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«Du Selbstdarsteller!»

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Yonnihof

«Du Selbstdarsteller!»

Die ultimative Beleidigung ist eigentlich gar keine.
22.01.2015, 14:4924.01.2015, 10:26
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Wenn es ein Wort gibt, das zur Zeit in der Online- aber auch in der «analogen» Welt Hochkonjunktur feiert, dann ist es das Wort «Selbstdarstellung». 

Selbstdarstellung hier, Selbstdarstellung da. Das kommt natürlich nicht von ungefähr, denn Plattformen wie Facebook sind tatsächlich eines/r jeden Selbstverliebten Schlaraffenland. Da reihen sich dann Selfies, Ferienfotos und philosophische Ergüsse aneinander und das in der Frequenz, dass es selbst einem Metronom schwindlig würde. 

Aber ich frage mich: Ist das wirklich so schlimm? Wenn man die ganzen überteuerten Lifestyle-Heftli durchblättert, ist da ja immer die Rede davon, wie man lernen soll, sich selber gern zu haben (und drei Seiten weiter, wie man in zwei Wochen zehn Kilo abnimmt, aber das ist eine andere Geschichte). Ja, man kann soweit gehen, dass es die Überzeugung vieler ist, dass man sich selbst lieben muss, bevor man im Leben und in der Liebe voran kommt. 

Selfies zu posten oder zu verkünden, dass man gerade irgendwas erreicht hat, ist dann aber schon wieder ennet der Akzeptanzzone. Wer definiert denn, wie viel Selbstliebe, bzw. welche Form davon, angemessen ist? 

Kürzlich sprach ich mit einer Freundin, die auch schreibt, darüber, warum es in der Schweiz keine wirklichen «Stars» gibt. Meine Freundin sagte, ihrer Meinung nach scheine es der Schweizer/die Schweizerin als seine Pflicht zu betrachten, jemanden, der erfolgreich ist und Freude an seinem Erfolg hat, in seine Schranken zu weisen und ihm/ihr klar zu machen, dass er/sie «imfall nöd so cool isch, wie du meinsch». Sie vergleiche das jeweils mit einer gemähten Wiese, wo ein Grashälmchen über die anderen hinauswüchse – und der Ordnung wegen dann sofort zurückgestutzt werden müsse. 

Ob das eine rein Schweiz-spezifische Geschichte ist, weiss ich nicht, aber oft ist der Vorwurf der Selbstdarstellung der ultimative Tiefschlag – unter Profilbildern, Ferienfotos, wenn jemand ein Erfolgserlebnis teilt, ja, sogar wenn jemand Gutes tut (z.B. Geld spendet, siehe dazu meine Kolumne vom Dezember). 

Mir wird dieser Vorwurf im Bezug auf meine Arbeit ständig gemacht. Leider oft nicht ins Gesicht, denn wenn das jemand machen würde, könnte ich ihm/ihr mit: «Selbstverständlich stelle ich mich selber dar» antworten. Nach aussen zu schreiten mit meiner Meinung ist mein Beruf und natürlich hat das selbstdarstellerische Züge. Zu behaupten, ich mache das alles nur fürs Geld oder für den Weltfrieden, wäre gelinde gesagt gelogen. 

Aber das ist doch der Punkt: Dem Vorwurf der Selbstdarstellung liegt seltsamerweise immer die Annahme zugrunde, der Mensch müsse jederzeit und immer selbstlos handeln. Tut er aber nicht. Oder will mir jemand der Vorwerfenden sagen, er/sie gehe jeden Morgen aus purer Nächstenliebe zur Arbeit? Der eine arbeitet fürs Geld, die andere fürs Prestige. Das bedeutet noch lange nicht, dass der Arbeit nicht auch Leidenschaft und der Wunsch nach einer besseren Welt zugrunde liegt. Das Ego spielt immer irgendwo mit. Ob es durch Anerkennung für die Arbeit oder den – durch die an der Arbeit verdiente Knete finanzierten – Lebensstandard gestreichelt wird, bleibt im Grunde genommen dasselbe. Und: Es ist menschlich und komplett okay.

Und wer noch immer findet «Aber d’Cindy postet vill zvill Selfies, die nimmt sich vill z’wichtig, dere mues mal gseit werde, was für e Sälbschtdarstelleri sie isch»: Drängelt man sich nicht gerade mit einem solchen Statement noch mehr nach vorn als der Selbstdarstellende selbst? Nimmt man sich nicht gerade selbst zu wichtig, wenn man jemandem öffentlich sagt, er/sie nehme sich zu wichtig? 

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Yonni Meyer
Yonni Meyer schreibt als Pony M. über ihre Alltagsbeobachtungen –direkt und scharfzüngig. Tausende Fans lesen mittlerweile jeden ihrer Beiträge. Bei watson schreibt die Reiterin ohne Pony – aber nicht weniger unverblümt. 

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