Blogs
FragFrauFreitag

Ich bin anders. Bin ich vielleicht transsexuell?

Die Leiden des jungen Werthers.
Die Leiden des jungen Werthers.Bild:kafi freitag
FragFrauFreitag

Ich habe mich vor Kurzem mit einer Transfrau unterhalten. Dabei ist mir aufgefallen, dass ihr Lebenslauf mit dem von mir zu fast 100% identisch ist. 

09.12.2015, 10:39

Das bezieht sich nicht auf die Schulbildung oder die Berufslehre oder sonstiges, sondern auf die Erlebnisse und Verhaltensmuster in der Kindheit wie auch die inneren Wünsche. Nun stellte sich mir die Frage, ob es möglich wäre, dass ich auch zur Transsexualität tendiere. Ich habe selber schon einige Verhaltensmuster festgestellt welche mich von anderen unterscheiden. Zudem fühle ich mich der männlichen Gesellschaft nicht zugehörig. Freundliche Grüsse. Marvin, 19

Kafi Freitag
Folge mir
Mehr «Blogs»

Lieber Marvin

Die Zeit der Pubertät und Jugend ist eine der Experimente und des Suchens. Da gehören solche Unsicherheiten dazu, das ist vollkommen normal. Wenn jeder, der sich in dieser Zeit nicht klar der männlichen Gesellschaft zugehörig fühlt, schlussendlich transsexuell wäre, dann wären heute vermutlich zwei Drittel aller Männer als Transsexuelle unterwegs. Und zwei Drittel der Frauen, die sich in der Pubertät mit den Rollen der Frau schwertun auch.

Androgynität gehört heute zum guten Geschmack, wie wenigstens eine homosexuelle Erfahrung in die eigene Biografie gehört.


Der Prozess der Ich-Findung war noch nie ein simpler, aber ich denke, er wird zusehends anspruchsvoller. Je länger je mehr vermischen sich Rollenbilder und das heteronormative Weltbild weicht sich immer mehr auf. Wo man sich früher blindlings in zugewiesene soziale Geschlechterrollen fügte, will man sich heute nicht mehr solchen Bildern unterwerfen, sondern auch mal querbeet durch die Geschlechtsmerkmale wälzen. Männliche Models werden heute als Frauen gebucht, Frauen mit männlichen Gesichtszügen als Männer in der Werbung eingesetzt. Androgynität gehört heute zum guten Geschmack, wie wenigstens eine homosexuelle Erfahrung in die eigene Biografie gehört.

Als junger Mensch in Ihrem Alter ist man neugierig auf alles, was anders daherkommt als alles Gewöhnliche, was man sonst so kennt. Man will alles ausprobieren und herausfinden, was zu einem selber passt. Das ist richtig so und gehört zum Erwachsen werden dazu. Sich von einem Lebenslauf, der dem eigenen sehr ähnlich sieht in eine bestimmte Richtung lenken zu lassen, wäre aber falsch. Der Mensch ist nun mal darauf programmiert, Ähnlichkeiten und angeblich Bekanntes zu erkennen, selbst da wo eigentlich nichts Bekanntes ist. Dieser Tatsache liegt die Fähigkeit zugrunde, in Wolkenformationen oder Holzmaserungen Gesichter zu sehen, wo in Tat und Wahrheit keine sind.

Springen Sie nicht vorschnell in eine offene Schublade, lieber Marvin. Lassen Sie sich Zeit und spüren Sie einfach mal nach, was sich für Sierichtig anfühlt und was nicht. Es gibt mindestens 50 Schattierungen von Grau zwischen Schwarz und Weiss. Welche nun Ihre Persönliche ist, werden Sie mit den Jahren herausfinden. Bis dahin sollten Sie sich nicht mit der Etikettierung Ihres Seins beschäftigen.

Mit herzlichem Gruss. Ihre Kafi.

FragFrauFreitag
AbonnierenAbonnieren
Fragen an Frau Freitag? ​ 
Hier stellen! 


Kafi Freitag (40!) beantwortet auf ihrem Blog Frag Frau Freitag Alltagsfragen ihrer Leserschaft. Daneben ist sie Mitbegründerin einer neuen Plattform für Frauen: Tribute.



Im analogen Leben führt sie eine Praxis für prozessorientiertes Coaching (Freitag Coaching) und fotografiert leidenschaftlich gern. Sie lebt mit ihrem 11-jährigen Sohn in Zürich.



Haben Sie Artikel von FRAG FRAU FREITAG verpasst?

Sälber tschuld! Hier nachlesen!
Bild
Bild: Kafi Freitag
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
3 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Anam.Cara
09.12.2015 12:42registriert November 2015
"... mindestens 50 Schattierungen von Grau zwischen Schwarz und Weiss"...?
Danke für das Grinsen, das mir diese Formulierung beschert hat ;)
331
Melden
Zum Kommentar
3
Der Ort, an dem die Frauen baggern
Ich war für ein Wochenende in Davos und habe eine kleine Analyse und eine Nummer für euch mitgebracht.

Wer in Zürich jemanden kennenlernen will, so im echten Leben, in einer Bar oder einem Club, ich rede hier nicht von den ganz verrückten Dingen, die nur in Filmen passieren, wo sich Leute am helllichten Tag auf dem Trottoir kreuzen und so verzaubert sind, dass sie umdrehen und einander auf der Stelle ehelichen, nein, ich rede hier vom billigbanalen, promillebedingten Ansprechen an Orten, wo man sich kaum sieht und hört, davon rede ich, und auch das passiert in Zürich nie. Mir nicht, meinen Freundinnen und Freunden nicht und dir ganz bestimmt auch nicht. Ausser vielleicht, du siehst aus wie Jennifer Lawrence. Aber wer sieht schon aus wie Jennifer Lawrence? Eben.

Zur Story