler, dass man keine Union einging?
Eins ist sicher: Mit dem gestrigen Resultat hätte die CVP in keiner wie auch immer zusammengesetzten Listenverbindung einen der 2011 verlorenen zwei Sitze zurückzuerobern vermocht.
Dass sie vor dem kantonalen Bauernverbandsdirektor Ralf Bucher den zweiten Platz auf der CVP-Liste erobert hat, ist für Marianne Binder folglich kein Trost. Für die CVP gilt es jetzt, den Abstieg zur Kleinpartei zu verhindern. Ein Rezept dafür hat sie aber noch nicht. Viel Zeit, es zu finden, bleibt nicht. Die nächsten Grossratswahlen stehen fast schon vor der Tür.
Dass die Grünen Terrain verlieren würden, war zu erwarten: Inzwischen setzen sich mehrere Parteien für den Atomausstieg ein und fast alle sprechen dem Umweltschutz das Wort. Erst eine vertiefte Analyse wird zeigen, inwieweit die Grünen vom Geri-Müller-Effekt negativ betroffen waren. Im Bezirk Baden jedenfalls verloren sie unterdurchschnittlich. Es ist denn auch kein Zufall, dass Müllers Nachfolger aus dem Bezirk Baden kommt: Parteipräsident Jonas Fricker.
Eine Überraschung ist dagegen der Taucher der SP. Über die Jahrzehnte betrachtet erlebt diese Partei ein Auf und Ab. Vor 50 Jahren hatte sie einen Wähleranteil von über 30 Prozent, vor vier Jahren waren es noch 18, jetzt sackte sie auf 16 Prozent ab.
Die SP hat zwar im Frühling die Sparpaket-Abstimmung gewonnen, die Juso erreichten mit ihrer Transparenz-Initiative einen Achtungserfolg. Doch das neue Präsidentenduo Cédric Wermuth und Elisabeth Burgener konnte dies im Wahlkampf in keiner Weise ummünzen.
Im Gegenteil, die SP verlor einen ihrer drei Sitze, und der neue 16. Sitz ging ins bürgerliche Lager. Besonders bitter für sie: Der Bisherige Max Chopard verlor sein Mandat. Ein Fiasko für die SP. Ein Grund dürfte der Wegfall von Pascale Bruderer auf der Nationalratsliste sein. Ausgerechnet sie sorgte dafür mit ihrer klaren Bestätigung als Ständerätin für das einzige SP-Highlight. (aargauerzeitung.ch)