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Die Frage nach dem Sinn des Lebens irritiert uns und führt zu Gott

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Die Frage nach dem Sinn des Lebens irritiert – doch vielleicht kann uns der Wurm helfen

Religionen erklären uns die Welt des Übersinnlichen und entwickeln Heilslehren. Die Frage nach dem höheren Sinn und nach Gott bleiben aber offen.
27.03.2021, 08:43
Hugo Stamm
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«Ergibt das Leben Sinn?» Diese Frage geht den meisten viel durch den Kopf. Oft gar mehrmals am Tag. Wenn man einem Ausserirdischen erklären müsste, was uns Menschen ausmacht, könnte man ihm getrost antworten, dass uns das Fragen nach dem Sinn auszeichnet.

Die permanente Suche nach dem Sinn unterscheidet uns von den übrigen Lebewesen auf unserem Planeten. Tiere treibt sie wohl kaum um. Ein Wurm pflügt sich ein Leben lang durch das Erdreich. Er sieht meist kein Licht und hat selten eine Abwechslung. Man kann davon ausgehen, dass er sich trotzdem nie langweilt.

Ein Kind und ein Wurm.
Führt der Wurm zum Wissen?Bild: shutterstock.com

Die Frage nach dem Sinn seines aus unserer Sicht monotonen Tuns dürfte er sich kaum stellen. Deshalb ist er sich wohl nicht bewusst, welche wichtige Funktion er im Kreislauf der Natur erfüllt. Er tut, was er am besten kann.

Ähnlich dürfte es sich auch bei den Säugetieren verhalten, die ein grösseres Hirn besitzen. Ein Wildpferd zum Beispiel sucht Gras und Wasser, frisst, säuft und ist zufrieden, wenn der Magen gefüllt ist. Langweilig wird es ihm vermutlich ebenfalls nicht. Sein Lebensinhalt: sein und sich vermehren.

Der Kontrast zu uns unsteten, rastlosen Menschen ist augenfällig. Es hat viel damit zu tun, dass unser Hirn kognitive Höchstleistungen zu vollbringen vermag und wir fähig zur Selbstreflexion sind. Wir können darüber philosophieren, wer wir sind, was wir wollen, und worin der Sinn unseres Daseins liegt. Das ist eine beträchtliche Errungenschaft. Doch macht sie uns wirklich glücklich?

Vielleicht müssen wir Menschen schlicht unsere Funktion als Teil der Natur erfüllen. Wie der Wurm.

Die Suche nach dem Sinn führt zu einem komplexen Bewusstsein und ist tief in uns angelegt. Dies lässt sich bei Kleinkindern beobachten. Wenn sich ihre Hirnareale und -regionen allmählich verknüpfen, beginnen sie, Fragen zu stellen. Mit ihren stereotypen Reaktionen «Warum?» können sie die Eltern zur Weissglut treiben. Sie wollen die Zusammenhänge erkunden, was früher oder später zur Sinnfrage führt.

Womit wir bei der Religion angelangt sind. Als sich bei unseren Urahnen die kognitiven Fähigkeiten entwickelten, ging es ihnen ähnlich. Die Frage nach dem Sinn war ein Meilenstein in der geistigen Entwicklung.

Die Antworten fielen dem Homo Sapiens der Urzeit schwer. Er musste sich mit Annahmen und Spekulationen zufriedengeben. In diesem Dilemma griff er unter anderem auf den Glauben an übernatürliche Kräfte zurück. Alle unerklärlichen Phänomene wurden ihnen zugeschrieben.

Die Religionsführer waren die ersten Welterklärer

Unter anderem deswegen entstanden der Glaube ans Übersinnliche und daraus schliesslich Glaubensgemeinschaften. Die Führer dieser Bewegungen entwickelten sich zu Welterklärern. Sie waren quasi die ersten Wissenschafter. Ihre Erklärungsmuster hatten denn auch oft religiöse Inhalte.

Die Frage nach dem Sinn des Lebens:

Weltweit entstanden im Lauf der Jahrtausende Religionsgemeinschaften, und praktisch die gesamte Menschheit wurde religiös. Eine beispiellose Erfolgsgeschichte, die vielen Menschen aber nicht gut bekam: Der Machtmissbrauch war immens und führte zu viel Leid.

Die Weltbilder der Religionsgründer wurden später von den Naturwissenschaftlern korrigiert oder widerlegt. Religionen wurden auf Glaubenselemente zurückgestuft. Ihr Trumpf blieb, dass sie die Deutungshoheit bezüglich Gott und Metaphysik retten konnten. Trotzdem erlangten die Wissenschaften immer mehr Bedeutung.

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Die Religionen bewegen sich auf der Ebene der Mutmassungen

Religionen retteten sich mit dem Anspruch, die Fragen nach dem höheren Sinn für uns Menschen beantworten zu können. Da sie aber weder die Existenz Gottes noch ein Leben nach dem Tod nachweisen können, bewegen sie sich immer noch auf der Ebene von Mutmassungen oder Spekulationen.

Um die Frage nach dem Sinn des Lebens aus der Warte des kritischen Beobachters zu beantworten, müssen wir zurück zu unserem Wurm: Vielleicht ist die plausibelste Antwort ganz einfach. Vielleicht müssen wir Menschen schlicht unsere Funktion als Teil der Natur erfüllen. Wie der Wurm. Vielleicht ist einfach das Leben an sich der Sinn. Vielleicht gibt es keinen übersinnlichen Sinn.

Vielleicht wehren wir uns reflexartig gegen solche Gedanken, weil es für viele Menschen eine narzisstische Kränkung wäre, «nur» ein Teil der Natur zu sein, wie alle anderen Lebewesen.

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Hugo Stamm; Religionsblogger
Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
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294 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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bbelser
27.03.2021 09:52registriert Oktober 2014
Zurück zum Wurm?

Ja, wenn es bedeutet, intelligent unseren Platz in den regenerativen Kreisläufen des begrenzten Planeten zu finden.

Nein, wenn es feigen Rückzug aus der Verantwortung für das Zerstörungs-Schlamassel eines nicht nachhaltigen "naturwissenschaftlichen" Wirtschaftens bedeutet.

250 Jahre industrielle Revolution & Siegeszug der Naturwissenschaften haben einen Teil(!) der menschlichen Spezies von grundlegenden Daseins-Sorgen befreit.

Aber zu welchen Kosten?

Und: legen wir einen vernünftigen Massstab fürs Existenzminimum an, dann leben heute 4 Mia. Menschen in Armut.
Vorbildlich?
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Menel
27.03.2021 09:12registriert Februar 2015
Ich sehe das Leben als "sinnfrei" (nicht zu verwechseln mit "sinnlos") an und wenn ich das Bedürfnis verspüre, dem Leben einen Sinn zu geben, dann ist es an mir. (Wobei auch da; ich bin ein Mensch mit einer menschlichen Programmierung, die drückt bei der Sinngebung halt schon durch...soviel zum freien Willen 😅 ...ach lassen wirs; schönes WE euch, macht was sinnvolles 🤪)
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bbelser
27.03.2021 17:51registriert Oktober 2014
Zum Thema "Demut lernen vom Wurm":

Franz von Assisi war auf dem Weg zu einer Audienz beim Papst.
Der Papst erwartete den bekannten "Poverello" ungeduldig.
Aber Franz verspätete sich auf seinem Weg von Umbrien nach Rom.

Wochenlang.

Als er dann endlich ankam, begründete er seine Verspätung so:

"Lieber Bruder Papst, Wichtiges hielt mich auf.
So musste ich beipielsweise erst noch einer kleinen Spinne helfen, deren Netz ich auf meinem Weg zu dir unachtsam zerstört hatte."

Da wusste der mächtige Herr Papst: in einer Welt nach dem Geschmack des Franziskus bin ich so wertvoll wie jede Spinne.
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