Das Kerngeschäft der Religionen und spirituellen Bewegungen sind Lebensinhalt, Sinnfragen und transzendentale Phänomene. Glaubensgemeinschaften leben von der Sehnsucht der Menschen, dass das Leben nicht sinnlos sein möge und nach dem Tod eine Fortsetzung finde – in welcher Form auch immer.
Man kann also die Aussage wagen: Am Anfang war nicht das Wort, sondern die Angst. Die Angst vor dem Leiden, die Angst vor der Zukunft. Oder vor der narzisstischen Kränkung, dass nach einem Unfall oder einer Krankheit mit einem Schlag alles vorbei ist, es uns dann nicht mehr gibt und wir rasch in Vergessenheit geraten.
Diese Vorstellung schmerzt. Die Bibel spricht vom Jammertal. Religionen und Glaubensgemeinschaften bieten in dieser ausweglosen Situationen Trost. Ausnahmslos alle. Dies ist ihr zweites Kerngeschäft.
Dieser Trost ist eng verknüpft mit dem Versprechen auf eine (vermeintliche) Lösung. Keine Angst, lieber Erdenbürger, verkündigen sie, auf das Jammertal folgt das Paradies. Du musst nur glauben, beten, hoffen und dich nicht versündigen – und alles wird gut.
Zwar nicht mehr in diesem Leben, sondern nach dem Tod. Die Christen glauben es, die Juden, Muslime, Buddhisten, Hindus – wenn auch in einer speziellen Form –, die Esoteriker und alle Sekten sowieso. Das Versprechen und die Hoffnung auf ein (besseres) Leben nach dem Tod gehört zum Businessplan der Glaubensgemeinschaften.
Die Gläubigen klammern sich daran, doch ihre Überzeugung scheint nicht wirklich gross zu sein, wie sich auch ihr Verhalten im Jammertal zeigt.
Konkret: Eigentlich müssten wir eine unbändige Sehnsucht nach dem Jenseits und dem Paradies haben. Endlich keine Existenznöte mehr, keine Schmerzen, kein Leid. Also raus aus dem Jammertal, nichts wie hin ins Jenseits und ab ins Paradies. Was sind da schon ein paar zusätzliche Jahre im Diesseits, wenn eine glanzvolle Ewigkeit im Jenseits wartet?
Die Wirklichkeit sieht anders aus. Wir klammern uns mit aller Macht ans diesseitige Leben. Wir haben Angst vor Krankheiten, nehmen bei Krebs unglaubliche Strapazen in Kauf in der Hoffnung, noch ein paar zusätzliche Lebensjahre zu gewinnen. Und bei Unfällen mobilisieren wir übermenschliche Kräfte, um nicht schon ins Paradies abdampfen zu müssen.
Es macht ganz den Eindruck, als würden wir den Religionen misstrauen. Als würden wir bezweifeln, dass es ein Leben nach dem Tod oder das Paradies gibt. Da vertrauen wir doch lieber auf das, was wir auf sicher haben, nämlich dieses oft mühsame diesseitige Leben. Ganz nach dem Motto: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.
Dies ist eigentlich eine Bankrotterklärung für alle Religionen mit ihrem liebenden Gott, der uns (angeblich) nach dem Tod im Himmel empfängt.