«Ich gucke keine Tagesschau mehr» sagt meine zehnjährige Tochter und winkt ab, als ich ihr sage, dass es gleich 20 Uhr ist.
Was für ein Satz.
Es ist erst ein paar Monate her, dass ihr Bruder und sie darauf bestanden haben, «jetzt endlich auch Nachrichten gucken zu dürfen». Das hat mich zwar wenig begeistert, aber die beiden hatten unstrittig die besseren Argumente auf ihrer Seite.
Sie waren es leid, über den Schulhoffunk verzerrte, übertriebene und unvollständige Meldungen über das Weltgeschehen zu erhalten, und fanden es beängstigend und herabwürdigend, dass sie gefühlt immer die Letzten waren, die über etwas Bescheid wussten. Nachrichten gucken zu dürfen, war für sie naheliegend.
Ich fand das eher abwegig. Meine Kinder leben mit relativ strengen Medienregeln. Kein Fernsehen unter der Woche und am Wochenende die Sendung mit der Maus und vielleicht ein Film. Keine Werbung. Kein Glotzen gegen Langweile. Und schon gar kein tägliches Ritual.
Trotzdem hatten sie Recht. Bevor wir angefangen haben, mit ihnen Nachrichten zu schauen, hatten wir mehrfach die Situation, dass sie Tage später verunsichert nachgefragt haben, ob es denn stimme, dass da und dort viele Menschen gestorben seien. Es stimmte immer. Es war immer übertrieben. Also Tagesschau.
Beide haben ziemlich schnell ihr eigenes Nachrichtenverhalten entwickelt. Mein achtjähriges Kerlchen ist von der leicht cholerischen «Was ist bloss los mit denen?!»-Fraktion: Wieso lässt man Griechenland hängen? Warum wird nicht mehr für Flüchtlinge getan? Hat den Wählern der AfD keiner gesagt, was das für Leute sind? Zu allem hat er eine Meinung.
Meine Grosse gehört eher in die «Wie furchtbar!» Kategorie. Terror, Tod und Katastrophen – ihre Augen werden immer grösser, das Herz wird ihr immer schwerer. Und das direkt vor dem Zubettgehen. Da sollte eigentlich alles gut und tröstlich sein. Aber in den Nachrichten ist die Welt eine einzige Wunde und die Menschen zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um sie zu heilen. Das ist kein Gedanke, mit dem sich ein Kind zur Ruhe betten sollte.
Und trotzdem bereue ich nicht, sie die Nachrichten sehen zu lassen. Warum? Weil mein Junge nach Hause kommt und wissen will, was eine «dreckige Hure» ist. Weil Geflüchtete kein abstraktes Problem sind, sondern echte Menschen, die Hilfe brauchen. Weil wir in Brüssel auf der Hochzeit meiner Schwester waren.
Letztendlich haben wir nicht die Wahl, ob diese Dinge unseren Kindern zugemutet werden oder nicht, sondern bestenfalls die, wie es geschieht.