Zwei Nachrichten der letzten Wochen haben die deutsch-schweizerischen Verkehrsbeziehungen stark belastet. Einmal die Wut schwäbischer Bürger über rücksichtslose schweizerische Raser auf deutschen Strassen – ein andermal die drakonischen Strafen, die einen deutschen Tempo-Junkie erwarten, nachdem er die Schweizer Autobahnen einem Belastungstest unterzogen hatte. Der Spass am Rasen ist offenbar in beiden Nationen gleich ausgeprägt – aber noch sind wir weit entfernt von einer gemeinsamen Raserkultur.
Der Schweizer Autofahrer tritt vor allem als Nutzniesser deutscher Kulturleistungen auf. Erst über die Grenze rüberbrettern, dann bei Lidl schön billig den Kofferraum mit Plunder voll kaufen, hinterher ein zünftiges Wettrennen auf der Autobahn ableisten und sich zu Hause auch noch die Mehrwertsteuer auszahlen lassen – das ist gelungener Kulturaustausch, hier wird die deutsche Schnäppchen- und Abgreifmentalität gelungen nachgeahmt und evtl. auch für die Schweizer Kultur fruchtbar gemacht. So weit, so gut.
Allerdings wären umgekehrt die Schweizer aufgerufen, mit deutschen Temposündern entsprechend milde umzugehen. Denkbar wäre eine Raser-Vignette, die es den Verkehrskontrolleuren erlaubt, deutsche Qualitätsfahrer von den ausgebremsten Einheimischen zu unterscheiden und sie, gewissermassen als Botschafter deutscher Tugenden und Motoren des technischen Fortschritts, wohlwollend passieren zu lassen. Das kann aber nur der erste Schritt sein. Die Deutschen müssen ebenfalls für die schweizerische Langsamkeitskultur begeistert werden. Dem deutschen Fimmel für Esoterik und alternativen Heilmethoden folgend, könnte eine Fahrt auf einer Schweizer Autobahn als Meditations- und Selbstfindungskurs vermarktet werden. Lernen Sie neu atmen, spüren Sie die Zeit stillstehen – auf Schweizer Strassen! Britta T. litt seit ihrem neunten Lebensjahr am Reizdarmsyndrom – bis sie in den Züricher Feierabendverkehr geriet. Jetzt lebt sie glücklich und beschwerdefrei auf einer Verkehrsinsel Nähe Oerlikon.
Auch der Strafvollzug kann zu einem besseren Verständnis der beiden Nationen beitragen. Hier könnten Knastpatenschaften helfen: Schweizerische Raser zahlen in einen Fonds für deutsche Sportsfreunde, die wegen Verkehrsvergehen in der Schweiz einsitzen. Sie helfen mit den Anwalts- und Gerichtskosten, besuchen die Verurteilten im Gefängnis, um ihnen aktuelle Autozeitschriften mitzubringen. Umgekehrt könnten Deutsche ihren Schweizer Kollegen zu Hilfe eilen – und einen Teil ihrer Gefängnisstrafen übernehmen. Solidarisch einsitzen für ein Opfer – bekanntlich sind in der Schweiz die Gefängnisse von den Frühstückspensionen kaum zu unterscheiden (Aufstehen bis 8 Uhr, Streit mit dem Personal, verriegelte Haustüren ab 19 Uhr abends). So bewegen wir uns auf ein solidarisches Morgen zu – und zwar mit Höchstgeschwindigkeit.