Blogs
FragFrauFreitag

Seit ich 6 Jahre alt war, hat meine Mutter Krebs.

Der Verstand ist nicht immer die erste Adresse.
Der Verstand ist nicht immer die erste Adresse.kafi freitag
FragFrauFreitag

Seit ich 6 Jahre alt war, hat meine Mutter Krebs.

Ich habe stets alles mitbekommen – das Erbrechen, die Ohnmachten. Ich habe damals nichts verstanden, aber ein undefinierbares schlechtes Gewissen entwickelt, das mich stets plagt. Vor jeder OP, die sie heute noch hat, habe ich das Gefühl, zusammenzubrechen. Über die Jahre ist mir die Unbeschwertheit abhanden gekommen und mein Vertrauen in mich selber ist geschrumpft. Ich bin blockiert und weiss nicht weiter. Weisst du Rat? Sonja, 32
19.04.2017, 05:0519.04.2017, 06:11
Kafi Freitag
Folge mir
Mehr «Blogs»

Liebe Sonja

Wenn ich mir vorstelle, was Sie als Kind alles erlebt haben, tut mir das furchtbar leid. Es muss unglaublich schwierig für Sie gewesen sein, mit all diesen Ängsten und den bedrohlichen Umständen umzugehen. Schliesslich sind die Eltern das Wichtigste für ein Kind in diesem Alter und da ist eine kranke Mutter sehr schwer zu verkraften. Irgendwie wird man dadurch auch um die Unschuld der Kindheit beraubt, schliesslich ist alles Unbeschwerte auf einmal weg. Für immer. Darum haben Sie sie auch heute nicht in Ihrem Leben. Das ist nur logisch.

Was Sie mir beschreiben, klingt ganz stark nach einem Trauma. Sie haben in diesem sehr jungen Alter Dinge erlebt, die sie nicht richtig verstehen und einordnen konnten und die nun in Ihrem System stecken, als wäre es gerade gestern passiert. Wenn Sie nun heute in eine ähnliche Situation kommen, zum Beispiel, wenn Ihre Mutter wieder ins Krankenhaus muss, dann kommen all die Gefühle und Ängste von damals wieder hoch. Sie haben in so einem Fall wenig Chancen, mit dem Verstand daran arbeiten zu können. Das Erlebte und die Gefühle, die Sie heute haben, sind nicht rational. Darum kann man Ängste ganz oft nicht in einer Gesprächstherapie beikommen, da braucht es eher Arbeit auf der Körperebene.

In meiner Praxis arbeite ich an solchen Themen mit Wingwave. Das ist eine Technik, die sich in der Traumabewältigung sehr bewährt hat. Dabei werden die schnellen rechts-links Augenbewegungen der REM-Schlaf-Phase im Wachzustand simuliert und beide Hirnhälften zur Zusammenarbeit aufgefordert. Die eine Hirnhälfte ist eher analytisch und unter anderem für die zeitliche Orientierung zuständig und die andere für Musisches und Gefühle.

Ein Trauma zeichnet sich dadurch aus, dass etwas, was unter Umständen vor langer Zeit passiert ist, auch in der Gegenwart noch Reaktionen auslöst, als wäre es erst kürzlich passiert. Wenn man nun beide Hirnhälften dazu bringt, sich einem solchen Thema anzunehmen, dann kann ein Erlebnis aus der Vergangenheit wieder dort abgelegt werden, wo es zeitlich geschehen ist. Dadurch wird das Erlebte natürlich nicht gelöscht, es besteht weiterhin in vollem Umfang. Aber der Bezug und die Wahrnehmung dazu verändern sich. Genau so, wie ein nicht traumatisches Erlebnis in der Erinnerung bestehen bleibt, ohne dass es noch in die Gegenwart hinein wirkt.

Darum würde ich Ihnen zu einer Begleitung in diesem Rahmen raten. Sie können einen Coach suchen, der sich mit Wingwave gut auskennt oder aber einen Therapeuten/Psychologen, der mit EMDR arbeitet. Die Technik ist im Prinzip die Gleiche.

Ich hoffe sehr, dass es Ihnen gelingt, diese belastenden Gefühle besser zu meistern.

Und in diesem Sinne: Alles Liebe. Ihre Kafi.

FragFrauFreitag
AbonnierenAbonnieren

Kafi Freitag - Das Buch

Die 222 besten Fragen und Antworten in einem schön gestalteten und aufwendig hergestellten Geschenkband.

www.fragfraufreitag.ch
www.salisverlag.com

Fragen an Frau Freitag? ​
Hier stellen!

Kafi Freitag (41!) beantwortet auf ihrem Blog Frag Frau Freitag Alltagsfragen ihrer Leserschaft. Daneben ist sie Mitbegründerin einer neuen Plattform für Frauen: Tribute.

Im analogen Leben führt sie eine Praxis für prozessorientiertes Coaching (Freitag Coaching) und fotografiert leidenschaftlich gern. Sie lebt mit ihrem 12-jährigen Sohn in Zürich.

Haben Sie Artikel von FRAG FRAU FREITAG verpasst?
Sälber tschuld! Hier nachlesen!
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
4 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Silbermuschel
19.04.2017 07:01registriert Dezember 2015
Ich habe mit EMDR an einem Trauma gearbeitet und es hat Wunder gewirkt. Einen Versuch ist es auf jeden Fall Wert.
241
Melden
Zum Kommentar
4
Darf ich den Baum des Nachbars zurückschneiden?
«My home is my castle, my garden is my paradise». In den helvetischen Gärten Eden setzt das Nachbarrecht der Gestaltungsfreiheit jedoch die eine oder andere Grenze.

Während sich in Australien 3.4 Personen einen Quadratkilometer teilen, leben in der Schweiz etwa 212 Personen auf derselben Fläche. Das ist eng und bereits ein Ast, der vom nachbarlichen in den eigenen Garten ragt, kann zu viel des Guten sein. So dürfen denn die Kantone auch Vorschriften erlassen, wie nah an deinem Grundstück der Nachbar Büsche und Bäume pflanzen darf.

Zur Story