Meine Freundin Lea und ich haben diese Woche fünf Tage im ecuadorianischen Amazonas-Regenwald verbracht, genauer gesagt im Naturreservat Cuyabeno. Die Vielfalt an Pflanzen und Tieren liess mein Hobby-Fotografen-Herz höher schlagen: Ich bekam Affen, Faultiere, Schlangen, Spinnen, Süsswasserdelfine sowie Insekten und Vögel in allen Farben und Grössen vor die Linse.
Ganz unbeschwert konnte ich den Aufenthalt im Amazonas aber nicht geniessen. Denn wenn ich am Nachmittag in unserer kleinen Dschungel-Lodge in der Hängematte lag, wurden die beruhigenden Geräusche des Regenwalds alle paar Minuten von laut knatternden Bootsmotoren übertönt.
Am Abend erreichte der Schiffsverkehr auf dem Cuyabeno-River seinen Höhepunkt. Dann wurden die Touristen zu einer Lagune chauffiert, um bei einem Bad den Sonnenuntergang zu beobachten. Auf einigen Booten wurde dazu Musik aufgedreht.
Man muss kein Zoologe sein, um zu erkennen, dass die Tiere des Amazonas keine Freude haben an den lauten, zweibeinigen Gästen. Als wir an einem Tag mit einem kleinen, motorfreien Kanu durch den Regenwald paddelten, suchten viele Vögel sofort das Weite, sobald sich ein anderes Boot mit dröhnendem Motor näherte. Dass einige Besucher beim Wildlife-Watching auch noch ein Bier in der Hand hatten, war den Tieren wahrscheinlich egal. Ich empfand es aber als Gipfel der Respektlosigkeit gegenüber dem Amazonas und seinen Bewohnern.
Apropos Amazonas-Bewohner: Nicht nur das Leben der Tiere hat sich durch die Touristenmassen verändert. Auch an den indigenen Völkern, die das Gebiet um den Cuyabeno-Fluss seit Jahrhunderten bewohnen, ist der Boom des sogenannten Ökotourismus nicht spurlos vorbeigegangen. Bis in die 80er-Jahre haben die Indigenas hier noch von Fischerei, Landwirtschaft und der Jagd gelebt. Jetzt verdienen sie ihr Geld mit den Gästen aus aller Welt.
Ob das ihre eigene Wahl ist, kann ich nicht beurteilen. Auf jeden Fall wirken die meisten nicht besonders glücklich. Unser Guide Darwin war zwar ausgesprochen nett und engagiert, professionell eben. Wenn ich aber anderen Indigenas, die mit ihren Booten bei unserer Lodge Halt machten, ein freundliches «Hola, ¿cómo estás?» («Hallo, wie geht’s?») entgegenrief, wartete ich jeweils vergeblich auf eine Antwort.
Lea und ich wurden dadurch in unserem Entscheid bestärkt, auf den Besuch einer Indigena-Gemeinde zu verzichten. Normalerweise ist ein Tag des Dschungel-Abenteuers nämlich für Brotbacken mit Frauen des Siona-Stammes und einem Treffen mit dem Dorf-Schamanen reserviert – natürlich gegen Bezahlung.
Diese Besuche sollen dazu beitragen, mehr über die Kultur der Indigenas zu erfahren. Ich bezweifle aber, dass das der richtige Weg ist. Im Gegenteil: Die Touristenaufläufe tragen eher dazu bei, dass die indigenen Kulturen in ihrer ursprünglichen Form noch schneller verschwinden.
Es stellt sich deshalb die Frage: Müssen Amazonas-Besucher ein schlechtes Gewissen haben? Für mich ist die Antwort klar: Ja. Man kann es drehen und wenden, wie man will, doch am Ende dient ein Amazonas-Besuch nur der Unterhaltung der Touristen. Es geht einzig und alleine um die Befriedigung des eigenen Egos.
Wem die einzigartige Pflanzen- und Tierwelt des Amazonas am Herzen liegt, der muss sie nicht mit eigenen Augen sehen, sondern sollte eine Organisation unterstützen, die sich für deren Erhaltung einsetzt. Und wer will, dass die Kultur der Amazonas-Bewohner Bestand hat, der lässt die Indigenas am besten unter sich.
Für all jene, die trotzdem ohne schlechtes Gewissen in den Amazonas reisen wollen, gibt es nur eine Option: All diese Fragen einfach ausblenden. Oder aber man zeigt mit dem Finger auf die zahlreichen Ölfirmen, die im Amazonas nach dem schwarzen Gold bohren und den einzigartigen Lebensraum noch viel schneller zerstören als die Touristenmassen. Dann sollte man es aber vermeiden, darüber nachzudenken, wie das Motorboot angetrieben wird, mit dem man durch den Regenwald kurvt ...
PS: Ja, ich weiss, dieser Text ist sehr scheinheilig für jemanden, der gerade fünf Tage im Amazonas verbracht hat. Ich bin nicht stolz darauf, aber auch ich bin eben nur ein egoistischer Tourist mit einer Kamera in der Hand und dem Wunsch, exotische Tiere in ihrer natürlichen Umgebung zu beobachten.