Coronavirus? Alles Schwindel! (Altdorf, 10. April)
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Analyse
Corona-Skepsis, EU-Flop, Klima-Ignoranz: Was wir uns alles leisten können!
In der Schweiz grassiert die Impf- und Wissenschaftsskepsis. Sie beschädigt mutwillig ihr Verhältnis zum wichtigsten Handelspartner und ignoriert trotz alarmierender Signale die drohende Klimakatastrophe. Offensichtlich macht der Wohlstand uns fett und träge.
Publiziert: 01.08.2021, 06:03Aktualisiert: 01.08.2021, 12:35
Das Schweizer Fernsehen wollte es im Frühjahr wissen: «Warum ist die Schweiz so reich?», lautete der Titel eines Dok-Films. Tatsächlich ist die Schweiz eines der reichsten Länder der Welt. In unserem Selbstverständnis sind wir ohnehin die Nummer eins. Nirgends lebt man besser, kein Land funktioniert so gut wie unseres, wir erfreuen uns am Wohlstand.
Warum ist das so? Die Gründe sind wie so oft vielschichtig. Eine bürgernahe Politik und Verwaltung gehört dazu, ein berufsorientiertes und im oberen Segment auf Spitzenklasse ausgerichtetes Bildungssystem. Und eine gehörige Portion Schlaumeierei, wie tiefe Steuern oder einst das Bankgeheimnis. «Eine Prise Schamlosigkeit», nennt es der SRF-Film.
Das Steuerparadies Zug, ein Symbol der Wohlstands-Schweiz.
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Er endet mit einem weiteren Befund: «Geld fliesst zu Geld.» Oder wie es im Matthäus-Evangelium heisst: «Wer hat, dem wird gegeben.» Natürlich leben auch bei uns nicht wenige Menschen in schwierigen Verhältnissen. Seit Beginn der Coronakrise stehen sie für Essenspakete an, etwa direkt neben der protzigen Europaallee in Zürich.
Aber im Grossen und Ganzen geht es der Schweiz gut. Die Preise sind hoch, aber wir können uns auch sehr viel leisten. Und doch hat man gerade in diesem Jahr das Gefühl, dass der Wohlstand uns fett, träge und in gewissem Mass ignorant macht. «Ich lieg und besitz: Lasst mich schlafen!», sagt der Drache Fafner in Richard Wagners Oper «Siegfried».
Ein gutes Ende nimmt es mit ihm nicht, der Titelheld erschlägt ihn mit seinem Schwert. Auch die Schweiz hat in den letzten Jahren einige Schläge einstecken müssen, doch darum geht es hier nicht. Ebenso wenig um den vor allem von (Rechts-)Liberalen beklagten Reformstau. Sondern um die drei grossen Themen der letzten Wochen und Monate.
Corona
Das Coronavirus in der Schweiz – eine Chronologie
31. Dezember 2019: Erste Meldungen über eine mysteriöse Lungenkrankheit, die in der zentralchinesischen Metropole Wuhan ausgebrochen ist, werden publiziert. 27 Erkrankte sind identifiziert. keystone
15. Januar: Das neuartige Coronavirus wird ausserhalb Chinas bestätigt. Der Erreger wird mit Hilfe einer Genom-Analyse bei einer Frau in Thailand nachgewiesen. EPA / RUNGROJ YONGRIT
22. Januar: Krisentreffen der Weltgesundheitsorganisation WHO in Genf. Die Flughäfen Zürich und Genf warten vorerst ab. EPA / SALVATORE DI NOLFI
23. Januar: Die chinesischen Behörden riegeln die Elf-Millionen-Metropole Wuhan ab. Das BAG äussert sich «eher beunruhigt» über die Dynamik und Entwicklung des Coronavirus. EPA / STRINGER
25. Januar: Die neue Lungenkrankheit breitet sich in China stark aus und erreicht Europa. In Frankreich werden drei Fälle nachgewiesen. EPA / ARNOLD JEROCKI
26. Januar: Der Bund verschärft die Meldepflicht zum Coronavirus. Ärzte und Laboratorien müssen Fälle mit Verdacht auf eine Corona-Infektion innerhalb von zwei Stunden den Behörden melden. AP / Salvatore Di Nolfi
30. Januar: Das BAG schaltet eine kostenlose Hotline auf, um Fragen zum Coronavirus aus der Bevölkerung zu beantworten. KEYSTONE / GEORGIOS KEFALAS
21. Februar: Die Schweizer Gesundheitsbehörden nehmen über 20 Personen in der Schweiz in Quarantäne. KEYSTONE / ENNIO LEANZA
25. Februar: Erster bestätigter Fall von Covid-19 in der Schweiz. KEYSTONE / DENIS BALIBOUSE
27. Februar: Start der Präventionskampagne des BAG gegen das Coronavirus: Hände waschen, in den Ellbogen oder ein Taschentuch husten und niesen und bei Husten und Fieber zu Hause bleiben. TI-PRESS / PABLO GIANINAZZI
28. Februar: Der Bundesrat verbietet alle Grossevents mit mehr als 1000 Personen. Er ruft die «besondere Lage» gemäss Epidemiengesetz aus. Er erlässt drei Hygieneregeln. KEYSTONE / LAURENT GILLIERON
5. März: Das erste Coronavirus-Todesopfer in der Schweiz: Eine 74-jährige Frau stirbt im Universitätsspital Lausanne. Insgesamt zählt die Schweiz 87 bestätigte Infektionen. KEYSTONE / DENIS BALIBOUSE
6. März: Der Bundesrat rät von Besuchen in Alters- und Pflegeheimen sowie Spitälern ab. ÖV-Reisen in Stosszeiten sollen wenn möglich vermieden werden. KEYSTONE / LEANDRE DUGGAN
11. März: Der Kanton Tessin ruft den Notstand aus und schliesst alle nicht-obligatorischen Schulen. Auch sämtliche Kinos, Theater, Schwimmbäder, Clubs und Ähnliches werden geschlossen. Die Zahl der Infizierten steigt schweizweit auf 645 Fälle. In mehreren Städten kommt es zu Hamsterkäufen. KEYSTONE / Alessandro Crinari
16. März: Der Bundesrat schliesst Schulen und Ausbildungsstätten bis vorerst 4. April. Veranstaltungen mit mehr als 100 Personen sind verboten. In Bars, Restaurants und Diskotheken dürfen sich maximal 50 Personen aufhalten. TI-PRESS / SAMUEL GOLAY
15. März: Das Parlament bricht seine Frühlingssession ab. In der Schweiz sind 2220 Fälle positiv getestet. Basel-Land schliesst alle Restaurants und Läden, die nicht der Grundversorgung dienen. KEYSTONE / ANTHONY ANEX
16. März: Der Bundesrat erklärt die «ausserordentliche Lage». Truppen werden mobilisiert, Veranstaltungen verboten. Geschäfte und Lokale müssen schliessen, nur Lebensmittelläden und Gesundheitseinrichtungen bleiben offen. Die Grenzen werden geschlossen. KEYSTONE / ANTHONY ANEX
19. März: Das Angebot des öffentlichen Verkehrs in der Schweiz wird schrittweise reduziert. Alle Urlaube in Rekrutenschulen und Wiederholungskursen sind gestrichen. Der Kanton Uri verhängt eine Ausgangssperre für Menschen über 65 Jahre. KEYSTONE / JEAN-CHRISTOPHE BOTT
20. März: Versammlungen von mehr als fünf Personen sind verboten. Der Bundesrat schnürt ein gut 40 Milliarden Franken schweres Hilfspaket für die an den Folgen der Pandemie leidende Wirtschaft. Desinfektionsmittel und Schutzmaterial sind Mangelware. Nicht notfallmässige Operationen in Spitälern werden verboten. KEYSTONE / PETER KLAUNZER
24./25. März: Die Einreisebeschränkungen werden auf alle Schengen-Staaten ausgedehnt. KEYSTONE / CHRISTIAN BEUTLER
24. März: In der Schweiz gibt es bereits 90 Todesfälle. Fast 9000 Personen haben sich mit dem Virus angesteckt. EPA / LAURENT GILLIERON
3. April: Der Bundesrat stockt die Wirtschaftshilfe auf 40 Milliarden Franken auf. KEYSTONE / PETER KLAUNZER
4. April: Fast jeder vierte Erwerbstätige in der Schweiz, d.h. 1,3 Millionen Menschen, befindet sich inzwischen in Kurzarbeit. KEYSTONE / GIAN EHRENZELLER
8. April: Der Bundesrat verlängert den Lockdown bis zum 26. April und mahnt, an Ostern trotz des schönen Wetters zu Hause zu bleiben. Für die Zeit nach dem 26. April kündigt er langsame Lockerungen an. KEYSTONE / PETER KLAUNZER
16. April: Der Bundesrat beschliesst erste Lockerungen. Am 27. April dürfen Coiffeurgeschäfte, Baumärkte und Gartencenter wieder öffnen und die Einschränkungen für Spitäler werden aufgehoben. Zwei Wochen später soll der Unterricht an den obligatorischen Schulen wieder aufgenommen werden. KEYSTONE / PETER KLAUNZER
29. April: In der bisher grössten Rückholaktion in der Geschichte der Schweiz werden in 35 Flügen über 7000 Menschen in die Schweiz zurückgeholt. KEYSTONE / CHRISTIAN MERZ
27. April: Coiffeure, Baumärkte und Gartencenter dürfen wieder öffnen und die Einschränkungen für Spitäler werden aufgehoben. KEYSTONE / ENNIO LEANZA
4. bis 6. Mai: Die ausserordentliche Session des Bundesparlaments wird in die Messehallen der Bernexpo verlegt. Die eidgenössischen Räte geben grünes Licht für ein mittlerweile rund 57 Milliarden Franken schweres Corona-Kreditpaket. KEYSTONE / PETER KLAUNZER
11. Mai: Neben den obligatorischen Schulen dürfen auch Läden, Cafés, Restaurants, Fitnesscenter, Bibliotheken und Museen wieder öffnen, falls sie Schutzvorkehrungen getroffen haben. Der öffentliche Verkehr fährt wieder weitgehend nach Normalfahrplan KEYSTONE/Ti-Press / Elia Bianchi
6. Juni: Kinos, Theater, Zoos, Skilifte, Campingplätze, Schwimmbäder und nachobligatorische Schulen können den Betrieb wieder aufnehmen. Die 30-Personen-Grenze für Veranstaltungen wird durch eine 300-Personen-Obergrenze ersetzt. keystone / GAETAN BALLY
15. Juni: Die Schweiz öffnet ihre Grenzen zu allen EU-Mitgliedsstaaten und Grossbritannien wieder. keystone / GIAN EHRENZELLER
22. Juni: Der Bundesrat kündigt weitere Lockerungen an. Versammlungen von bis zu 1000 Personen sind unter Einhaltung von Schutzkonzepten erlaubt. Weitere Einschränkungen werden für Gaststätten und Diskotheken aufgehoben. keystone / PETER SCHNEIDER
1. Juli: Der Bundesrat ordnet eine Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr an für Personen ab 12 Jahren. Die Pflicht gilt ab 6. Juli in Zügen, Trams und Bussen, Bergbahnen, Seilbahnen und auf Schiffen. sda / GIAN EHRENZELLER
6. August: Angehörige von Staaten ausserhalb des Schengenraums dürfen nicht in die Schweiz einreisen – mit Ausnahme von vorerst 20 Ländern. Damit bestehen Corona-bedingte Einreisesperren für 160 Länder. sda / ENNIO LEANZA
1. Oktober: Grossanlässe mit über 1000 Personen sind wieder erlaubt. Es gelten jedoch strenge Auflagen. keystone / ALEXANDRA WEY
7./8. Oktober: Die Ansteckungszahlen steigen schweizweit auf über 1000 pro Tag. Das Tessin reagiert mit Schliessungen von Clubs, Diskotheken und Tanzlokalen. keystone / Pablo Gianinazzi
19. Oktober: Die Maskentragpflicht wird ausgeweitet auf alle geschlossenen öffentlichen Innenräume, einschliesslich Bahnsteige, Bushaltestellen und Flughäfen. keystone / Anex Anthony
28. Oktober: Einzelne Kantone rufen die Armee um Unterstützung an. Der Bundesrat beschliesst weitere Massnahmen um einen zweiten Lockdown zu verhindern, unter anderem die Zulassung von Schnelltests, eine Maskenpflicht im Freien, das Verbot von privaten Treffen mit mehr als zehn Personen und die Schliessung von Discos. keystone / PETER KLAUNZER
4./5./6. November: Die Zahl der Neuinfektionen steigen schweizweit auf über 10'000 pro Tag. Neuenburg, Waadt, Freiburg und Wallis schliessen Bars und Restaurants. sda / OLIVIER MAIRE
13. November: Die Heilmittelbehörde Swissmedic hat von Moderna ein drittes Zulassungsgesuch für einen Corona-Impfstoff erhalten. Mitte Oktober hatte Pfizer/Biontech ein Zulassungsgesuch für einen Impfstoff eingereicht und bereits Anfang Oktober Astrazeneca. keystone / ORESTIS PANAGIOTOU
18. November: Um Firmen und Sportvereine zu unterstützen, stellt der Bundesrat nicht 400 Millionen, sondern neu eine Milliarde Franken zur Verfügung. keystone / ANTHONY ANEX
24. November: Die Zahl der Neuansteckungen halbiert sich innert zweier Wochen. keystone / ALESSANDRO DELLA VALLE
9. Dezember: Die Vereinigte Bundesversammlung gedenkt in einer Schweigeminute der Covid-Toten in der Schweiz. keystone / PETER SCHNEIDER
12. Dezember: Auf Anordnung des Bundesrates werden schweizweit Restaurants, Bars, Geschäfte, Märkte, Museen, Bibliotheken, Freizeit- und Sportzentren zwischen 19 Uhr und 6 Uhr morgens geschlossen. keystone / ANTHONY ANEX
18. Dezember: Der Bundessrat schliesst alle Restaurants sowie Freizeit-, Sport- und Kultureinrichtungen. Die Kapazität von Läden wird weiter eingeschränkt. Zudem wird der Einsatz von Schnelltests erweitert. keystone / ANTHONY ANEX
19. Dezember: Swissmedic erteilt die Zulassung für den Pfizer/Biontech-Impfstoff. Es ist der erste in der Schweiz zugelassene Impfstoff gegen Coronaviren. keystone / Bilal Hussein
20. Dezember: Das Bundesamt für Zivilluftfahrt setzt Flüge zwischen der Schweiz und Grossbritannien und Südafrika aus, da in diesen Ländern neue ansteckendere Coronaviren entdeckt worden sind. keystone / URS FLUEELER
22. Dezember: Schweizer Skigebiete dürfen mit kantonaler Genehmigung öffnen. Die Nachbarländer, mit Ausnahme von Österreich, schliessen ihre Skigebiete. Sport-, Kultur- und Freizeitzentren und Zoos müssen schliessen. keystone / MARCEL BIERI
23. Dezember: Impfstart in der Schweiz: Als erste Person wird eine 90-jährige Frau im Kanton Luzern geimpft. Auch in vier weiteren Kantonen erhalten Senioren die ersten Impfungen. sda / URS FLUEELER
24. Dezember: Die neue Variante des Coronavirus aus Grossbritannien wird in der Schweiz in zwei Proben von Briten nachgewiesen, die in der Schweiz positiv getestet wurden. Die Rückführung britischer Touristen beginnt. keystone / JEAN-CHRISTOPHE BOTT
4./5. Januar 2021: In 25 Kantonen wird geimpft – die Ausnahme ist Bern. keystone / ALEXANDRA WEY
12. Januar: Der Verein «Freunde der Verfassung» reicht ein von knapp 90'000 Personen unterzeichnetes Referendum gegen das Covid-19-Gesetz ein, das die vom Bundesrat ergriffenen Massnahmen gegen die Pandemie auf gesetzliche Basis stellt. Das Gesetz gilt bis Ende 2021. Swissmedic erteilt dem zweiten Corona-Impfstoff des US-Herstellers Moderna die Zulassung für die Schweiz. sda / LAURENT GILLIERON
13. Januar: Der Bundesrat verlängert die Corona-Massnahmen um fünf Wochen bis Ende Februar und beschliesst weitere Massnahmen. Offen bleiben die obligatorischen Schulen. Betriebe erhalten zusätzliche Finanzhilfen des Bundes. keystone / PETER KLAUNZER
18./19. Januar: Die neuen strengeren Corona-Schutzmassnahmen treten in Kraft. Unter anderen müssen Läden, die keine Güter des täglichen Bedarfs verkaufen, schliessen. Rund 110'000 Impfungen sind bisher verabreicht worden. keystone / URS FLUEELER
27. Januar: Der Bundesrat setzt neu auf Massentests und ermöglicht eine kürzere Quarantäne. Zudem beantragt er dem Parlament, die Wirtschaftshilfen für Härtefälle weiter auszubauen. sda / GIAN EHRENZELLER
29. Januar: In Nidwalden und Uri fehlen Impfungen um fristgerecht Zweitimpfungen durchzuführen. Bislang sind eine halbe Million Impfdosen geliefert und rund 260'000 Impfungen verabreicht worden. keystone / PETER KLAUNZER
7. Februar: In der Schweiz gelten für Reisende aus dem Ausland teils schärfere Bestimmungen. Vor dem Abflug in die Schweiz müssen alle einen negativen Corona-Test vorweisen. sda / CHRISTIAN BEUTLER
Seit bald eineinhalb Jahren ist nichts mehr, wie es zuvor war. Ein Virus stellt unser Leben auf dem Kopf. Dank den in Rekordzeit entwickelten Impfstoffen tasten wir uns langsam an die Normalität heran, mit den Virusmutationen als möglichen Stolpersteinen. Ein Teil der Bevölkerung aber tut sich bis heute schwer damit, die Realität zu akzeptieren.
40 Prozent sagten am 13. Juni Nein zum Covid-19-Gesetz. Teilweise war es eine reine Frustreaktion, aber nicht wenige sind überzeugt, dass Corona keine Pandemie ist, sondern «nur eine Grippe», trotz der eindrücklichen Bilder aus Bergamo, New York, São Paulo oder Delhi, und trotz eindeutiger Befunde der Wissenschaft. Auch die Impfung lehnen sie ab.
Überall auf der Welt sind Menschen anfällig für Verschwörungsmythen, doch bei uns haben alle Zugang zu fundierten Informationen. Dennoch lehnen diese «Skeptiker» den breiten wissenschaftlichen Konsens ab und hören lieber auf mehr oder weniger seriöse Figuren, die aus welchen Gründen auch immer «alternative Fakten» verbreiten.
Ein kritischer Umgang mit wissenschaftlichen Befunden ist wichtig. Die Corona-«Skeptiker» aber verbreiten die «Erkenntnisse», die in ihr Weltbild passen, häufig eifrig und kritiklos weiter, ohne sie zu hinterfragen. Nicht die Wahrheit zählt, sondern was sich wahr anfühlt. Eine derartige Ignoranz muss man sich definitiv leisten können.
Europa
Rahmenvertrag? Brauchen wir nicht!
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Die Europäische Union ist unser mit Abstand wichtigster Handelspartner. Wir sind nicht Mitglied, aber sprachlich, kulturell und wertemässig ein Teil dieses Kontinents. Dennoch fand es der Bundesrat passend, das institutionelle Rahmenabkommen einseitig zu versenken, mit dem der bilaterale Weg langfristig gesichert und weiterentwickelt werden sollte.
Damit kapitulierte unsere in diesem Dossier erschreckend führungsschwache Regierung vor dem geballten und häufig faktenfreien Widerstand, ohne den blassesten Schimmer zu haben, wie es weitergehen soll. Aussenminister Ignazio Cassis kompensiert dies mit Aktionismus. Letzte Woche reiste er nach Brüssel, wo niemand auf ihn gewartet hat.
Die Schweiz hat bei der EU keine Ansprechpartner mehr, seit sie den Gesprächsfaden zerrissen hat. Die Retourkutsche bekommen nun die Medtech-Branche und die Forschung (Horizon Europe) zu spüren. Nun geistern allerlei Ideen herum, wie man die entstandenen Nachteile kompensieren könnte. Sie sehen nur auf den ersten Blick clever aus.
In Wirklichkeit sind sie kompliziert, teuer und bürokratisch. Sie ignorieren die Klagen der direkt Betroffenen. Oder sie sind weltfremd, etwa wenn es um den Bau neuer AKWs geht. Mit dem Nein zum Rahmenvertrag hat der Bundesrat mutwillig den Zugang zum EU-Markt aufs Spiel gesetzt. Auch hier gilt: Diese Ignoranz muss man sich leisten können.
Klima
Unwetter in Deutschland? Nein, in Zürich!
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Die letzten Wochen müssten allen die Augen geöffnet haben, die immer noch an den katastrophalen Folgen des menschgemachten Klimawandels zweifeln. Temperaturen bis 50 Grad an der Westküste Nordamerikas, fürchterliche Sturzfluten in Deutschland oder China. Das Wetter wird immer extremer, und laut einer ETH-Studie ist das erst der Anfang.
Wetter ist nicht gleich Klima, aber das Klima bestimmt das Wetter. Auch bei uns regnet es in diesem Sommer nicht einfach, es schüttet häufig wie aus Kübeln. Und es sollte niemand auf die Idee kommen, dass wir von extremen Temperaturen oder Sintfluten verschont bleiben. Die Frage ist nicht, ob das bei uns passieren wird, sondern wann es uns trifft.
Das Schweizer Stimmvolk aber hat sich den Luxus geleistet, mit einer kleinlichen Rappenspalter-Mentalität ein relativ moderates CO2-Gesetz abzulehnen. Sicher, ein effizienter Klimaschutz darf nicht auf Kosten ärmerer Schichten gehen. Vielleicht aber zahlen sie am Ende auf anderen Wegen, etwa über höhere Versicherungsprämien.
Zuwarten beim Klimaschutz wird uns sehr, sehr teuer zu stehen kommen. Was wir heute nicht investieren, wird morgen erheblich höhere Kosten verursachen. Vielen fällt diese Erkenntnis ebenso schwer wie die Vorstellung, wir müssten Abstriche machen an unserem keineswegs nachhaltigen Lebensstil. Auch diese Ignoranz muss man sich leisten können.
Vielleicht schaffen wir in allen drei Punkten die Kurve, wobei der Klimaschutz der drängendste und zugleich schwierigste Fall ist. Widersprüche bleiben nicht aus. Viele misstrauen der Wissenschaft bei Corona und vertrauen gleichzeitig darauf, dass sie «Wundermittel» zur Rettung des Klimas findet, die möglichst nichts kosten sollen.
Die Bildung sei unser einziger Rohstoff, wird in Reden etwa am 1. August gerne betont. Wir gehen damit gerade sehr fahrlässig um. Aber eben, wir können uns das offenbar leisten.
Wir unterziehen 9 beliebte Aussagen von Klimaskeptikern dem Faktencheck. Ausführlichere Antworten und Quellen findest du hier. EPA / CHRISTOS BLETSOS «Es gibt gar keinen Klimawandel»: Falsch. Anhand wissenschaftlicher Daten zeigt sich, dass sich die Temperaturen erhöhen, die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre dichter wird und der Meeresspiegel steigt. Alles deutliche Hinweise auf einen Klimawandel. EPA/NOAA / NOAA HANDOUT
«Es gab schon immer Schwankungen, das ist normal»: Halbwahr. Schwankungen gab es schon immer, richtig. In der Vergangenheit hat sich aber gezeigt, dass solche abrupte Schwankungen wie heute oft mit einem Massensterben einhergingen. «Normal» ist dies also nicht. EPA/EPA / KIMIMASA MAYAMA
«Der Klimawandel ist gar nicht so schlimm»: Falsch. Wegen des Temperaturanstiegs breiten sich bereits heute Wüsten aus, der steigende Meeresspiegel bedroht Küstenregionen und extreme Wetterlagen häufen sich auf der ganzen Welt. «Gar nicht so schlimm» trifft es also nicht. AP/AP / Richard Vogel
«Der Mensch hat gar keinen Einfluss auf den Klimawandel»: Falsch. Wer denkt, Vulkane würden den CO2-Ausstoss des Menschen um ein Vielfaches übertreffen, irrt. Menschen verursachen jährlich 175 Mal mehr CO2-Emissionen als Vulkane. EPA/EFE / HILDA RIOS
«Die Schweiz trägt gar nicht so viel zum Klimawandel bei»: Halbwahr. Die Schweiz hat im weltweiten Vergleich einen eher geringen CO2-Ausstoss pro Kopf. Doch sehr viele Geldanlagen, die in der Schweiz getätigt werden, fliessen in klimaunfreundliche Unternehmen. KEYSTONE / GAETAN BALLY
«CO2 ist gar nicht so schädlich»: Halbwahr. CO2 ist ein natürlich vorkommendes Molekül in der Luft und für viele Pflanzen überlebensnotwendig. Aber: Die höhere Konzentration in der Atmosphäre verstärkt den Treibhauseffekt. AP/AP / J. David Ake
«Nicht alle Forscher glauben an den menschengemachten Klimawandel»: Halbwahr. Es gibt tatsächlich wissenschaftliche Untersuchungen, die der These des menschengemachten Klimawandels widersprechen. Diese sind aber mit 3 zu 97 Prozent stark in der Unterzahl. AP/AP / Francois Mori
«Die Klimaschützer schalten AKWs ab und setzen dafür auf Kohlestrom»: Falsch. 2011 entschloss sich Deutschland, alle seine Atomkraftwerke bis 2022 vom Netz zu nehmen. Es zeigt sich bereits heute, dass Deutschland die wegfallende Kernkraft komplett durch erneuerbare Energiequellen ausgleichen konnte. AP/AP / Ross D. Franklin
«AKWs sind klimaneutral»: Falsch. Der Bau der Kraftwerke selber, die Gewinnung der Rohstoffe wie zum Beispiel Uran oder Plutonium, sowie der Rückbau der Anlagen verursachen CO2-Emissionen. Dies trifft aber in ähnlichem Masse auch auf erneuerbare Energiequellen zu. AP/AP / Robert Ray
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