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«Wir werden vielleicht früher über den EU-Beitritt abstimmen müssen, als uns lieb ist»

Nicola Forster präsidiert den Schweizer Think-Tank «foraus – Forum Aussenpolitik».
Nicola Forster präsidiert den Schweizer Think-Tank «foraus – Forum Aussenpolitik».Bild: zvg.
Masseneinwanderungs-Initiative

«Wir werden vielleicht früher über den EU-Beitritt abstimmen müssen, als uns lieb ist»

Die Zeit der Wirtschaftsverbände und Parteien ist vorbei. Nicola Forster, Präsident des Think-Tanks «foraus – Forum Aussenpolitik», plädiert dafür, dass neue Kräfte die Schweizer Aussenpolitik gestalten sollen.
10.02.2014, 15:4006.08.2014, 23:04
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Die Schweizer Stimmberechtigten haben gestern Sonntag die Masseneinwanderungs-Initiative angenommen. Das muss Sie nachdenklich stimmen. 
Nicola Forster: Nun, ich habe ein sehr zwiespältiges Gefühl. An dieser Abstimmung werden wir noch ein paar Jahre zu beissen haben. Das Resultat bietet aber auch Chancen.

Welche?
Dass wir nun endlich eine ernsthafte Debatte über unser Verhältnis zur Europäischen Union führen müssen.

Woran liegt es, dass dieser Diskurs nie «ernsthaft» geführt wurde?
Die Schweiz ist ein wirtschaftlich globalisiertes Land, gleichzeitig ist die Globalisierung aber noch nicht in unseren Köpfen angekommen. Der Realitätscheck wird nun folgen und eine klarere Positionierung in Europa nach sich ziehen.

«Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft müssen sich jetzt zusammenraufen.»
Nicola Forster
Nicola Forster
Nicola Forster (28) aus Zürich hat Jura in Zürich, Montpellier und Lausanne studiert. Nach erfolgreicher Leitung einer europapolitischen Abstimmungskampagne in der Schweiz gründete er 2009 den Think-Tank «foraus – Forum Aussenpolitik», der inzwischen über 700 jungen Akademikern eine Plattform bietet. (sza)

Warum wurde der Diskurs nicht geführt?
Das Zauberwort des «bilateralen Königswegs» diente lange als Totschlagargument, um eine Debatte zur aussenpolitischen Strategie der Schweiz in einer globalisierten Welt zu verhindern. Diese Zeiten sind nun vorbei.

Kurz nach der Veröffentlichung der Endresultate zur Masseneinwanderungs-Initiative plädierten Sie auf Twitter dafür, dass es dringend neue Kräfte für eine offene und liberale Schweiz brauche, Parteien und Wirtschaftsverbände könnten diese Rolle nicht mehr wahrnehmen. An welche Kräfte denken Sie?
Hoffentlich resultiert aus dem Votum ein heilsamer Schock für alle Kräfte, die sich für eine weltoffene Schweiz einsetzen. Wir merken nun, dass noch sehr viel mehr getan werden muss. Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft müssen sich jetzt zusammenraufen.

«Die Personenfreizügigkeit ist nicht nur ein wichtiger Wert der europäischen Gesellschaft, sondern auch der Schweiz.»
Nicola Forster

Konkret, wer soll sich zusammenraufen?
Die Schweiz steht heute ohne Plan B da und braucht dringend eine Strategie für die nächsten Monate und Jahre. Think-Tanks können dabei eine Rolle spielen – unterstützt von zivilgesellschaftlichen Akteuren wie der «Gesellschaft offene und moderne Schweiz» (GomS). Gemeinsam können sie zu einem Umdenken führen.

Wie soll das aussehen? 
Es braucht nun eine neue, vorwärtsgerichtete Wertedebatte. Bislang wurde die Personenfreizügigkeit von Parteien und der Wirtschaft gleichermassen als notwendiges Übel dargestellt, das es zu schlucken galt. Offensichtlich war das die falsche Strategie. Die Personenfreizügigkeit ist nicht nur ein wichtiger Wert der europäischen Gesellschaft, sondern auch der Schweiz. Wir wollen in einem Land leben, das auch in einer globalisierten Welt prosperiert. Und dafür müssen wir attraktiv sein – und zwar für Schweizer und kluge Köpfe aus dem Ausland.  

Mit anderen Worten: Die Beziehung zwischen der Schweiz und der EU wurde hauptsächlich über die bilateralen Verträge gelebt. 
Noch immer stellen gewisse Exponenten hierzulande die EU als ein notwendiges Übel dar und tun so, als wären wir aus eigener Kraft zu unserem Wohlstand gekommen. Die Wirtschaft muss nun endlich aufhören mit gespaltener Zunge zu reden: Sie kann nicht gleichzeitig von der Globalisierung profitieren und einen politischen Abschottungskurs propagieren.

Sie weilen gerade in Brüssel. Wie sind die Reaktionen auf das Schweizer Votum?
Grosse Ungläubigkeit verbunden mit der Ansicht, dass wir uns ins eigene Fleisch schneiden. Es sei offensichtlich, welch grossen Nutzen die Schweiz von der Personenfreizügigkeit und den bilateralen Verträgen habe, lautet der Tenor. Interessanterweise hat aber auch die EU keinen Plan B, wie sie nun mit der Schweiz umgehen soll.

«Auch die Briten pochen auf eine Extrawurst. Das könnte die EU dazu verleiten, an der Schweiz ein schmerzhaftes Exempel zu statuieren.»
Nicola Forster

Die EU steht auch nicht unter Zugzwang. 
Die Wahlen für das europäische Parlament stehen an. Europakritische Parteien befinden sich im Aufwind, das bereitet der EU derzeit weit mehr Sorgen als unser Votum. Die Schweiz hat hier sicherlich noch etwas Öl ins Feuer gegossen. Auch hinsichtlich Brexit – also dem Ausstieg der Briten aus der EU. London ist ein weit wichtigerer Partner für Brüssel als Bern. Auch die Briten pochen auf eine Extrawurst. Das könnte die EU dazu verleiten, an der Schweiz ein schmerzhaftes Exempel zu statuieren.

Wie gross ist die Möglichkeit, dass Brüssel gar nicht so geharnischt auf unser Votum reagiert, wie von vielen befürchtet?
Klein. Wir stehen mit der EU in Verhandlungen im Strombereich, zu den institutionellen Fragen und auch ein Dienstleistungsabkommen könnte für die Banken zum Thema werden. Die EU lässt sich nicht auf der Nase herumtanzen, die künftigen Verhandlungen werden schwieriger. Und ich bezweifle, dass die Schweiz nach dem Votum vom Sonntag die besseren Karten hat.  

Ihre Prognose?
Zum Glück haben wir gute Schweizer Diplomaten. Die Verhandlungen werden hart. Absurderweise könnte dieses Votum dazu führen, dass wir früher als uns lieb sein kann über den EU-Beitritt abstimmen müssen.

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