Wenn ich lese, dass jemand mutmasslich seinen eigenen Sohn getötet hat, weil er schwul war, dann berührt mich das ausserordentlich. Die Frage, warum Menschen Homosexualität als Zumutung empfinden, beschäftigt mich schon sehr lange. Selbst ein an Kleidung festgemachter Verdacht reicht für viele aus, um in Abscheu und Wut zu geraten.
Als mein Grosser und ich in Rock und Kleid virtuell einmal um die Welt spazierten, hatte ich darüber eine interessante Auseinandersetzung mit dem britischen Journalisten Jake Wallis Simons. Für den Telegraph schrieb Simons, dass Jungen, die Kleider tragen, zwar unterstützt aber nicht noch ermutigt werden sollten.
Die Notwendigkeit, dem Kind zu vermitteln, dass es in seiner Kleiderwahl nicht falsch ist, dürfe nicht verschleiern, dass eine solche öffentliche Zurschaustellung Feindseligkeit auslöse. Da müsse ich schon sicher sein, dass das Kleid-Rocktragen ein innerer Drang sei und nicht nur eine Phase.
Ich war und bin anderer Meinung. Tatsächlich fand ich Simons Ausführung schwerer auszuhalten als die offenen Anfeindungen und den Hass, den ich auf mich gezogen hatte. In einer E-Mail wies er mich darauf hin, dass es doch besser sei, meinen Sohn nur Zuhause in Mädchenkleidung herumlaufen zu lassen und draussen nicht, damit er keine Schwierigkeiten bekommt.
Das klingt zunächst einmal vernünftig. Wer würde wollen, dass sein Kind Opfer von Spott, Verachtung und Übergriffigkeit wird? Ich ganz sicher nicht.
Aber spielen wir das Ganze doch mal durch: In den eigenen vier Wänden also Kleider und Röcke für das Kerlchen, ausserhalb nur Hosen, um wie ein «anständiger Junge» auszusehen. Nicht anecken, nicht aufmucken, auf keinen Fall auffallen. Die Wahl hätte er. Wenn er sich entsprechend kleidet, sieht er aus wie die meisten anderen in seinem Umfeld.
Die schwarze Freundin meiner Tochter hat diese Wahl hingegen nicht. Sagen wir der auch, dass sie ihre Andersartigkeit besser hinter verschlossenen Türen auslebt, damit sie mit ihrem Schwarzsein nicht die weisse Mehrheitsgesellschaft belästigt?
Sagen wir Kindern mit Behinderung, dass sie gefälligst aufhören sollen, so behindert zu sein, damit sie anderen nicht ständig Probleme machen? Wohin führt das?
Was ist mit Menschen, die sich nicht dafür entscheiden können, in der Gruppenkonformität unterzutauchen, weil sie immer als andersartig, fremd und nicht dazugehörig markiert werden?
Und wie hoch will man seine eigenen Privilegien eigentlich stapeln, um keinen Blick darauf werfen zu müssen, dass Menschen jeden Tag Hass und Gewalt ausgesetzt sind, weil andere sie als Zumutung für ihr eigenes fragiles Selbstverständnis empfinden?
Die Welt ist in vielerlei Hinsicht ein gefährlicher Ort. Unter anderem leider auch für Jungen, die Kleider und Röcke tragen. Es ist jedoch nicht deren Aufgabe, ihre Kleiderwahl zu überdenken, um niemandes Sehgewohnheiten herauszufordern, sondern unsere, diese Welt zu einem besseren Ort zu machen.