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CVP-Chef Gerhard Pfister und die Schweiz als Gottesstaat

Bern, 3.3.2016, Parlament, Session, Nationalrat Gerhard Pfister, CVP-ZG. (Monika Flueckiger/EQ Images) (KEYSTONE/EQ IMAGES/Monika Flueckiger)
Gerhard Pfister im Saal des Nationalrates.Bild: keystone
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Driftet die Schweiz wirklich in Richtung eines Gottesstaates ab, Herr Pfister?

Der Präsident der CVP will mit einem Thinktank den Geistlichen einen Maulkorb umhängen. Sie sollen sich nicht mehr zu politischen Fragen äussern.
14.01.2019, 06:13
Hugo Stamm
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Die beiden grossen Landeskirchen stecken seit Jahren in einem Formtief. Die aktiven Gläubigen sind mehrheitlich im Seniorenalter, die jungen «Passivmitglieder».

Obwohl die beiden Kirchen alles versuchen, um die Indifferenten in die Kirche zu locken und den Exodus zu stoppen, ist der Erfolg bescheiden. Kurz: Der Einfluss der beiden Kirchen sinkt weiter. Und nun fällt ausgerechnet Gerhard Pfister, seines Zeichens Präsident der Christlichen Volkspartei CVP, den ohnehin gebeutelten Kirchen und manchen Geistlichen in den Rücken.

Porträt über Gerhard Pfister des Schweizer Fernsehens, bei dem es auch um religiöse Fragen geht.Video: YouTube/SRF DOK

Man reibt sich als Beobachter verwundert die Augen und fragt sich, was um Himmels Willen in den guten Gerhard Pfister gefahren ist, dass er die Kirchen im Wahlkampfjahr an die Kandare nehmen will. Ist es politisches Kalkül? Oder doch eher Panik?

Doch schön der Reihe nach: Pfister ärgert sich seit langem, dass sich die Kirchen in politische Diskussionen und Abstimmungskämpfe einmischen. Er hat zusammen mit Gesinnungsgenossen einen Thinktank gegründet, um Kirchenvertretern einen politischen Maulkorb zu verpassen.

Bitte keine politischen Statements und Abstimmungsparolen

Dieser «Tank» formuliert es natürlich geschmeidiger – wie es Politiker zu tun pflegen. Sie wollen die Kirchen ermuntern, sich auf ihr Werte-Reservoir und ethisches Basiswissen zu besinnen, wie der «Tages-Anzeiger» schrieb. Und eben nicht politische Statements und Abstimmungsparolen verkünden.

Der Thinktank ist mit hochkarätigen Mitgliedern bestückt. Neben Pfister wollen drei weitere Nationalräte aus verschiedenen Parteien sowie mehrere hochdekorierte Theologen mitdiskutieren.

Der Praesident der CVP Schweiz, Gerhard Pfister anlaesslich der CVP Delegiertenversammlung vom Samstag, 20. Oktober 2018 in der Messe Luzern. (KEYSTONE/Urs Flueeler).
Pfister braucht für seine trudelnde CVP viel Aufmerksamkeit für den Wahlkampf.Bild: KEYSTONE

Hellhörig macht die Kampfrhetorik von Gerhard Pfister. Er spricht im «Tages-Anzeiger» von einem tiefen Rückfall ins Mittelalter. Es sei illegitim, mit biblischen Normen politisch zu argumentieren und aus dem Evangelium tagespolitische Empfehlungen abzuleiten.

Wie bitte, Herr Pfister? Ist für Sie als Präsident einer christlichen Partei nicht Gottes Wort, nämlich die Bibel, die ethische Richtschnur? Sind Ihnen christliche Werte suspekt? Wollen Sie sie aus dem politischen Alltag verbannen? Wollen Sie den Geistlichen das Bürgerrecht verwehren, sich zu politischen Fragen öffentlich zu äussern?

«Wenn wir Religion und Politik nicht trennen, nähern wir uns dem Gottesstaat.»
Gerhard Pfister zum Thema Thinktank

Doch nicht genug. Pfister holt den verbalen Zweihänder hervor. Wörtlich: «Wenn wir Religion und Politik nicht trennen, nähern wir uns dem Gottesstaat.»

Hoppla. Die Schweiz auf dem Weg zum Gottesstaat? Wie gross muss die Panik des Präsidenten einer Partei sein, die noch stärker trudelt als die Kirchen, dass er sich zu einer solchen Aussage hinreissen lässt?

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Ich lade Sie gern zu einer Nachhilfestunde ein, Herr Pfister. Doch vorgängig empfehlen wir Ihnen einen längeren Aufenthalt in Afghanistan, Saudi Arabien oder im Iran. Danach befassen wir uns mit der Definition eines Gottesstaates.

Ein Gottesstaat ist eine religiöse Diktatur

Ein Gottesstaat ist eine Theokratie. Diese zeichnet sich durch eine Herrschaftsform aus, bei der staatliche Normen und Gesetze auf der religiösen Grundlage basieren. So stützt sich zum Beispiel das Rechtssystem in islamischen Gottesstaaten auf die Sharia. Und wichtige politische Ämter werden von Geistlichen besetzt. Ajatollah Chomeini ist beispielsweise der politische und religiöse Führer Irans, der angeblich von Gott erwählt ist. Gottesstaaten sind oft eine religiöse Diktatur.

Die Schweiz auf dem Weg zum Gottesstaat, weil sich ein paar Geistliche gelegentlich zu politischen Fragen äussern? Meinen Sie das im Ernst, Herr Pfister?

In Wirklichkeit säkularisiert sich die Schweiz laufend weiter. Könnte es etwa sein, Herr Pfister, dass Sie Angst haben vor den Geistlichen, weil diese Sie an die christliche Ethik und Moral, an Nächstenliebe und Barmherzigkeit erinnern? Zum Beispiel, wenn Sie in der Asylpolitik Richtung SVP steuern, wenn Sie in sozialen Fragen rechtsbürgerliche Positionen vertreten, wenn Sie immer wirtschaftsfreundlicher werden und sich nicht für die Schwachen einsetzen, wenn Sie für die Lockerung der Waffenausfuhrbestimmungen sind?

Da ist es natürlich verständlich, dass Ihnen mahnende Stimmen aus dem religiösen Lager ungelegen kommen. 

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Hugo Stamm; Religionsblogger
Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
Mit seinem Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei.

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253 Kommentare
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Lienat
12.01.2019 09:45registriert November 2017
Wenn wir schon über Säkularisierung sprechen: Es Wäre langsam an der Zeit, dass wir den ERSTEN Satz aus unserer Bundesverfassung streichen. Der da lautet:

"Im Namen Gottes des Allmächtigen!"
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Michael Bamberger
12.01.2019 09:00registriert Februar 2016
Veränderung der Religionslandschaft Schweiz über 46 Jahre (Quelle: Bundesamt für Statistik)

1970
49.4% katholisch
46.4% reformiert
3.1% andere
1.1% konfessionslos

2016
37.2% katholisch
25.3% konfessionslos
25.0% reformiert
5.1% muslimisch
7.4% andere
1769
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Linus Luchs
12.01.2019 11:48registriert Juli 2014
Pfister plädierte 2016 dafür, christliche Flüchtlinge bevorzugt aufzunehmen. Damals sprach er sich auch für einen christlichen Religionsunterricht als Pflichtfach aus, an dem auch muslimische, jüdische oder buddhistische Schülerinnen und Schüler teilnehmen müssten. Und heute inszeniert er sich als Kämpfer für die Trennung von Kirche und Staat. Dies zeigt vor allem eines: Gerhard Pfister ist die Sorte Politiker, welche die Politik derart in Verruf gebracht hat. Immer schön den Finger in den Wind halten und die Position einnehmen, die der eigenen Karriere vermeintlich am besten dient.
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