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Per Autostopp um die Welt

Von Kosice nach Kiew: Auf dem Dreiachser erlebe ich meine beste Fahrt, und ein ukrainischer Oberst nimmt mich mit in eine russische Festung

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Per Autostopp um die Welt – Etappe 4
Košice: In der Altstadt der ostslowakischen Stadt lässt es sich gemütlich verweilen. Die Stadt sieht sich als östlicher Gegenpol zu Bratislava.
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Per Autostopp um die Welt

Von Kosice nach Kiew: Auf dem Dreiachser erlebe ich meine beste Fahrt, und ein ukrainischer Oberst nimmt mich mit in eine russische Festung

27.06.2015, 07:2116.07.2015, 17:22
Thomas Schlittler
Thomas Schlittler
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Wenn Zeitungen über den Kriegsverlauf in der Ukraine berichteten, habe ich in den letzten Monaten meist weitergeblättert. Mein Interesse für einen Krieg nimmt schnell ab, wenn er über 2000 Kilometer entfernt stattfindet, in einem Land, das ich nicht kenne. Doch plötzlich bin ich da. Und die Ukraine, fast 15-mal so gross wie die Schweiz, nimmt Gestalt an. 

Im Restaurant muss ich gackern, um ein Poulet-Gericht zu bekommen, weil ich aus den kyrillischen Buchstaben auf der Speisekarte nicht schlau werde und niemand Englisch spricht.

Auf den Strassen fahren teilweise noch Autos aus der Sowjetzeit, sie schlängeln sich zwischen den zahllosen Schlaglöchern hindurch. In jedem noch so kleinen Bergdorf glänzt eine goldene Kirchkuppel prächtig in der Sonne, was die anderen Häuser umso ärmlicher aussehen lässt. 

Gackern für ein Poulet

Im Restaurant muss ich gackern, um ein Poulet-Gericht zu bekommen, weil ich aus den kyrillischen Buchstaben auf der Speisekarte nicht schlau werde und niemand Englisch spricht.

Und was ist mit dem Krieg?

Als Tourist in der Westukraine spüre ich davon kaum etwas: Die starke Erhöhung der Lebensmittelpreise trifft mich nicht, die Armeewerbespots im Fernsehen verstehe ich nicht und das Putin-Klopapier auf dem Markt – na ja, ich find's lustig. 

Und so sahen meine Fahrer aus. Danke fürs Mitnehmen!
Und so sahen meine Fahrer aus. Danke fürs Mitnehmen!Bild: Thomas schlittler

Ich sitze bei einem ukrainischen Offizier im Auto

Greifbar wird der Krieg für mich erst, als ich bei Jaroslaw ins Auto steige und nach seinem Beruf frage. «Ich arbeite bei der Armee», sagt der rund 50-Jährige in holprigem Englisch. Ich werde hellwach. Sitze ich hier wirklich bei einem Angehörigen der ukrainischen Armee im Auto? Jener Armee, die seit Monaten im Fokus der Weltöffentlichkeit steht?

Ich bin skeptisch. Doch Jaroslaw wirkt glaubwürdig und erzählt aus einem Guss: Er sei Colonel, also Oberst, bei der Raketenartillerie. Heute habe er Urlaub und besuche seine Frau und seine zwei Töchter. Deshalb sei er zivil unterwegs. 

«So viele Feinde töten wie möglich»

Ich stelle die Frage, die mir auf der Zunge brennt: «Warst du auch im Krieg in der Ostukraine?» Jaroslaw nickt. Zwischen Dezember und März sei er mit seiner Einheit drei Monate dort gewesen. «Unser Auftrag war es, so viele Feinde wie möglich zu töten.»

Er sagt das völlig ruhig und emotionslos, als sei es die normalste Sache der Welt. Eine detailliertere Beschreibung seines Auftrags kann er aufgrund mangelnder Englischkenntnisse nicht geben. Aber eigentlich reicht seine Aussage – worum sollte es in einem Krieg sonst gehen? 

«Die russischen Besatzer haben die Festung gebaut», sagt Jaroslaw mit bedeutsamer Stimme. Ganz so, als ob er mir klarmachen will: «Siehst du, deshalb kämpfen wir in der Ostukraine!»

Auf einmal verlässt Jaroslaw die Autobahn und biegt auf eine Landstrasse ab. Er will mir eine alte Festung zeigen. Mit grossen Schritten, die Arme schwingend wie bei einer Militärparade, führt mich der 1,90-Meter-Hüne durch den Wald zu einer verborgenen Ruine. 

Es ist die Festung Tarakanovskiy, die der russische Zar Alexander III 1890 errichten liess. «Die russischen Besatzer haben sie gebaut», sagt Jaroslaw mit bedeutsamer Stimme. Ganz so, als ob er mir klarmachen will: «Siehst du, deshalb kämpfen wir in der Ostukraine!»

Per Autostopp um die Welt – Etappe 4: Meine Fahrer

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Per Autostopp um die Welt – Etappe 4
Von Košice nach Hriadky: Mit Miro hatte ich eines der besten Gespräche überhaupt. Der zweifache Vater spricht sehr gut Englisch und arbeitet für IBM.
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Wegen dieser Schweizer Strassen dreht Instagram in diesen Tagen (zu Recht) durch
Die Kirschblüte in Japan ist weltweit bekannt. Aber nein, du musst nicht ins Flugzeug steigen, um dies selbst zu erleben. Das geht nämlich auch in der Schweiz. Allerdings nur während weniger Tage. Und in diesem Jahr ist der Zauber an einigen Hotspots auch schon wieder vorbei. An anderen fängt es erst an.

Der Frühling hat mit grossen Schritten Einzug gehalten. Überall blühen schon die Kirschbäume und Magnolien. Damit du die Blütenpracht erleben kannst, musst du aber weder ins ferne Japan noch irgendwo weit aufs Land hinaus. Wir reden hier auch nicht vom wunderschönen Thurgau während der Bluescht oder den betörenden Chriesiwanderungen im Baselland. Nein, in der Schweiz kannst du mitten in verschiedenen Städten den Blütenzauber bewundern.

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