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Türme in Pratteln stehen in der Kritik

Auf der Visualisierung (links) hell – in echt metallisch: Nicht nur der Name hat gewechselt beim Aquila-Hochhaus am Bahnhof, das früher Bruce Lee hiess.
Auf der Visualisierung (links) hell – in echt metallisch: Nicht nur der Name hat gewechselt beim Aquila-Hochhaus am Bahnhof, das früher Bruce Lee hiess.
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Pratteln (BL) wächst in die Höhe – doch die Türme kommen nicht bei allen gut an

Das Aussehen des Hochhauses Aquila unterscheidet sich stark von früheren Visualisierungen. Die Bevölkerung wirft dem Architekturbüro sogar Beschönigung vor. Das Aquila ist nicht das einzige Neubau-Projekt in der Region, wo Visualisierung und fertiges Bauwerk kaum übereinstimmen.
11.07.2016, 05:57
Benjamin Wieland / bz Basel
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Pratteln hätte berühmt werden können: Bruce Lee sollte das Hochhaus am Prattler Bahnhof ursprünglich heissen. Zumindest lautete so dessen Name beim Architekturwettbewerb 2008. Doch schon bald musste sich der 1973 verstorbene Schauspieler und Kampfsportler einem Raubvogel geschlagen geben.

Jetzt auf

Im Herbst 2012 wurde das Projekt umbenannt – wohl auf sanften Druck der Gemeinde hin, die Gründe wurden nie kommuniziert. Und so heisst das Hochhaus heute: Aquila, Adler auf Italienisch und Lateinisch, er ist das Prattler Wappentier. Die zwei spitzen Flanken bis Etage drei sollten nun an Flügel erinnern – und nicht mehr an Bruce Lee in der Hocke.

«hochtrabenden Fassaden-Experiment»

Nicht nur der Name, auch das Aussehen wandelte sich stark beim im November 2015 eingeweihten 66-Meter-Bau. Auf frühen Visualisierungen prangte der Turm in einer Art silberrosa. So, als bestünde die Fassade aus hellen Steinplatten. Der fertige Turm jedoch strahlt metallen – und das passt nicht allen: Von einem «hochtrabenden Fassaden-Experiment» war in einem Leserbrief im «Prattler Anzeiger» die Rede.

Im Dorf hiess es, mit den Visualisierungen sei der Bau «beschönigt» worden: Man habe ihn hübscher dargestellt, um die Bevölkerung milde zu stimmen für den Blechturm. Ein Kritiker sprach von «Stahlblech-Fetischisten in Architekturbüros und Amtsstuben».

«Visualisierungen sind limitiert, da sie die Realität immer nur einseitig darstellen können»
Architekturbüro Christ & Gantenbein

Entworfen hat Aquila das Basler Architekturbüro Christ & Gantenbein, das unter anderem für den Erweiterungsbau des Kunstmuseums Basel verantwortlich zeichnet. Christoph Gantenbein nimmt Stellung zum Beschönigungs-Vorwurf: «Die Visualisierung mit der weissen Fassade ist sehr alt.» Sie sei ersetzt worden durch eine realistischere, die im Rahmen des Quartierplans vorgestellt worden sei.

Visualisierungen seien limitiert, schreibt Gantenbein, da sie «die Realität immer nur einseitig darstellen können». Schlecht simulierbar wären etwa Glanz- und Spiegeleffekte. Deshalb habe man ein reales Muster herstellen lassen und dieses im Rahmen des Bewilligungsverfahrens diskutiert. Die Fassade setze auch keinen Rost an, sondern Patina an (siehe Kasten).

Türme wie Chamäleons

Der Aquila ist nicht alleine mit seiner Verwandlung. Auch bei zahlreichen anderen Neubau-Projekten in der Region entspricht das Aussehen der Fassade auf der (frühen) Visualisierung und beim fertigen Produkt kaum überein. Ab und zu kommt es sogar zu einer kompletten Hell-dunkel-Umkehr – etwa beim Claraturm oder Grosspeter-Turm beim Bahnhof SBB: Bei beiden wechselte die Haut von weiss zu dunkel.

Was bei fast allen Visualisierungen auffällt: Sie zeigen die Objekte in der Regel heller, transparenter, weicher als in fertigem Zustand. Meist herrscht eitel Sonnenschein. Häufig werden auch störende Elemente wie Kabel retuschiert, etwa bei den Darstellungen zum Baloise-Park beim Bahnhof SBB.

«Als Architekt möchte man, insbesondere bei einem Wettbewerb, in erster Linie die Jury bestehend aus Fachleuten überzeugen. An die Öffentlichkeitswirkung denkt man weniger.»
Basler Architekt Lukas Gruntz

Trotzdem würde Lukas Gruntz den Vorwurf des «Weiss-Waschens» mit Visualisierungen nicht gelten lassen. Gruntz ist Architekt in Basel und betreibt zusammen mit drei jungen Kollegen die Facebook-Seite «Architektur Basel». Auf dieser wird das Architekturgeschehen in der Nordwestschweiz dokumentiert und kommentiert. Gruntz schreibt, die Unterschiede zwischen grafischen Darstellungen und Endprodukt rührten daher, dass erste Visualisierungen in einem Wettbewerbsstadium erstellt würden. «In diesem sind viele (bau-)technische Details noch nicht gedacht, geschweige denn gelöst.»

So müssten frühe Darstellungen als eine Art «Absichtserklärung oder Wunschvorstellung» der Architekten gelesen werden, die einen «idealisierten Zustand» darstellen. Dahinter stecke in der Regel keine Täuschungsabsicht. «Als Architekt möchte man, insbesondere bei einem Wettbewerb, in erster Linie die Jury bestehend aus Fachleuten überzeugen», schreibt Gruntz. «An die Öffentlichkeitswirkung denkt man weniger.»

Gleiches bei zwei weiteren Hochhäusern

In Pratteln gibt es zwei weitere neue Hochhäuser: Den Ceres-Tower und den Helvetia-Tower. Ceres befindet sich im Bau, mit 82 Metern ist er künftig das höchste Gebäude im Kanton Baselland. Seine Fassade wechselte von türkis zu grau-gerastert. Der Helvetia-Tower östlich des Bahnhofs leuchtete auf den ersten Visualisierungen grünlich-grau. Nun präsentiert sich die Fassade des 75-Meter hohen Gebäudes, das seit April bezogen wird, bräunlich-golden.

«Visualisierungen sind so gut wie nie ein Bestandteil von Bewilligungen oder Verträgen»
Helvetia-Versicherungen

Die Investorin Helvetia-Versicherungen erklärt auf Anfrage, es seien nicht nur Ideen und Wünsche des Architekten mit den Vorstellungen des Bauherrn in Einklang zu bringen, es müssten auch Vorschriften und behördliche Auflagen berücksichtigt werden. Helvetia legt Wert auf die Feststellung, dass Visualisierungen «so gut wie nie ein Bestandteil von Bewilligungen oder Verträgen» seien.

In Pratteln ging auch das Gerücht um, dass der Aquila-Bauherr, der Immobilienfonds UBS Sima, einem Coiffeurgeschäft vis-à-vis dem Turm neue Sonnenstoren finanziert hätte. Angestellte hätten wegen der Reflexion der Fassade unter Migräne gelitten. Ein Anruf zeigt: Die Geschichte tönt gut, ist aber erfunden. Zwar blende die Fassade tatsächlich stark, sagt der Geschäftsführer. Und es gebe Angestellte, die sich über Kopfschmerzen beklagt hätten. Man habe aber keine neuen Storen erhalten, sondern die bestehenden neu eingestellt.

Fleckige Fassade: Architekt Gantenbein: «Wollten den Blechen ihren metallischen Charakter lassen»

Anders als viele vermuten, nagt an der Fassade des Aquila-Hochhauses am Prattler Bahnhofplatz nicht der Rost. Falls doch, würde es sich wohl um Baupfusch handeln, denn die Fassaden-Elemente sind feuerverzinkt – dieses Verfahren soll Rost verhindern.

Trotzdem reagiert das Metall mit seiner Umwelt: Es entstehen dunkle Flecken, die an einigen Stellen der Fassade bereits deutlich sichtbar sind. Die Turmhaut setzt Patina an, und das ist von den Architekten Emanuel Christ und Christoph Gantenbein («Christ & Gantenbein») so gewollt. «Uns war es wichtig», schreibt Gantenbein, «den Metallblechen ihren metallischen Charakter zu lassen und nicht irgendeine Farbe zu verwenden.»

Das gleiche Material sei auch im Erweiterungsbau des Basler Kunstmuseums verwendet worden, etwa für die Türen, Fensterläden und Geländer. In Pratteln verfolgte das Architekten-Duo noch eine weitere Intention mit der drei Millimeter dicken Metallhaut: Sie soll auf die nahe Eisenbahn und die industrielle Vergangenheit Prattelns verweisen.

Die unterschiedlich starke Färbung und Musterung der Platten entsteht bereits beim Verzinken. Jedes Blech sei anders, sagt Gantenbein. «Somit lebt die Fassade.» Spätestens nach zwei Jahren jedoch sollte der Patinierungsprozess abgeschlossen sein – also in etwa einem Jahr. (bzbasel.ch)
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