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Die Kämpferin vom Amazonas 

Nur Ersatz, aber nicht chancenlos: Marina Silva.
Nur Ersatz, aber nicht chancenlos: Marina Silva.Bild: AFP
Brasilianische Spitzenkandidatin Silva

Die Kämpferin vom Amazonas 

Der Präsidentschaftskandidat der brasilianischen Sozialisten starb bei einem Flugzeugabsturz, die Umweltaktivistin Marina Silva musste einspringen. Sie hat tatsächlich eine Chance. 
21.08.2014, 23:1422.08.2014, 14:41
Klaus Ehringfeld / Spiegel Online
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Spiegel Online

Von da, wo Marina Silva herkommt, schafft es normalerweise niemand in die grosse Politik. Die dunkelhäutige Frau wuchs mit zehn Geschwistern in einer Familie von Kautschukzapfern in einem kleinen Dorf im Bundesstaat Acre tief im Amazonas auf. Und nun machte die Parteiführung der brasilianischen Sozialisten die 56-Jährige einstimmig zur Präsidentschaftskandidatin. 

Schon vor der Nominierung sahen Umfragen echte Siegeschancen für die frühere Umweltministerin bei der Wahl am 5. Oktober. Laut dem Meinungsforschungsinstitut Datafolha wird sich die Aktivistin ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Amtsinhaberin Dilma Rousseff liefern. Sollte es dann zu einer Stichwahl kommen, könnte sich Silvas schon vor Jahren geäusserter Wunsch erfüllen: «Ich will die erste schwarze Frau aus armen Verhältnissen sein, die Präsidentin Brasiliens wird.»

Die Sozialistische Partei PSB musste einen neuen Spitzenkandidaten küren, nachdem Eduardo Campos vor einer Woche bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen war. Silva war bis dahin die Kandidatin für das Amt der Vizepräsidentin. In der damaligen Konstellation galt als sicher, dass die Sozialisten bei der Wahl kaum eine Rolle spielen würden. Die linksliberale Rousseff konnte den Umfragen zufolge auf einen Sieg in der ersten Runde hoffen oder hätte bei einer Stichwahl den wirtschaftsnahen Kandidaten Aécio Neves von der konservativen PDSB-Partei als Gegner gehabt. 

Eine Jugend mit Mut will Marina Silva.
Eine Jugend mit Mut will Marina Silva.Bild: UESLEI MARCELINO/REUTERS

Mit Silva als Spitzenkandidatin beginnt der Wahlkampf wieder bei null. Sicher zeigt sich in den hohen Umfragewerten für die Ökoaktivistin auch das Mitgefühl für den tragischen Tod von Campos. Aber vor allem mögen die Wähler die zierliche, fast zerbrechlich wirkende Silva, weil sie eine ungewöhnliche Politikerin ist. Sie ist eine Kämpferin mit Charisma, die ihren Weg nach oben gegen Widerstände und trotz Krankheiten geschafft hat. 

Ihre Mutter starb früh, zwei Geschwister ebenfalls. Sie selbst litt schon als Kind an Hepatitis und musste zur Behandlung weg von ihrer Familie in die Hauptstadt von Acre, Rio Branco. Sie arbeitete dort als Hausmädchen und besuchte nebenbei die Abendschule, um Lesen und Scheiben zu lernen. Später studierte sie Geschichte, schloss sich erst der Kommunistischen Partei und dann der heute regierenden Arbeiterpartei PT an. 

Wie Silva einen Ministerposten für ihre Überzeugungen opferte 

An der Seite des berühmten Umweltkämpfers Chico Mendes wurde Silva in den Achtzigerjahren selbst zur Aktivistin. Sie setzte sich trotz grosser Widerstände für die Umwelt und gegen die Agroindustrie ein. Marina Silva ist heute so etwas wie das grüne Gewissen der brasilianischen Politik. Sie gilt darüber hinaus als skandalfrei, unbestechlich und prinzipientreu. Eigenschaften, die man brasilianischen Politikern sonst kaum zuschreibt. 

Für ihre Überzeugungen opferte die Naturschützerin sogar einen Ministerposten. Der damalige Präsident Lula da Silva hatte sie 2003 als Umweltministerin in sein Kabinett berufen. Anfangs erzielte sie Erfolge – etwa bei der Reduzierung der Abholzung im Amazonas-Gebiet. Es entstanden Schutzgebiete, Umweltsünder wurden festgenommen. 

Lula da Silva mit Marina Silva.
Lula da Silva mit Marina Silva.Bild: RICARDO MORAES/REUTERS

Doch mit der Zeit fühlte sich Silva als das grüne Feigenblatt der Lula-Regierung, die dem Wachstum Vorrang vor dem Umweltschutz gab. Im Mai 2008 gab Silva enttäuscht auf: «Es ist besser, den Job zu verlieren als den gesunden Menschenverstand», sagte sie und verliess die Regierung und später auch die PT. Silvas Gegenspielerin war übrigens auch damals schon in gewisser Weise Dilma Rousseff. Diese paukte als Lulas Präsidialamtschefin das Wachstumsbeschleunigungsprogramm PAC durch, das teure Staudämme im Amazonas und Flussumleitungen im trockenen Nordosten vorsah. 

Vor zehn Jahren war die Katholikin Silva konvertiert und der Assembleia de Deus beigetreten, einer evangelikalen Pfingstkirche mit Millionen Anhängern in Brasilien. Dies sichert ihr die Unterstützung in den religiösen und konservativen Schichten des Landes. 

Jetzt auf
Der Wahlkampf ist lanciert.
Der Wahlkampf ist lanciert.Bild: RICARDO MORAES/REUTERS

So hat die Amtsinhaberin allen Grund, die Herausforderin zu fürchten – zumal sie ihr bereits bei der Wahl vor vier Jahren als unabhängige Kandidatin Probleme bereitete. Damals bekam Silva als Drittplatzierte fast 20 Millionen Stimmen und war entscheidend dafür verantwortlich, dass die spätere Siegerin Rousseff in die Stichwahl musste. 

Ursprünglich wollte Silva auch dieses Mal wieder allein kandidieren. Aber sie konnte ihre Gruppierung Rede Sustentabilidade (Netz Nachhaltigkeit) nicht fristgerecht als Partei registrieren und bändelte daher mit den Sozialisten an. Deren Bedingung: Sie musste als Vize von Campos ins Rennen gehen – obwohl schon damals eine umgekehrte Konstellation erfolgversprechender gewesen wäre. 

Silva wird nun in den verbleibenden Wochen bis zur Wahl zwar auch die sozialistischen Ideale vertreten, aber vor allem weiter für den Umweltschutz werben. 

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