Dauthon wurde schon drei Mal ausgeraubt, als er mit seinem Lastwagen an einer Tankstelle übernachtete – und das allein in diesem Jahr! Er wurde auch schon mal von einem Tramper beklaut, den er mitgenommen hatte. Und trotzdem hält der 35-jährige Afrobrasilianer ohne zu zögern an, als er meine Freundin Lea und mich am schlammverdreckten Strassenrand im Regen stehen sieht.
Wir verstehen nicht alles, was Dauthon auf Portugiesisch sagt. Und Dauthon versteht nicht alles, was wir auf Spanisch sagen. Aber wir verstehen uns trotzdem prächtig. Nach einer halben Stunde mit uns im LKW fährt Dauthon deshalb rechts ran, holt eine Strassenkarte hervor und zeigt auf eine Ortschaft namens Milagres: «Bis hierhin könnt ihr mit mir mitfahren. Dann müsst ihr links abbiegen. Für mich geht es weiter Richtung Norden.»
Milagres ist über 600 Kilometer entfernt. Als wir rund zwei Drittel der Strecke geschafft haben, wird es dunkel und Dauthon sagt: «Es tut mir leid, aber wir schaffen es heute nicht mehr nach Milagres. Ich bin müde und werde hier übernachten. Wenn ihr wollt, könnt ihr aber morgen früh mit mir weiterfahren.»
Natürlich wollen wir. Beim gemeinsamen Feierabendbierchen sagen wir Dauthon, dass wir es toll finden, dass er genügend Fahrpausen einlegt: «Das ist nicht selbstverständlich. Wir haben in Lateinamerika schon zahlreiche Lastwagenfahrer kennengelernt, die nächtelang durchfahren und völlig übermüdet am Steuer sitzen.»
Dauthon weiss, dass viele seiner Berufskollegen nicht so seriös sind wie er: «Übermüdet fahren ist nicht alles. Einige trinken auch Alkohol am Steuer oder nehmen Kokain, um wach zu bleiben.» Für ihn kommt das nicht infrage: «Wenn mir meine Firma zu viel Zeitdruck machen würde, würde ich sofort kündigen.»
Seine strikte Haltung ist die Folge eines traurigen Erlebnisses, das ihn sein ganzes Leben lang prägen wird: «Ich habe bei einem Unfall meine Tochter verloren. Sie sass bei mir in der Fahrerkabine, als wir mit einem anderen Lastwagen zusammenprallten. Der Fahrer des anderen Lastwagens war angetrunken.»
Der tragische Unfall ereignete sich vor über 10 Jahren. Dauthon war damals Anfang zwanzig, seine Tochter gerade mal vier. Auch wenn Dauthon unschuldig war, stürzte ihn der Schicksalsschlag in ein tiefes emotionales Loch: «Ich konnte meiner Frau nicht mehr in die Augen schauen, weil ich mir Vorwürfe machte. Und ich war so wütend auf den anderen Lastwagenfahrer, dass ich ihn und seine ganze Familie umbringen wollte.»
Drei, vier Jahre lang hat Dauthon solche Gedanken. Er flüchtet in Alkohol und Kokain. Sein seelisches Tief überwindet er erst mithilfe der Religion. «Durch den Glauben zu Gott habe ich meinen inneren Frieden wieder gefunden», erzählt er.
Dauthons Frau hat die schwierige Zeit mit ihm durchgestanden. Mittlerweile haben sie mehr als die Hälfte ihres Lebens gemeinsam verbracht. Auf Dauthons Oberarm ist ihr Name tätowiert. Auch seine verlorene Tochter hat er hier verewigt, genauso wie seine zwei älteren Söhne. Einer fehlt noch: «Der Name meines jüngsten Sohnes kommt irgendwann noch auf den linken Oberarm. Er ist erst ein Jahr alt», sagt er lachend.
Der Mann hat seine Lebenskrise überwunden. Und er ist nicht der Erste, der mir erzählt, dass ihm die Religion dabei geholfen habe. Ich habe auf meiner Reise mehrere Menschen getroffen, die durch den Glauben zu Gott zurück ins Leben gefunden haben. Und diese Begegnungen sind nicht spurlos an mir vorbeigegangen.
Früher habe ich manchmal versucht, Leute davon zu überzeugen, dass Religion etwas Irrationales, Unsinniges sei. Heute mache ich das nicht mehr. Ich selbst bin zwar nach wie vor nicht religiös, aber ich habe verstanden, dass der Glaube vielen Menschen hilft, mit Schicksalsschlägen zurechtzukommen. Das respektiere ich.
Dauthon ist davon überzeugt, dass er seine Tochter im Himmel wiedersehen wird. Diese Überzeugung hilft ihm, sein Leben zu leben. Ich bin deshalb froh, dass Dauthon an Gott glaubt.
Ich habe mit den Religionen dieser Welt meinen Frieden geschlossen. Menschen wie Dauthon sei Dank.