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Muss man als Schwarze weiss werden, damit man Schweizer ist?

Auch Kafi liebt Trachten. Diese hier ist ukrainisch.
Auch Kafi liebt Trachten. Diese hier ist ukrainisch.kafi freitag
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Liebe Kafi, wie lange dauert es, bis jemand mit dunkler Hautfarbe als Schweizer gilt?

Wir sind jetzt die 3. Generation, sind aber immer noch «Ausländer», obwohl wir seit 70 Jahren im gleichen Ort leben, seit über 40 Jahren den roten Pass haben, seit ungefähr 50 Jahren Mundart als Muttersprache reden. 2 Generationen in der CH-Armee. Ich werde öffentlich dumm angemacht, wenn ich eine Tracht trage oder ein T-Shirt mit Schweizerkreuz. Wie lange? Bis man weiss wird? Olga, 42
05.10.2016, 14:3207.10.2016, 15:39
Kafi Freitag
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Liebe Olga

Ihre Frage hat mir zugesetzt und mich sehr nachdenklich zurückgelassen. Ich habe mir lange überlegt, was ich Ihnen schreiben kann. Leider weiss ich nicht, wo Sie leben. Das wäre für diese Frage noch spannend gewesen. Zumal ich mir gut denken kann, dass es einen Unterschied macht, ob man eher urban lebt oder ländlich. Mein Sohn geht mit Kindern aus ungefähr 40 Nationen zur Schule, er wächst mit der Tatsache auf, dass die Menschen nicht alle weiss sind und breitestes Zürideutsch reden. Auf dem Land ist das vielerorts noch recht anders, dort steht höchstens Mal ein Asylheim am Rande des Dorfs und sonst bleibt man gern unter sich. Aber das gibt Ihnen auch keine Antwort, ich weiss.

Die Schweiz ist auf der einen Seite ein Land von Einwanderern und auf der anderen will es diese nicht zu seinesgleichen machen. Davon können die Italiener, die man für den Bau geholt hat, ein Lied mit vielen Strophen singen. Und die Jugos, die danach kamen, ebenfalls. Meinem deutschen Vater hat man zweimal die Einbürgerung verweigert und ich weiss nur zu gut, wie schwierig ein Einbürgerungsverfahren bisweilen sein kann. Und hat man dieses dann überstanden, hat man zwar einen roten hübschen Pass, aber ist deswegen noch lange nicht Schweizer. Ich habe mich gefragt, warum das in anderen Ländern besser gelingt als hier. In den USA ist man schnell einmal ein Amerikaner. Der Nationalstolz ist dort so stark, dass man sich verdächtig macht, wenn man sich nicht als Amerikaner labelt. Gleichzeitig ist der Rassismus dort sehr verheerend aktiv, wie die beinahe täglichen Übergriffe von weissen Polizisten auf farbige Bürger zeigen. Selbst Michael Jackson, der erfolgreichste schwarze Künstler aller Zeiten, hat sich bleichen lassen, weil er anscheinend unter seiner Hautfarbe litt. Es scheint also nirgends mit der Nationalität allein nicht getan zu sein.

Sie werden vermutlich immer anders sein, liebe Olga. Nie ganz dazugehören. Da können Sie noch so viele Trachten und Shirts mit Schweizerkreuz tragen. So wie ich immer etwas anders sein und nie ganz dazugehören werde. Und auch ich habe ein Faible für Trachten und auch mich macht es nicht gleicher. Und ich frage mich gleichzeitig, ob es das Ziel sein darf und muss, gleich zu sein. Warum ist es uns so wichtig? Wir Menschen brauchen eine Zugehörigkeit zu einer Gruppe, damit wir uns wohlfühlen. Wenn Sie nun mit einer Tracht und Schweizer Kreuz herumlaufen, dann bedienen Sie sich einer Symbolik, welcher dem konservativsten Teil der Schweiz viel bedeutet. Trachten- und Schwingfeste sind ein Mekka für Menschen, welche sich der SVP nahe fühlen oder diese sogar wählen. Dort wird eine Schweiz gelebt und kultiviert, wie es sie eigentlich kaum mehr gibt und wie sie manch einer gern wieder haben würde. Diese kitschige Folklore zwischen Heidi und Francine Jordi, diese heile Welt inmitten der beschützenden Schweizer Alpen, das Land, in dem Fondue und Gold fliesst. Dies ist das Land, das keinen Krieg überstehen, nicht hungern musste. Es ist das Land, das alles besser weiss und besser kann und darum auch nicht teilen muss. Es ist das Land, das in humanitärer Not Grenzen verstärkt, anstatt sie zu öffnen. Es ist das Land, das den Judenstempel eingeführt und so manchem jüdischen Menschen den Tod beschert hat. Und es ist das Land, das heute auch nicht viel besser ist.

Wollen Sie wirklich zu diesem Teil der Schweiz gehören, liebe Olga? Tragen Sie die Tracht aus der Liebe zum alten Handwerk, so wie ich, oder eher aus dem Bedürfnis heraus, dazuzugehören? Die Liebe zu schönen Stickereien könnten Sie auch mit einer ukrainischen Tracht ausleben, warum muss es gerade das Symbol der Urschweiz sein? Ich erlebe ganz oft Secondos, die sehr darunter leiden, sich nicht integriert zu fühlen. Von klein auf hat man nur eines gehört: Ja nicht auffallen! Nicht laut sein! Keine Fehler machen!

Wer mit diesen Werten aufwächst, kann keine eigene Identität entwickeln, sondern definiert sich nur darüber, was er alles nicht sein darf. Das reicht nicht aus, um Wurzeln zu schlagen. Einige dieser überangepassten Immigrantenkinder werden später Hardliner-SVPler. Sie haben Werte eingetrichtert bekommen, die jedem strammen Eidgenossen das Herz erwärmen. Und sie verteidigen ihre Schweiz gegen Neuankömmlinge, die sich anscheinend nicht so ernsthaft integrieren wollen, wie sie selber es getan haben. Dass diese Dynamik in eine gefährliche und dumme Richtung laufen muss, ist hoffentlich klar.

Suchen Sie sich Ihren Platz, liebe Olga. Suchen Sie sich Ihre Leute und Ihr Umfeld und versuchen Sie nicht, mit allen grün zu sein. Das kann kein Mensch mit Ecken und Kanten, egal ob einer weiss, blau oder schwarz ist. Seien Sie so, wie sie sind. Sie werden durch das Tragen von Klamotten mit Schweizerkreuz auch nicht bleicher, Sie wirken höchstens anbiedernd damit. Und das bringt nichts, das weiss ich aus eigener Erfahrung. Früher war ich zu Menschen, die mich arrogant behandelt haben, doppelt freundlich. Einer Mutter aus meinem Quartier, die mich bewusst nicht grüsst, habe ich 4 Jahre lang konsequent Hallo gesagt beim Vorbeigehen. Damit habe ich vor einer Weile schon aufgehört. Es müssen mich nicht alle Menschen gern haben und ich kann keinen, der mich nicht mag, mit nettem Benehmen dazu zwingen. Lassen Sie los, liebe Olga. Diese Energie können Sie für Besseres nutzen. Pflegen Sie die Freundschaften, die Ihnen gut tun, und ignorieren Sie alle Menschen, die es nicht tun. So mache ich es auch und es ist eine gute Art zu leben. Man wird damit nie Everybodys Darling, aber wenn man zügelt, steht eine Handvoll Menschen für einen bereit. Darauf kommt es an. Und auf nichts anderes.

Mit viel Liebe. Ihre Kafi

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Kafi Freitag (40!) beantwortet auf ihrem Blog Frag Frau Freitag Alltagsfragen ihrer Leserschaft. Daneben ist sie Mitbegründerin einer neuen Plattform für Frauen: Tribute.

Im analogen Leben führt sie eine Praxis für prozessorientiertes Coaching (Freitag Coaching) und fotografiert leidenschaftlich gern. Sie lebt mit ihrem 11-jährigen Sohn in Zürich.

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41 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Dominique Minnig
05.10.2016 16:21registriert August 2016
Als gar nicht svp anhängerin finde ich schweizer trachten sowie edelweisshemden aber auch schön! nicht nur svp ler sollten diese tragen dürfen sondern alle die lust haben. Wir müssen nicht zwingend zulassen, dass sich patriotismus gegen auslander stellt! Ich denke, dass man die schweiz lieben kann und es zugleich auch möglich ist, offenheit gegenüber anderen kulturen zu zeigen. Nur weil ein paar extreme meinen, das gehe nicht, bedeutet das noch lange nicht, dass es nicht möglich ist!
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Bruno Wüthrich
05.10.2016 19:40registriert August 2014
@ Olga -
es spielt keine Rolle ob ein Teil der Schweizer Sie nicht als Landsfrau sehen. Für viele, die rechtsaussen stehen, sind auch die Linken keine rechten Schweizer (was ja, wenn man es wörtlich nimmt, sogar stimmt).

Sie haben den Pass. Damit sind Sie Schweizerin! Ohne Wenn und Aber! Auch mit dunkler Hautfarbe! Egal, ob dies nun allen passt oder nicht. Aber es ist nicht die Tracht, oder das Shirt mit dem Schweizerkreuz, das Sie zur Schweizerin macht. Seien Sie offen für diejenigen, die Sie mögen und gut finden. Dann sind Sie in Ihrer Schweiz. Mehr haben auch die anderen Schweizer nicht.
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Bruno Wüthrich
05.10.2016 19:22registriert August 2014
Für Frau Freitag ist die Schweiz das Land, das keinen Krieg überstehen musste. Sie erklärt nicht, wie dies gemeint ist. Negativ? Positiv? Ob Deutschland beim Besserwissen «besser» ist als die Schweiz, ist m.E. offen. Und mit der Ermordung der Juden hat ein anderes Land zig mal mehr zu tun als die Schweiz.

Auch Sie, Frau Freitag, biedern sich an. Sie sitzen nicht im gleichen Boot wie Olga. Sie tun nur so, weil Sie sich in dieser Rolle gefallen.

Bei Frau Freitags Negativaufzählung wird die Schweiz jeweils als DAS Land bezeichnet. Sie ist aber jeweils EIN Land, weil es auch noch andere gibt.
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