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Vorurteile und Hass: Sollen wir die Kinder davor beschützen?

Blogger Nils Pickert mit seinem Sohn im Rock.
Blogger Nils Pickert mit seinem Sohn im Rock.
bild: nils pickert
Wir Eltern

Bitte belästigt uns nicht mit eurem Anderssein!

Sollen Eltern ihre Kinder davor bewahren, anders zu sein? Oder sollen sie zum Beispiel ihren Jungen darin bestärken, wenn er einen Rock tragen will?
10.04.2016, 07:55
nils pickert / wir eltern
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Ein Artikel von
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Wenn ich lese, dass jemand mutmasslich seinen eigenen Sohn getötet hat, weil er schwul war, dann berührt mich das ausserordentlich. Die Frage, warum Menschen Homosexualität als Zumutung empfinden, beschäftigt mich schon sehr lange. Selbst ein an Kleidung festgemachter Verdacht reicht für viele aus, um in Abscheu und Wut zu geraten.

Als mein Grosser und ich in Rock und Kleid virtuell einmal um die Welt spazierten, hatte ich darüber eine interessante Auseinandersetzung mit dem britischen Journalisten Jake Wallis Simons. Für den Telegraph schrieb Simons, dass Jungen, die Kleider tragen, zwar unterstützt aber nicht noch ermutigt werden sollten.

Die Notwendigkeit, dem Kind zu vermitteln, dass es in seiner Kleiderwahl nicht falsch ist, dürfe nicht verschleiern, dass eine solche öffentliche Zurschaustellung Feindseligkeit auslöse. Da müsse ich schon sicher sein, dass das Kleid-Rocktragen ein innerer Drang sei und nicht nur eine Phase.

In den eigenen vier Wänden also Kleider und Röcke für das Kerlchen, ausserhalb nur Hosen, um wie ein «anständiger Junge» auszusehen. Nicht anecken, nicht aufmucken, auf keinen Fall auffallen.

Ich war und bin anderer Meinung. Tatsächlich fand ich Simons Ausführung schwerer auszuhalten als die offenen Anfeindungen und den Hass, den ich auf mich gezogen hatte. In einer E-Mail wies er mich darauf hin, dass es doch besser sei, meinen Sohn nur Zuhause in Mädchenkleidung herumlaufen zu lassen und draussen nicht, damit er keine Schwierigkeiten bekommt.

Nur hinter verschlossenen Türen anders sein?

Das klingt zunächst einmal vernünftig. Wer würde wollen, dass sein Kind Opfer von Spott, Verachtung und Übergriffigkeit wird? Ich ganz sicher nicht.

Aber spielen wir das Ganze doch mal durch: In den eigenen vier Wänden also Kleider und Röcke für das Kerlchen, ausserhalb nur Hosen, um wie ein «anständiger Junge» auszusehen. Nicht anecken, nicht aufmucken, auf keinen Fall auffallen. Die Wahl hätte er. Wenn er sich entsprechend kleidet, sieht er aus wie die meisten anderen in seinem Umfeld.

Jetzt auf

Die schwarze Freundin meiner Tochter hat diese Wahl hingegen nicht. Sagen wir der auch, dass sie ihre Andersartigkeit besser hinter verschlossenen Türen auslebt, damit sie mit ihrem Schwarzsein nicht die weisse Mehrheitsgesellschaft belästigt?

Bitte nicht behindert sein!

Sagen wir Kindern mit Behinderung, dass sie gefälligst aufhören sollen, so behindert zu sein, damit sie anderen nicht ständig Probleme machen? Wohin führt das?

Was ist mit Menschen, die sich nicht dafür entscheiden können, in der Gruppenkonformität unterzutauchen, weil sie immer als andersartig, fremd und nicht dazugehörig markiert werden?

Die Welt ist in vielerlei Hinsicht ein gefährlicher Ort. Unter anderem leider auch für Jungen, die Kleider und Röcke tragen.

Und wie hoch will man seine eigenen Privilegien eigentlich stapeln, um keinen Blick darauf werfen zu müssen, dass Menschen jeden Tag Hass und Gewalt ausgesetzt sind, weil andere sie als Zumutung für ihr eigenes fragiles Selbstverständnis empfinden?

Die Welt ist in vielerlei Hinsicht ein gefährlicher Ort. Unter anderem leider auch für Jungen, die Kleider und Röcke tragen. Es ist jedoch nicht deren Aufgabe, ihre Kleiderwahl zu überdenken, um niemandes Sehgewohnheiten herauszufordern, sondern unsere, diese Welt zu einem besseren Ort zu machen.

Und jetzt zu dir: Würdest du deinen Sohn in einem Rock herumlaufen lassen?

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55 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Menel
10.04.2016 08:45registriert Februar 2015
Ich kenne diese Blicke schon von klein auf. Nicht wegen mir, sondern wegen meinem querschnittsgelähmten Vater. Wenn wir zwei unterwegs waren, waren wir die Attraktion. Seit ich denken kann, habe ich die Situation immer noch verstärkt, in dem ich ihm die Hand gab oder laut "Papi Papi!" sagte.
....und heute werde ich angeguckt, wenn ich mit meiner behinderten Tochter unterwegs bin. Aber ich gebe schon lange nichts mehr auf die Meinung von Unbekannten und bringe das auch meinen Kindern bei. Diese spielen übrigens auch gerne mit ihren Geschlechterrollen.
Be free and express yourself!
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Homelander
10.04.2016 12:09registriert Oktober 2014
Behinderung und Hautfarbe mit Kleidern zu vergleichen... ich weiss nicht...
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Citation Needed
10.04.2016 10:03registriert März 2014
Wenn sich ein Kind aufgrund eines echten Bedürfnisses von der Norm abweichend kleiden will, dann sollten sich Eltern für diesen Wunsch öffnen. Blödes Beispiel, aber meine Oma wurde von Links- auf Rechtshänderin umgepolt, weil das damals einfach Norm war. Sie beklagte sich zeitlebens, dass sie deswegen eine krakelige Handschrift habe, konnte aber auch nicht mehr zurück.
Wie viel verheerender ist es, wenn eine norm-abweichend veranlagte Geschlechtsidentität einfach übergangen/umgepolt wird?
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Wann solltest du aus deiner Investition aussteigen?
Einmal angelegt, wunderbar. Aber wann ist der «beste Zeitpunkt», um aus deiner Investition wieder auszusteigen? Tipps, wie du’s anpacken kannst.

Letzte Woche WhatsApp von meinem Sohn: «Mom, kann ich dir meine Bitcoin schicken für Verkauf?». Er hatte beim Kurs von ca. 63'000 Franken genug und wollte den Gewinn mitnehmen. Ich glaube, das Geld wird für etwas anderes gebraucht, werden ja dann noch sehen wofür. Ich wollte mich nicht unbeliebt machen, da habe ich lieber nicht gefragt. Die Bitcoins gingen also vom Hardwallet an Mom, die dann verkauft und über Twint überwiesen hat.

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